Österreich – der Nabel der Welt?

Im Rahmen der österreichischen EU-Präsidentschaft fand vom 23. bis 25. September 1998 in Salzburg die Konferenz "Menschen mit Behinderungen" statt.

Flagge Österreich
BilderBox.com

Zuerst das Positive: Daß Österreich dieses Thema überhaupt zum Schwerpunkt einer Konferenz gemacht hat, ist lobenswert und bei weitem nicht selbstverständlich.

Weiters hat Frau Bundesministerin Hostasch (SPÖ) auch ausdrücklich das Thema Menschenrechte in den Titel ihres Referates aufgenommen und von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung gesprochen.

Andererseits waren viele Themen, die behinderte Menschen betreffen, von dieser Tagung ausgeblendet, da Arbeit und Rehabilitation als alleinseligmachendes und identitätsstiftendes Prinzip dargestellt wurden. Behinderte Menschen, die nicht arbeiten können, kamen lediglich als Objekte der Pflege vor.

Die österreichische Pflegevorsorge wurde mit einem hohen Maß an Eigenlob vorgetragen und ganz Europa zur Nachahmung empfohlen, darüberhinaus wurde in den beiden Arbeitskreisen „Private Pflegepersonen“ und „Professionelle Pflegepersonen“ tatsächlich über die Befindlichkeit der Pflegepersonen gesprochen, nicht aber über die Situation der NutzerInnen von Assistenz.

Teilnehmerlnnen und Referentlnnen dieser Tagung waren überwiegend Österreicherlnnen. Es waren Beamte aus verschiedenen Sozialverwaltungen, Mitarbeiterlnnen der diversen (Beschäftigungs-)Projekte „für Behinderte“ und Vertreterlnnen von verschiedenen österreichischen und europäischen Behindertenorganisationen.

Mein Eindruck war, daß die ÖsterreicherInnen gerne unter sich blieben und auch gerne über alle diese Themen aus österreichischer Sicht sprachen, ein qualifizierter Erfahrungsaustausch mit VertreterInnen anderer Länder fand zumindest offiziell nicht statt, daran mochten vielleicht auch Sprachschwierigkeiten schuld sein, obwohl alles ziemlich professionell in mehrere Sprachen gedolmetscht wurde.

Der Grund, warum sich solche Veranstaltungen dennoch lohnen und nicht schon längst durch Videokonferenzen oder Chatrooms im Internet ersetzt werden können, liegt in den Kaffeepausen und Abendveranstaltungen, wo man sich näher kommen oder heftig diskutieren kann und draufkommt, daß auch ein korrekt übersetztes Wort unterschiedliche Bedeutungen im Kontext der inhaltlichen Auseinandersetzung haben kann.

Die BritInnen und SkandinavierInnen bekämpfen derzeit sehr heftig den Begriff „special needs“. In Ländern, die bereits einen sehr hohen Standard an „Design für alle“ haben, gibt es dann nur noch Menschen die „Bedarf an angepaßten Lösungen“ haben.

Als wir gerade heftig über die Unterhaltspflicht von Eltern ihren erwachsenen behinderten Kindern gegenüber debattieren, wirft ein norwegischer Kollege lapidar ein, daß in Norwegen diese Unterhaltspflicht der Eltern generell für Kinder über 18 endet. Eine Frage der ideologischen Betrachtung von Familie in den unterschiedlichen Gemeinschaften.

Auch bei der Pressekonferenz kreisen die Fragen hauptsächlich um die bevorstehende Novelle des österreichischen Behinderteneinstellungsgesetzes. Ministerin Hostasch erzählt, daß vor allem die Stellungnahmen zum Kündigungsschutz eine große Bandbreite haben. Als ein Journalist dann doch die Frage nach dem Land in der EU stellt, das die beste Behindertenpolitik hat, wird es interessant.

Während die skandinavischen Länder am weitesten fortgeschritten sind, was die Lebensbedingungen behinderter Menschen betrifft (in Schweden soll im nächsten Jahr die Auflösung der Institutionen beendet sein), konstatiert die Mitarbeiterin von Sozialkommissar Padraig Flynn große Aufholbemühungen in Spanien und Portugal!

Ich nahm am Arbeitskreis Telearbeit teil, das Ergebnis: die Ausbreitung von Telearbeit wurde bisher insgesamt überschätzt. Telearbeit ist weder besonders geeignet, um behinderten Menschen Arbeitsplätze zu verschaffen, noch ist sie zu verteufeln, wenn soziale Integration sonst funktioniert. Telearbeit ist sicher kein geeignetes Mittel, um barrierefreie Umbauten in Betrieben zu ersetzen.

Allerdings ist der Einsatz neuer Medien insgesamt für behinderte Menschen zu begrüßen, notwendige Adaptierungen und Eingabehilfen sollen z. B. für greifbehinderte, hörbehinderte, sehbehinderte Personen schon möglichst früh zur Verfügung stehen, schon in der Schul- und Berufsausbildung, nicht erst dann, wenn ein Arbeitsplatz vorhanden ist. Dies vor allem, da Telearbeit nur eine Arbeitsform, nicht aber ein Beruf ist, und auf der Basis unterschiedlicher, möglichst gut qualifizierter Berufsausbildungen möglich ist (von der Buchhaltung bis zum Design).

Auf der Heimfahrt vom Behindertendorf Altenhof (wir besuchten dort die Integra-Messe – es ist bei weitem nicht das schlechteste Behindertenheim in Österreich) ist unser irischer Sitznachbar merklich erschüttert. Er hat mit Bewohnern dort über ihre Lebensbedingungen und ihre Lebensperspektive gesprochen … und sagt nur „it’s abuse“. (abuse: engl. für Mißbrauch, Mißhandlung, Mißstand).

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich