Offener Brief – Ablass, Almosen oder aktives Gestalten?

Sehr geehrter Herr Dr. Oberhauser, mit teilweise großem Erstaunen haben wir Ihre Ausführungen im Rahmen der ORF-Veranstaltung am 12. Dezember 2007 im Radio-Kulturhaus verfolgt.

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Insbesondere Ihre Frage „Können wir noch immer nicht mit Behinderten umgehen?“ ließ den Verdacht entstehen, dass wir leider noch immer sehr weit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt sind. Die Tatsache, dass Sie in dieser Frage auf den „Menschen“ verzichtet haben, ist wohl nicht nur ein semantisches Problem. Offensichtlich vertreten Sie die Meinung, für die Kommunikation mit Menschen mit Behinderung bräuchte es spezielle Kenntnisse. Diese Herangehensweise ist ebenso absurd wie jene, die erwachsene Menschen dazu bringt, mit Grimassen in Kinderwägen zu schauen und dabei „dai, dai, dai – wie geht es denn dem kleinen Zuckermäuschen?“ zu sagen.

Im einen wie im anderen Fall erfordern Kommunikation und Umgang den Respekt vor dem Gegenüber sowie die Fähigkeit, sich in dessen Welt hineinversetzen zu können und zu wollen. Dieser Respekt gegenüber Menschen mit Behinderung ist unter anderem auch daran erkennbar, ob ich diesen als Menschen sehe oder es lieber beim „Behinderten“ belasse.

In diesem Zusammenhang ist unseres Erachtens auch die leidvolle Diskussion rund um „Licht-ins-Dunkel“ zu betrachten. Es ist uns unverständlich, dass der Wunsch von behinderten Menschen, bei der Gestaltung „ihrer“ Sendung aktiv mitzuwirken – und damit auch das Bild, das transportiert wird, beeinflussen zu können – auf dermaßen viel Widerstand stößt. Vielleicht brächte auch hier die Auseinandersetzung mit Begriffen und wie sie wirken ein bisschen Licht ins Dunkel.

Die Initiatoren der größten österreichischen Sammelaktion verwenden gerne den Begriff der Integration. Bei Integration handelt es sich um die Schaffung eines neuen Ganzen unter Einbringung einer neuen Gruppe. Die Regeln für das neue Ganze werden jedoch nur von einem Teil des Gesamten gemacht. Was dazu führt, dass sich die zu integrierende Gruppe anpassen muss. Andernfalls gilt sie als „nicht integrierbar“ ….

Da auch Menschen mit Behinderung ein gleichwertiger Teil unserer Gesellschaft sind und damit die Rahmenbedingungen mitgestalten sollten, setzen sie sich für eine inklusive Gesellschaft ein. In dieser Bewegung gilt Heterogenität bzw. Vielfalt als die Normalität und stellt eine Bereicherung für alle dar.

Es stünde dem ORF gut an, sich diesem Weg mit Respekt anzuschließen und damit einen wesentlichen Beitrag zu leisten, die inklusive Gesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen.

Davon ausgehend, dass Sie sich als leitender Mitarbeiter des ORF Ihrer Verantwortung im Rahmen der gesellschaftspolitischen Mitgestaltung bewusst sind, freuen wir uns auf den weiteren Dialog.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Klaus Voget (ÖZIV-Präsident)
Hedi Schnitzer, MAS (ÖZIV Geschäftsführerin)

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