Novelle zum Bundespflegegeldgesetz bleibt umstritten

Sozialausschuss billigt Änderungen im Sozialversicherungsrecht

Parlament
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Der Sozialausschuss des Nationalrats hat heute zahlreiche Änderungen im Sozialversicherungsrecht gebilligt.

Grünes Licht gab der Sozialausschuss außerdem für den vorgesehenen erschwerten Zugang zu den Pflegestufen 1 und 2 ab kommendem Jahr und die Erhöhung des Pflegegeldes um 2 % ab dem Jahr 2016, die entsprechende Novellierung des Bundespflegegeldgesetzes bleibt aber umstritten.

Die Opposition hat weiter kein Verständnis für die geplanten Einsparungen. Laut Sozialminister Rudolf Hundstorfer ist es allerdings notwendig, die Kostensteigerung im Bereich der Pflege zu dämpfen. Vor allem die Ausgaben für die Förderung der 24-Stunden-Betreuung sind zuletzt massiv gestiegen. Es werde aber auch in Zukunft mehr Geld als bisher für die Pflege zur Verfügung stehen, versicherte der Minister.

Pflegegeld wird erhöht, Zugang zu den Pflegestufen 1 und 2 erschwert

Konkret muss für die Zuerkennung der Pflegstufe 1 ab kommendem Jahr ein durchschnittlicher monatlicher Pflegebedarf von mehr als 65 Stunden nachgewiesen werden, derzeit sind es 60 Stunden. Pflegegeld der Stufe 2 wird bei einem Pflegebedarf von 95 Stunden (derzeit: 85 Stunden) gewährt.

Das Pflegegeld steigt ab 1. Jänner 2016 in allen Stufen um 2 %, in der Pflegestufe 1 werden dann monatlich 157,3 € (alt 154,2 €) zur Verfügung stehen. In der höchsten Pflegestufe, der Pflegestufe 7, sind es 1.688,9 € (alt 1.655,8 €). Außerdem ist vorgesehen, das Informations- und Beratungsangebot für PflegegeldbezieherInnen und ihre Angehörigen zu verbessern, die Abwicklung von Förderanträgen im Bereich der 24-Stunden-Betreuung zu vereinfachen und Kindergartenkinder, die das verpflichtende Kindergartenjahr absolvieren, ausdrücklich in den gesetzlich verankerten anspruchsberechtigten Personenkreis aufzunehmen.

Gemäß den Kostenschätzungen des Ressorts bringt die mit S-V-Mehrheit angenommene Gesetzesnovelle (365 d.B.) im nächsten Jahr Einsparungen in der Höhe von insgesamt 19 Mio. €, 2016 werden es trotz der Erhöhung des Pflegegelds immer noch 7,6 Mio. € sein. Für 2017 wird mit geringeren Aufwendungen im Ausmaß von 46,3 Mio. € und 2018 von 84,6 Mio. € gerechnet.

Opposition lehnt erschwerten Zugang zum Pflegegeld geschlossen ab

Die Opposition lehnte den erschwerten Zugang zum Pflegegeld geschlossen ab und wies auch auf zahlreiche kritische Stellungnahmen von Sozialhilfe- und Behindertenorganisationen hin. Sozialminister Rudolf Hundstorfer handle völlig verantwortungslos und spare am falschen Fleck, formulierte etwa FPÖ-Abgeordneter Herbert Kickl. Vor allem sozial schwache Familien seien stark betroffen. Abgeordnete Judith Schwentner (G) kritisierte, der erschwerte Zugang zum Pflegegeld habe nichts mit einer nachhaltigen Reform im Pflegebereich zu tun, diese stehe nach wie vor aus. Abgeordnete Waltraud Dietrich (T) kann keine sachliche Rechtfertigung für die geänderten Zugangskriterien erkennen.

Dass nur wenige Pflegebedürftige in den Pflegestufen 1 und 2 professionelle Pflegeleistungen in Anspruch nehmen, wie Sozialminister Hundstorfer in der Vergangenheit des öfteren hervorgehoben hat, ist für Schwentner nicht verwunderlich. Sie führt das darauf zurück, dass mit dem zur Verfügung gestellten Betrag keine professionelle Hilfe leistbar sei. Schließlich stünden umgerechnet nur 2,3 € pro Stunde zur Verfügung, rechnete sie vor. Schwentners Fraktionskollegin Helene Jarmer äußerte die Befürchtung, dass vor allem Menschen mit Behinderung vom verschärften Zugang zum Pflegegeld betroffen sein und viel an Lebensqualität verlieren werden.

Seitens der NEOS zeigte Abgeordneter Gerald Loacker zwar ein gewisses Verständnis für die vorliegende Gesetzesnovelle. Seiner Ansicht nach verwendet das Sozialministerium aber „ein Heftpflaster“, statt eine nachhaltige Lösung für die Pflegefinanzierung vorzulegen. Es gebe auch keine validen Zahlen, wie viel Geld in Zukunft für den Pflegebereich tatsächlich benötigt werde, kritisierte er. Loacker machte überdies darauf aufmerksam, dass die Verstörung bei den Hilfsorganisationen groß sei, die NEOS hätten zu kaum einem Gesetz so viele Stellungnahmen erhalten wie zum vorliegenden.

SPÖ: Für behinderte Menschen wird sich nichts ändern

Uneingeschränkt hinter die Gesetzesnovelle stellte sich hingegen ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger. Er begrüße das Gesetz in jeder Hinsicht, sagte er. Österreich sei „Weltmeister“ bei den Pflegeleistungen, mit den neuen Zugangsregelungen würde ein gutes System auf hohem Niveau nachhaltig gesichert.

SPÖ-Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig hielt Abgeordneter Jarmer entgegen, dass sich für blinde Menschen oder Menschen im Rollstuhl nichts ändern werde. Diese würden ohnehin in höhere Pflegestufen eingestuft. Auch für demenzkranke Personen sollte ihr zufolge alles beim Alten bleiben. Bei der Begutachtung könne man außerdem berücksichtigen, dass Menschen mit Lernbehinderung einen erhöhten Assistenzbedarf hätten, betonte die Abgeordnete.

Allgemein hob Königsberger-Ludwig die Bedeutung von Präventionsmaßnahmen hervor, damit Menschen gesünder älter werden. In Richtung FPÖ hielt sie fest, das Pflegegeld werde zur Abdeckung von Pflegekosten gewährt, und zwar unabhängig vom Einkommen, es handle sich nicht um eine spezielle Sozialleistung für sozial schwache Familien.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer schloss an die Wortmeldung von Königsberger-Ludwig an und wies darauf hin, dass die breite Masse von behinderten Menschen vom erschwerten Zugang zum Pflegegeld nicht betroffen sein werde. Blinde Menschen und Menschen im Rollstuhl würden automatisch zumindest Pflegestufe 3 erhalten, skizzierte er. Der erschwerte Zugang zum Pflegegeld sei selbstverständlich „kein Anlass zum Jubeln“, sagte Hundstorfer, es sei aber notwendig das Pflegesystem insgesamt finanziell abzusichern. Die öffentliche Hand werde weiter mehr Geld für Pflegeleistungen ausgeben als heute, nur werde es eben weniger mehr Geld sein. Den Einsparungen beim Pflegegeld stehen ihm zufolge etwa Mehrausgaben für die 24-Stunden-Betreuung, für pflegende Angehörige und für den Pflegefonds gegenüber.

Zur Feststellung von Abgeordnetem Norbert Hofer (F) wonach pflegebedürftige Menschen enorme Verluste hätten, weil das Pflegegeld seit Jahren nicht valorisiert wird, merkte Hundstorfer an, er habe sich seinerzeit bewusst dafür entschieden, der Einrichtung eines Pflegefonds mit einer entsprechenden Dotierung Vorzug vor einer regelmäßigen Valorisierung des Pflegegelds zu geben. Durch die Mittel des Fonds würden Sachleistungen für pflegebedürftige Menschen abgesichert, das helfe den Betroffenen mehr als eine regelmäßige Erhöhung des Pflegegeldes und sei effizienter.

Bestritten wurde von Hundstorfer, dass es keine ausreichenden Daten zur Frage der künftigen Pflegefinanzierung gebe. Er verwies etwa auf den Pflegevorsorgebericht und Daten der Statistik Austria.

Grüne fordern bundesweit einheitliche Bestimmungen für behinderte Menschen

Die Grünen konnten sich mit der Forderung, eine Studie zur Situation pflegender Angehöriger in Auftrag zu geben, nicht durchsetzen (775/A(E)). Es gebe eine ausreichende Zahl von Studien zu diesem Bereich, machte Sozialminister Rudolf Hundstorfer geltend. Abgeordnete Judith Schwentner machte hingegen darauf aufmerksam, dass seit der letzten umfassenden Studie beinahe 10 Jahre vergangen seien und sich die Rahmenbedingungen für pflegende Angehörige mittlerweile stark geändert hätten. Auch die anderen Oppositionsparteien unterstützten den Antrag, blieben damit aber in der Minderheit.

Ein weiterer Entschließungsantrag der Grünen (784/A(E)) wurde mit S-V-Mehrheit vertagt. Abgeordnete Helene Jarmer fordert österreichweit einheitliche Bestimmungen für Menschen mit Behinderung. Für sie ist es nicht einsichtig, dass es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regelungen gibt, etwa was den Bereich barrierefreies Wohnen oder die Bereitstellung persönlicher Assistenz betrifft.

SPÖ-Abgeordnete Königsberger-Ludwig bedauerte gleichfalls, dass es länderweise unterschiedliche Regelungen bei der persönlichen Assistenz gibt. Die bestehende Strukturen ließen sich aber „nicht mit einem Fingerschnipp ändern“, sagte sie. Das Sozialministerium führe laufend Gespräche. Sozialminister Hundstorfer und NEOS-Abgeordneter Loacker verwiesen darauf, dass die Grünen mittlerweile in vielen Landesregierungen sitzen und selbst einen Beitrag zu einer Änderung der Situation leisten könnten.

Reform des Pflegegeldwesens war erfolgreich

Mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der FPÖ nahm der Sozialausschuss einen ersten Erfahrungsbericht des Sozialministeriums über die im Jahr 2012 erfolgte Übertragung sämtlicher Pflegegeldagenden von den Ländern auf den Bund und weitere Reformschritte im Pflegegeldbereich zur Kenntnis. Laut Bericht ist es gelungen, die Verfahrensdauer in Pflegegeldangelegenheiten trotz der enormen Zahl an Anträgen zuletzt auf durchschnittlich unter 60 Tage zu reduzieren. Zudem gebe es nunmehr einheitliche Beurteilungskriterien und erstmals auch ein bundesweit einheitliches Datenmaterial. 2012 und 2013 wurden rund 2,5 Mrd. € für Pflegegeldleistungen aufgewendet.

In der Debatte waren sich die Abgeordneten einig, dass die Reform des Pflegegeldwesens ein Erfolg gewesen ist. Abgeordnete Königsberger-Ludwig sprach etwa von einer der größten Verwaltungsreformen in den letzten Jahren. Noch nicht erledigt ist nach Meinung von NEOS-Abgeordnetem Loacker damit aber die notwendige Strukturreform im Pflegebereich. FPÖ-Abgeordneter Hofer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach wie vor zu viele Pflegebedürftige in Akutbetten in Spitälern betreut würden, was unnötige Kosten verursache.

Sozialminister Hundstorfer wies darauf hin, dass pro Jahr 140.000 Pflegegeld-Gutachten erstellt würden: 70.000 davon betreffen Ersteintritte, 70.000 Höherstufungen. Dass die Steiermark einen relativ großen Anteil an PflegegeldbezieherInnen hat, begründete er damit, dass sie gemeinsam mit Kärnten das Bundesland mit den meisten BewohnerInnen über 75 sei. Laut Hundstorfer wird man trotz einheitlicher Begutachtungskriterien und Ausbildungsunterlagen allerdings nie zur Gänze ausschließen können, dass jemand in einem Bundesland etwa Pflegegeld der Stufe 3 erhält, während er in einem anderen Bundesland in die Pflegestufe 4 eingestuft würde.

Der Feststellung von Abgeordnetem Hofer stimmte Hundstorfer zu, er hielt jedoch fest, dass jede Reduktion von Akutbetten zu Protesten vor Ort führe, oft auch seitens der FPÖ.

Zahlreiche Detailänderungen im Sozialversicherungsrecht

Zu den Änderungen im Sozialversicherungsrecht (321 d.B.) gehören neben der pensionsrechtlichen Besserstellung von Eltern, die behinderte Kinder pflegen, und den genannten Änderungen im BSVG und im GSVG auch zahlreiche Adaptierungen im Bereich des Rehabilitationsgeldes. So schlägt das Sozialministerium vor, die Auszahlungsmodalitäten für Rehabilitationsgeld umzustellen und dieses künftig jeweils am Monatsersten – statt alle 28 Kalendertage -anzuweisen.

Zudem werden neue Bestimmungen über ein Ruhendstellen des Rehabilitationsgeldes bei wiederholten Verletzungen der Mitwirkungspflichten eingeführt, die Entziehungsbestimmungen adaptiert, die Regelungen für ein Zusammentreffen von Rehabilitationsgeld und Entgeltfortzahlung präzisiert, Klarstellungen im Bereich der Meldepflichten vorgenommen und die Berechnung des Rehabilitationsgeldes mit der Berechnung des erhöhten Krankengeldes harmonisiert.

Was die Pflege von behinderten Kindern betrifft, können Eltern künftig einer beschränkten Erwerbstätigkeit nachgehen, ohne die Möglichkeit zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung zu verlieren. Es muss lediglich eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft des pflegenden Elternteils vorliegen. Zudem werden die Pflegejahre künftig besser bei der Pension berücksichtigt, die Beitragsgrundlage steigt von derzeit monatlich 1.105 € bis zum Jahr 2019 schrittweise auf 1.650 € an. Das entspricht der geltenden Beitragsgrundlage für die Selbstversicherung bei der Pflege naher Angehöriger. Wie bisher werden die Versicherungsbeiträge für Eltern, die behinderte Kinder pflegen, zu zwei Dritteln vom Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und zu einem Drittel vom Bund übernommen. Das Sozialministerium rechnet damit, dass rund 3.500 Mütter und Väter von dieser Maßnahme profitieren werden.

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