"Die Arbeiten der ExpertInnen der Menschen mit Behinderungen in der Arbeitsgruppe Rechtsbereinigung im Wiener Landesrecht in den letzten zweieinhalb Jahren war offensichtlich vertane Zeit und eine neue Form der Beschäftigungstherapie!"
Die ExpertInnen der Menschen mit Behinderungen bemühen sich seit nunmehr rund zweieinhalb Jahren um eine sinnbringende Adaptierung der Wiener Bauordnung und des Wiener Garagengesetzes mit Bestimmungen für barrierefreies Bauen und Planen. Bereits zweimal wurden umfassende Novellierungsentwürfe durch die BehindertenvertreterInnen in Zusammenarbeit mit den GemeinderätInnen und Magistratsbediensteten ausgearbeitet.
Mit dem jüngsten Entwurf einer Novelle zur Wiener Bauordnung und zum Garagengesetz erwarteten sich die Menschen mit Behinderungen eine umfassende Anpassung mit Bestimmungen zur barrierefreien Zugänglichkeit und Benützbarkeit.
Nun wurde das ernüchternde Ergebnis offenbar: Sämtliche Maßnahmen für sehbehinderte und blinde Menschen wurden einfach mit einem Federstrich aus dem vorliegenden Begutachtungsentwurf eliminiert. Es blieben lediglich Maßnahmen für körperbehinderte Menschen übrig.
Nun, ein zumindest teilweises Problembewusstsein kann man dem Land Wien wohl nicht absprechen, wenn es im Vorblatt zum Gesetzesentwurf in der Problemdarstellung heißt:
„1. Gemäß Art. 7 Abs. 1 B-VG bekennt sich die Republik Österreich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten; im Bereich des Wiener Baurechts bedürfen einzelne Regelungen diesbezüglich einer Anpassung.“
Mit dieser Anpassung der Bauordnung und des Garagengesetzes verfolgt das Land Wien das Ziel der „Gewährleistung der barrierefreien Erreichbarkeit und Benützbarkeit der von der Wiener Bauordnung und dem Garagengesetz erfassten Baulichkeiten“, worunter aber offenkundig seitens des Landes Wien nur Maßnahmen für körperbehinderte Menschen verstanden wurden.
So weit so gut; der Rechtsexperte des Vereines Blickkontakt und Vorsitzende des „Komitee Behindertengleichstellung in Wien“ , Mag. Michael Krispl, merkt dazu an:
„Aus Artikel 7 Abs. 1 vierter Satz B-VG lässt sich keine Differenzierung verschiedener Behindertengruppen im Hinblick auf die zu gewährleistende Gleichbehandlung erkennen. Im Gegenteil, die Republik bekennt sich vielmehr dazu, die Gleichbehandlung (aller) behinderten Menschen – unabhängig von der Behinderungsart aber entsprechend ihren Bedürfnissen – mit nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. Es fragt sich nun: Hat das Land Wien den absolut notwendigen, dringenden und offenkundigen Bedarf, legistische Maßnahmen für sehbehinderte und blinde Menschen in der Wiener Bauordnung und dem Garagengesetz setzen zu müssen, nicht erkannt oder hat es einfach die Staatszielbestimmung verfassungsrechtlich bedenklich interpretiert?
Wie auch immer, ein klarer Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bekenntnis des Landes Wien zur Gleichbehandlung behinderter und nichtbehinderter Menschen kann wohl nicht geleugnet werden!“
Nun, tatsächlich versteht das Land Wien, folgt man den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf, unter „barrierefreie Zugänglichkeit und Benützbarkeit“ nur Maßnahmen für körperlich behinderte und aufgrund ihres Alters gebrechliche Menschen.
Dazu Mag. Krispl: „Barrierefreie Zugänglichkeit und Benützbarkeit bedeutet nicht nur Rollstuhlgerechtheit, sondern auch Sicherheits- und Orientierungsmaßnahmen für sehbehinderte und blinde Menschen. Wir dachten eigentlich, dass das bereits den RepräsentantInnen des Landes Wien bekannt ist, noch dazu, wo wir doch erst im Herbst 2002 einen Bericht zur Lage der Behindertengleichstellung in Wien erstellt und sowohl der Landesregierung wie dem Landtag übermittelt haben.“
Doch erstens ist es offenbar anders und zweitens als man denkt!
Auch der Verkehrssicherheits- und Bauexperte der Sehbehinderten- und Blindenorganisationen der Ostregion, Wolfgang Kremser, zeigt sich enttäuscht und verärgert:
„Alles, was der Sicherheit oder Orientierung sehbehinderter und blinder Menschen gedient hätte, wurde einfach rücksichtslos gestrichen. Ob es Sicherheitsabsperrungen bei freitragenden und unterlaufbaren Treppen oder Rampen, Sprachausgaben und taktile Beschriftungen in Aufzügen, tastbare Bodenleitsysteme, Sicherheitsmarkierungen für große Glasflächen sind, nichts blieb mehr davon übrig. Wir forderten vehement, dass man nicht von „körperbehinderten“, sondern einfach von „behinderten“ Menschen spricht; denn barrierefreies Bauen und Planen muss für alle behinderten Menschen gelten. Doch das interessierte das Land Wien offenbar nicht und so wurden die sehbehinderten und blinden Menschen einfach im Regen stehen gelassen.“
Da wäre wohl nur eine gesalzene Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf die gebührende Antwort, doch leider endet die Möglichkeit zur Abgabe einer solchen schriftlichen Stellungnahme bereits am 6. Juni 2003.
So bleibt nur zu hoffen, dass das Land Wien seine Vorgangsweise noch einmal überdenkt und den Entwurf wieder um die bereits erarbeiteten Maßnahmen für sehbehinderte und blinde Menschen ergänzt. Sonst wäre der Gang zum Verfassungsgerichtshof wegen des klaren Verstoßes gegen die Staatszielbestimmung in Artikel 7 Abs. 1 vierter Satz der Bundesverfassung unweigerlich zu prüfen.