Offener Brief: Eugenische Indikation

Offener Brief an den Verein Österreichischer Juristinnen, die sich in einem Schreiben an den Petitionsausschuss des Nationalrates gegen die Abschaffung der eugenischen Indikation ausgesprochen haben.

Bundesgesetzblatt
BIZEPS

Offener Brief der Ethikkommission FÜR die Bundesregierung

An: Verein Österreichischer Juristinnen, zu Handen Vorsitzende Mag.a Martina Thomasberger und stellvertretende Vorsitzende Dir.in Renate Novak.

Sehr geehrte Mag.a Thomasberger,
sehr geehrte Frau Dir.in Novak,

aus Ihrem Brief an den Petitionsausschuss des Nationalrates schließe ich, dass Sie bislang nur unzureichend über den Sachverhalt der so genannten eugenischen Indikation informiert wurden. Darauf dürfte auch zurückzuführen sein, dass Sie Fristenlösung und Indikationslösung nicht differenziert betrachten.

Die Behindertenbewegung in Österreich hat niemals die Abschaffung oder Änderung der generellen Fristenlösung in Par. 97 StGB verlangt. Das Interesse der Behindertenbewegung gilt ausschließlich der Indikationslösung im speziellen Fall „wenn eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“.

Aufgrund dieses Paragraphen ist es in Österreich möglich, Menschen nach bestimmten, kulturell bedingten Merkmalen zu selektieren. Es geht dabei nicht ausschließlich, wie Sie annehmen, um die Spätabtreibung äußerst schwer behinderte Kinder, sondern um Abtreibungen aufgrund jeglicher Form der Abweichung von medizinischen Normen, die nach dem Ablauf der allgemeinen Frist festgestellt wird.

An dieser Regelung sind mehrere Aspekte problematisch:

  • Es handelt sich deutlich um eine klare Diskriminierung einer bestimmten Personengruppe aufgrund geistiger und körperlicher Merkmale, die gemeinhin als „Behinderung“ bezeichnet werden. Dies widerspricht dem Zusatz zu Artikel 7 BVG, in dem Diskriminierung aufgrund von Behinderung untersagt ist.
  • Die medizinischen Diagnose-Möglichkeiten werden ständig verbessert. Daran ist grundsätzlich nichts schlecht. Allerdings weitet das die Selektionsmöglichkeiten aus.
  • Es gibt keinen „Katalog“, welche Normabweichung als „schwere Schädigung“ einzustufen ist. Dies zu beurteilen überlässt der Gesetzgeber den behandelnden ÄrztInnen und potentiellen Eltern.
  • Die Aufklärung von Eltern über die Möglichkeiten der Pränatal-Diagnostik und die psychische Betreuung für jedwedes Ergebnis und seine Folgen bereits vor den Untersuchungen sind leider sehr mangelhaft.

Die eugenische Indikation hat überdies gesellschaftspolitische Auswirkungen:

  • Die Ärzteschaft wird zunehmend für „perfekte Kinder“ verantwortlich gemacht. Die gesetzliche Regelung ist Basis eines OGH-Entscheides, nach dem einer Mutter Schadenersatz zugesprochen wurde, weil ihr die Möglichkeit der Abtreibung durch mangelnde Diagnose genommen wurde. ÄrztInnen stehen daher massiv unter Druck, jegliche Diagnostik anzuwenden.
  • Es entsteht in der Gesellschaft der Eindruck, jegliche Behinderung sei pränatal zu diagnostizieren und damit Behinderung ausrottbar. Das gesellschaftliche Klima gegenüber Menschen mit Behinderung wird von betroffenen Personen als zunehmend schlechter bezeichnet.
  • Eltern behinderter Kinder müssen sich den Vorwurf gefallen lassen,das behinderte Kind überhaupt aufwachsen zu lassen. Es ist dementsprechend schwierig, dahingehend politischen Druck zu machen, dass Eltern behinderter Kinder in ausreichendem Maß und flächendeckend in ganz Österreich unterstützt werden.

Die Ethikkommission FÜR die Bundesregierung fordert in Gemeinschaft mit den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung daher die Abschaffung der so genannten eugenischen Indikation.

Nicht die Kriminalisierung von Frauen ist das Ziel, sondern eine gleichberechtigte Behandlung aller Menschen, unabhängig von ihrer geistigen oder körperlichen Verfassung.

Diskutiert wird auch eine Änderung der Indikation „psychische Belastung für die werdende Mutter“. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es eine Vielzahl an psychischen Belastungen gibt, die eine Abtreibung rechtfertigen könnten. Sollte eine Lösung in diese Richtung vom Gesetzgeber angestrebt werden, darf die psychische Belastung nicht wieder diskriminierend ausschließlich vom ungeborenen Kind ausgehen, sondern muss andere belastende Faktoren mit einbeziehen.

Ich bin selbstverständlich gerne zu einem persönlichen Informations- und Meinungsaustausch bereit.

Mit freundlichen Grüßen,

Birgit Primig
Ethikkommission FÜR die Bundesregierung
Vorsitzende

(Der ursprüngliche Brief des Vereins Österreichischer Juristinnen ist auf „DieStandard“ http://www.diestandard.at nachzulesen.)

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