Online statt auf die Straße gehen

Anlässlich des 29. Europäischen Protesttags für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am 5. Mai 2020 fand eine große Online-Kundgebung statt.

5. Mai - Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung
AbilityWatch

Seit 1992 findet der Europäische Protesttag „Für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen“ statt. Normalerweise würden an diesem Tag viele Menschen mit Behinderungen auf die Straße gehen und für ihre Rechte kämpfen.

Am 5. Mai 2020 war das aufgrund von COVID-19 nicht möglich. Deshalb wurde eine große Online-Kundgebung veranstaltet. Vorab konnte man kurze Texte oder Videobeiträge einreichen. Die Resonanz war groß. Insgesamt reichte es für über fünf Stunden Videomaterial. Die Videobeiträge wurden von den deutschen Inklusions-Aktivisten Raul Krauthausen und Constantin Grosch vorgestellt und moderiert.

Screenshot der Online-Demo am 5. Mai 2020
BIZEPS

Protestieren in Zeiten der Krise

Verschiedenste Aktivistinnen und Aktivisten aus unterschiedlichen Institutionen sowie Politikerinnen und Politiker meldeten sich mit Online-Beiträgen zu Wort. Die präsentierten Themen waren vielfältig und natürlich auch von der derzeitigen Situation beeinflusst. So wurde zum Beispiel das Thema der Risikogruppe öfter zur Sprache gebracht.

Die Risikogruppe seien eigentlich nicht wir Menschen mit Behinderungen, sondern jene die sich risikoreich verhalten, meint zum Beispiel Ottmar Miles-Paul. Die besondere Problematik des Begriffes der Risikogruppe zeigt sich in der Diskussion rund um das Thema Triage.

Relevanter denn je

Die Triage ist ein Verfahren, in dem das medizinische Personal entscheidet, wer behandelt werden soll und wer nicht. Dies wird mithilfe von sogenannten klinisch-ethischen Empfehlungen entschieden. Gerade in Zeiten von COVID-19 ist dieses Thema sehr relevant, wie sich in vielen Beiträgen zeigt. „Ich habe ziemlich große Sorgen, dass behinderte Menschen keine fairen Chancen haben in Triage-Situationen Behandlung zu bekommen“, so Kassandra Ruhm

Auch Isolation in Heimen ist ein Thema, wenn es um sogenannte Risikogruppen geht. „Wir müssen euch besonders schützen, also sondern wir euch besonders ab“, bringt ein Beitrag die Problematik auf den Punkt.

Diskriminierung, Barrieren und fehlende Sichtbarkeit

Aber nicht alle Themen sind von der Corona-Problematik beeinflusst, auch alltägliche Diskriminierungen werden angesprochen. Über Kleinwüchsigkeit als Attraktion im Alltag spricht eine Poetry-Slammerin. „Nennt kleinwüchsige Menschen nicht Liliputaner, sondern bei ihren Namen und habt Respekt“, fordert sie. Sprache ist das schönste Transportmittel für Verständnis, heißt es an anderer Stelle, wo es um die Wichtigkeit diskriminierungsfreier Sprache geht.

Eine Schauspielerin mit Lernschwierigkeiten spricht über Pränataldiagnostik aus der Sicht einer Betroffenen und fordert, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten in Filmen sichtbarer werden und das nicht nur, wenn es um das Thema Behinderung geht.

Ein weiteres dominierendes Thema waren Barrieren. „Alle elf Minuten trifft ein behinderter Mensch auf eine Barriere“, heißt es in dem an Parship angelehnten Beitrag, genannt Cripship.

Otmar Miles-Paul sagt, er hätte nicht gedacht, dass man im Jahr 2020 immer noch protestieren müsste. Die Vielzahl der eingelangten Beiträge zeigt die Notwendigkeit eines solchen Protestes.

Mahnende Worte zum Schluss

Diese kommen von Raul Krauthausen. Eine echte Kehrtwende in der Behindertenpolitik sieht er noch nicht. Aufklärungs- und Informationskampagnen würden nichts bringen, sagt Krauthausen. Er fordert Menschen mit Behinderungen anlässlich des Protesttages auf, aktiv für ihre Rechte einzutreten.

„Wir müssen das Zepter in die Hand nehmen, wenn es um unsere eigenen Belange geht. Wir haben die Expertise. Wir wissen aus erster Hand, was fehlt und was und wer uns daran hindert, das zu erreichen. Setzen wir uns daher selbst ans Werk, anstatt weiterhin Sonntagsreden zu akzeptieren.“

Zum Nachsehen: Video Teil 1, Video Teil 2

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Ein Kommentar

  • „Normalerweise würden an diesem Tag viele Menschen mit Behinderungen auf die Straße gehen und für ihre Rechte kämpfen.“
    Das trifft auf jeden Fall für Deutschland zu und ist ganz ganz wichtig.
    Leider nicht für Österreich was die letzten Jahre anbelangt. Zwischen den Protestkulturen von Ö und D gibt es erhebliche Unterschiede, was das Thema Behinderung betrifft trennen uns Welten! Das hat sicherlich viele Gründe, über die nachgedacht werden sollte. Einer hat sicherlich mit fehlender Emanzipation, fehlenden Zugangsmöglichkeiten und mangelnder Vernetzung zu tun. Ein anderer, dass sich behinderte Menschen und ihre Freunde / Angehörigen lieber auf Vertretungen verlassen. Und diese haben auf einen anderen Kurs gesetzt. Und: Solidarität ist in Ö – leider – gewaltig außer Mode gekommen.