Online-Dating-Plattformen für Menschen mit Behinderungen – Chance oder Diskriminierung?

Online-Plattformen sind aus dem heutigen Dating-Leben nicht mehr wegzudenken. Doch was ist mit Plattformen, die sich gezielt an Menschen mit Behinderungen als Zielgruppe richten? Ein Kommentar.

Eine gezeichnete Hand von links mit rosa Pulloverärmel hält ein Handy ins Bild auf dem ein stilisierter Mann und einem abheben und auflegen Symbol zu sehen ist. Von rechts ragt auch eine Hand ins Bild die das Gleiche macht. Sie hat allerdings einen blauen Pulloverärmel und am Handy ist eine stilisierte Frau zu sehen. Der Bildhintergrund ist rosa mit vielen kleinen Herzen.

Das Dating-Leben hat sich verändert. Wie in fast allen gesellschaftlichen Entwicklungen hat auch hier die Digitalisierung Einzug gehalten. Dating-Apps wie Tinder, Lovoo oder Bumble – um nur ein paar zu nennen – sind oft die Vorstufe zu einem realen Kennenlernen.

Mittlerweile gibt es auch Plattformen wie z.B. Handicap Lovebehinderte-dating.com oder liebemitbehinderung.com. Doch sind Plattformen, die sich gezielt an Menschen mit Behinderungen richten, eine Chance für Menschen mit Behinderungen oder sogar eine Form von Exklusion? Ich habe mir, inspiriert durch einen Beitrag der ORF-Sendereihe „Matrix“ und durch meine eigenen Erfahrungen, so meine Gedanken gemacht.

Eine Partnersuche wie Onlineshopping

Ich selbst habe eine Behinderung und habe vor Corona mit Online-Dating-Plattformen begonnen. Was mir bei Plattformen wie Lovoo oder Tinder in den Sinn gekommen ist, ist eine gewisse Parallele zum Onlineshopping. Man hat einen Haufen Bilder, liked sie oder nicht und bekommt meist dann erst die Möglichkeit, eine Nachricht zu schicken.

Der erste Eindruck zählt auch im realen Leben, doch noch stärker im Online-Leben. Denn bei Online-Plattformen ist man auf ein paar Bilder und, wenn´s hochkommt, einen kleinen Steckbrief, reduziert.

Mit Bildern ist das so eine Sache – auch wenn ein Bild einen gewissen Eindruck vermittelt, ist dieser Eindruck natürlich ein ganz oberflächlicher. Auch stellt sich immer die Frage, ob die Bilder, die gezeigt werden, überhaupt die Personen abbilden.

Hier gibt es zwar einige Indizien, an denen man feststellen könnte, ob es tatsächlich die Bilder der Person sind, die hinter dem Computer sitzt, eine Garantie hat man natürlich nie.

Diese Oberflächlichkeit des Online-Datings stellt jeden erst einmal vor die Frage: Wie präsentiere ich mich, welche Fotos geben mich am besten wieder, natürlich soll der erste Eindruck gut sein.

Behinderung erwähnen – ja oder nein

Für Menschen mit Behinderungen ergibt sich noch eine zusätzliche Frage: Wann lasse ich meine Behinderung aufscheinen?

Zeige ich sie auf den Fotos, schreibe ich sie in meinen Steckbrief, erwähne ich sie erst im ersten Chat-Gespräch oder spreche ich gar nicht darüber? Wie man mit dieser Frage umgeht, das muss jeder selbst entscheiden.

Nur manche Behinderungsarten, wie z.B. meine Behinderung, springen einem gleich ins Auge. Deswegen finde ich persönlich es gut, Fotos zu nehmen, wo ich im Rollstuhl sitze oder die Behinderung in meiner Personenbeschreibung zu erwähnen. Auch deshalb, weil ich mich nicht für meine Behinderung schäme und finde, die Menschen sollten mich so sehen, wie ich wirklich bin.

Ich habe trotzdem Anfragen erhalten. Manche waren freundlich und interessiert, andere haben das Thema überhaupt später erst aufgegriffen, wieder andere wurden sehr schnell sehr intim und fragten, welchen Einfluss meine Behinderung auf mein Sexualleben hat.

Das finde ich als erste Frage etwas unangebracht. Aber es zeigt auch, in welche Richtung es für diese Person geht.

Gleich und Gleich gesellt sich gern?

Damit wirbt zum Beispiel die Plattform liebemitbehinderung.com. Sie ist eine der Plattformen, die sich gezielt an Menschen mit Behinderungen richtet.

Ich habe bisher nur die klassischen Plattformen genutzt, aber auch ich habe mich schon oft gefragt, ob ich eine Dating-Plattform für Menschen mit Behinderungen probieren sollte.

Die Sache mit eigenen Dating-Plattformen für Menschen mit Behinderungen hat zwei Seiten – die eine Seite ist: Man muss sich keine Gedanken machen, ob man die Behinderung erwähnt oder nicht; die andere Seite ist: Der Gedanke an die Exklusion.

Im realen Leben lehne ich Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderungen ab – ich will, dass Menschen mit Behinderungen in der Mitte der Gesellschaft leben und das selbstverständlich ist. Warum sollte meine Forderung nach Inklusion im Onlinebereich aufhören?

Nur weil ich ein Mensch mit Behinderung bin, muss ich nicht einen anderen Menschen mit Behinderung daten, es sei denn, er oder sie gefällt mir. Das zweite ist, diese Plattformen werben oft damit, dass es Menschen mit Behinderungen auf herkömmlichen Dating-Plattformen schwerer haben.

In einem Interview auf handicaplove.de sagt der Betreiber, dass er auf die Idee für die Plattform gekommen sei, weil er unter Akne gelitten habe und ihm deshalb in den Sinn kam, dass es Menschen gibt – wie z.B. Menschen mit Behinderungen – denen es noch schwerer fällt, auf Partnersuche zu gehen. 

Hier wird vorab unterstellt, dass Menschen mit Behinderungen von vornherein wenig Chancen auf herkömmlichen Dating-Plattformen haben. Darin schwingt ein gewisser ableistischer Unterton mit, man muss gewissen Normen entsprechen, um im Dating-Leben bestehen zu können. Andernfalls müsse man andere, „geschützte“ Plattformen aufsuchen, bei denen man unter sich ist.

Doch das sollte nicht der Grund für eigene Dating-Plattformen sein. Denn das ist eine Diskriminierung. Aber so weit wie ein Beitrag der „Zeit“, der besagt, dass Online-Dating-Plattformen für Menschen mit Behinderungen gegen die UN-Konvention verstoßen, würde ich nicht gehen.

Generell wünsche ich mir bei Dating-Plattformen mehr Offenheit für Diversität. Denn für ein selbstbestimmtes Leben sind Wahlmöglichkeiten wichtig.

Wenn ich eine Plattform für Menschen mit Behinderungen nutzen möchte, ist das meine Sache, aber das heißt nicht, dass sich andere Online-Dating-Plattformen nicht mit dem Thema Diversität auseinandersetzen müssen.

Raum für Begegnung online und im analogen Leben

Wenn es um Beziehung geht, ist mir eines aufgefallen – es fehlt der Raum, sich kennenzulernen. Besonders bei Online-Dating muss alles sehr schnell gehen. Oft geht es gleich um Fragen wie: Wann willst du eine Beziehung, wann willst du das und das, ohne dass man Raum hat, sich kennenzulernen.

Raum, sich kennenzulernen braucht es vor allem im Alltag abseits der virtuellen Welt. Sind Lokale barrierefrei zugänglich? Gibt es barrierefrei zugängliche Veranstaltungen, die dazu gedacht sind, einfach nur Leute kennenzulernen, ohne den Druck des schnellen Dates. Aus meiner Erfahrung sind Singleveranstaltungen oft nicht gut zugänglich und Menschen mit Behinderungen werden nicht mitbedacht.

Allgemein denke ich, dass Inklusion auch hier der Schlüssel ist. Wenn es selbstverständlich ist, dass Menschen mit Behinderungen von Anfang an Teil unserer Gesellschaft sind, dann werden sie nicht mehr als „Kuriosität“ betrachtet, wenn es um Dating geht. Behinderung ist dann kein mögliches Ausschlusskriterium, sondern Teil der Vielfalt.

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9 Kommentare

  • Ich bin auch kein Fan der Dating-Plattformen für Menschen mit Behinderung, da hier eine Parallelgesellschaft geschaffen wird.
    Wie wäre es denn, wenn es eine allgemeine Plattform gäbe, in der man die Behinderung als ein persönliches Merkmal auswählen kann? Wie ein Piercing oder Tattoo.
    Ich denke, so würde sie über die Zeit für viele das abschreckende verlieren, da der Begriff nicht mehr nur negativ gewertet wird.

  • Also eines muss ich sagen: Handicap Love ist die größte Frechheit im Netz.
    Habe mir vor Jahren als Experiment einen Account angelegt und relativ bald Nachrichtenanfragen bekommen – nur anscheinend muss man zahlen, damit man diese Nachrichten überhaupt lesen kann. Hab ich natürlich nicht gemacht, weil ich nichtmal glaube, dass die Nachrichten echt sind.
    Bald hatte ich meinen Account gelöscht, bekomme aber nach wie vor noch immer Mails von dieser Firma, obwohl ich ausdrücklich gesagt habe, dass ich keine Mails mehr möchte.
    Ganz ehrlich, da bin ich lieber auf tinder etc. unterwegs als bei so einer Abzocke.

    Glimmer war cool, aber das nutzt heutzutage irgendwie keiner mehr…

    • Natürlich musst du zahlen!
      Das ist übrigens bei ALLEN handelsüblichen Plattformen so.
      Von irgendwas müssen die ja leben.
      Und Handicaplove scheint genug Interessenten zu haben, denn den Laden gibt es schon zumindest 14 Jahre.
      Im Vergleich zu Anderen würde ich die sogar als seriös einstufen, denn man kann ohne auch nur eine Mailadresse zu hinterlassen feststellen, ob es überhaupt angemeldete Singles in der eigenen Wohngegend gibt.

  • @Blindwurm: Gebe Ihnen voll und ganz Recht: Ein supergutes Beispiel, wie verkommen und engstirnig die Inklusion(sbewegung) geworden ist: Hinter jedem Pferdemist wird eine Diskriminierung vermutet, Standardgegebenheiten wie Wirtschaftlichkeit, Marketing, etc. ignorierend.
    Die Folge: Zwei Parallelwelten: Da die Inklusion und behinderten Menschen, dort die Realität, ohne behinderte Menschen.

  • Sorry, aber langsam wird mir das echt zu Weltfremd!

    Datingapps sind ein Geschäftsmodell. Wenn es genug interessierte gibt werden sie überleben. Wenn nicht sperren sie halt zu. Und Zielgruppenorientierte Angebote gibt es ja auch für andere Bereiche. (Etwa Senioren oder Homosexuelle).
    Das ist simple freie Marktwirtschaft, welche mit Diskriminierung überhaupt nichts zu tun hat! Wenn sich nicht genug Leute angesprochen fühlen überlebt das Modell ja ohnehin nicht. Und wenn es überlebt fühlen sich offensichtlich Leute dadurch unterstützt.
    Bei den Initiativen für selbstbestimmtes Leben scheint man wirklich zu glauben man könnte die Gesetze des Marktes einfach ignorieren.

    • @Blindwurm Sie übersehen offensichtlich, dass auch mit Ausgrenzung Profit gemacht werden kann, denken wir an Feelware, die vorgibt, nicht barrierefreie Haushaltsgeräte nutzbar zu machen, d.h. jemand profitiert von einer Sachlage, die ausgrenzt. Der Behindertensport lebt ebenfalls von Förderungen, d.h. Doppelstrukturen.

    • Lieber Blindwurm!
      Es ist ja ok, dass du das so siehst, die Autorin sieht das halt anders. Es darf ja mehrere Meinungen geben. Deswegen steht ja auch „Ein Kommentar“ in der Unterüberschrift. Das heißt, es ist eine persönliche Ansicht.

    • @Markus: Zu hundert Prozent korrekt!
      Sorry, da war meine Wortwahl etwas zu stark!
      @Hanna: Das mit Ausgrenzung Profit gemacht wird ist nun mal ein Teil der freien Marktwirtschaft. Das betrifft ja nicht nur uns.
      (Siehe hierfür etwa die auf die Mitleidsdrüse drückenden Werbespots des Kinderhilfswerkes).
      Und so leid es mir tut: Die Möglichkeiten sich gesetzlich gegen nicht barrierefreie Haushaltsgeräte zu wehren sind nun mal sehr gering. Und wenn die Hersteller der Meinung sind, das ihnen diese Umrüstung mehr kostet als nutzt machen sie es nicht. Ob gewisse Gruppen die Geräte dann nicht bedienen können ist denen Wurscht!
      @Sissi: Volle Zustimmung!
      Auch, wenn man nicht gerne darüber redet: Im Endeffekt gelten auch bei der Partnersuche die Gesetze des freien Marktes.
      Und da spiele nun mal auch so unromantische Kriterien wie finanzielle Absicherung und Beliebtheit eine Rolle.
      Auch der Partnersuche wohnt oft der Konkurrenzgedanke“ bei.
      Ich bin froh, das wir in Österreich so einen hohen Lebensstandard haben, das wir die materiellen Kriterien weitgehend verdrängen können.
      Wenn man Statistiken liest kann man gut beobachten: Je besser die Bevölkerung abgesichert ist, desto höher ist in einem Land die Scheidungsrate.

  • Ich finde Menschen, denen was fehlt, einfach geil!
    Hand aufs Herz: Gehen Sie etwa nicht gern mit einem, dem Arme oder Beine Fehlen, der schwachsinnig/kindlich, der psychisch auffällig ist, der nicht sieht, oder hört, ins Bett?

    Falls Sie die Ironie nicht erkannt haben: Ich nicht. Am liebsten wäre mir ein makelloser Adonis. Das hat nichts damit zu tun, ob behindert oder nicht. Ich denke, dass andere Menschen nicht viel anders ticken. Aber: Was kann ich selbst bieten? Nicht viel, wenn ich mir so überlege, welche Typen mich verehren. Heißt: Ansprüche runterschrauben. Houellebecq hat mehrfach in seinen Büchern darauf hingewiesen, dass der Beziehungsmarkt eben ein freier Markt ist, mit entsprechenden Gesetzen und Regeln.

    Onlinebörsen können Vorteile bieten, weil die Behinderung erst einmal verheimlicht werden kann. Sie können aber das Problem auch verschärfen. Was schon Nichtbehinderte alles tun, um sich in einem besseren Licht darzustellen, ist ein Witz. Eine Behinderung hat da einfach keinen Platz.