Meine Laudatio bei der Preisverleihung am 15. November 2014 in Wien.
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Ottmar,
Die Rache des Journalisten ist das Archiv, sagte der österreichischer Journalist und Fernsehmoderator Robert Hochner einmal.
Ich bin Journalistin und in der Tat habe ich als Vorbereitung auf diese Rede die deutsche Zeitungsdatenbank Genios bemüht und den Suchbegriff „Ottmar Miles-Paul“ eingeben. Natürlich nicht aus Rache, sondern ich hatte einen Verdacht.
Ich wollte wissen: Kann man anhand eines Namens die wichtigsten politischen Ereignisse in der Geschichte der deutschen Behindertenbewegung in den vergangenen 25 Jahre nachvollziehen? Ich kann Ihnen sagen, man kann.
Nicht weniger als 1200 Artikel sind bis heute in deutschen Zeitungen erschienen, in denen der Name des heutigen Preisträgers vorkommt. Ich kann Ihnen als Journalistin sagen, dass ist eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, wie wenig beliebt Themen wie Barrierefreiheit und Gleichstellung behinderter Menschen bei Journalisten bis vor wenigen Jahren waren.
Die Artikel tragen Überschriften wie „Aufruf zum Kampf gegen Barrieren“, „Behinderte fordern ein Gleichstellungsgesetz“, „Behinderte verärgert wegen Antidiskriminierungsgesetz“. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Jedes wichtige Ereignis in der Bundesrepublik, das das Leben, die Teilhabe und die Inklusion behinderter Menschen betrifft, ist mit dem Namen „Ottmar Miles-Paul“ verbunden.
Er ist Sprachrohr, Netzwerker und Strippenzieher. Er ist ein Macher und er hat es wie kein Zweiter geschafft, die Anliegen von Menschen mit Behinderungen in die Öffentlichkeit zu tragen und die Politik dafür zu interessieren. Er war es, der zusammen mit Mitstreitern den Nachrichtendienst Kobinet ins Leben rief, der bis heute eine der wichtigsten Nachrichtenquellen ist, wenn es um die Teilhabe behinderter Menschen geht.
Ottmar wurde 1964 geboren und ging in seiner Heimat Ertingen bei Bieberach in Baden-Württemberg zur Hauptschule und in Stuttgart zur Blindenschule. Am Aufbau-Gymnasium der Deutschen Blindenstudienanstalt in Marburg bestand er 1985 sein Abitur und studierte an der Gesamthochschule in Kassel Sozialarbeit.
Nach dem Abschluss seines Studiums als Diplom-Sozialarbeiter ging er in die USA und lernte in Berkley die amerikanische Behindertenbewegung kennen.
Die Erfolge der Selbstbestimmt Leben-Bewegung in den USA unter der Führung von Judith Heumann ermutigten ihn in der Bundesrepublik zur Gründung der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben mit Sitz in Kassel; Ottmar Miles-Paul wurde Geschäftsführer und war ab diesem Zeitpunkt ein gern gesehener Kommentator zur Gleichstellung behinderter Menschen.
Im Magazin „Der Spiegel“ bemängelte er bereits 1993, dass es zu wenig behinderte Abgeordnete gebe und forderte aussichtsreichere Listenplätze. 1994 forderte er in der Süddeutschen Zeitung die Abschaffung der Aktion Sorgenkind. Ottmar hatte es satt, dass behinderte Menschen als Fürsorgeobjekt statt als erwachsene Menschen mit Rechten angesehen wurden. Was folgte war eine Umbenennung der Soziallotterie in „Aktion Mensch“. Er setzte sich erfolgreich für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen im Grundgesetz ein, forderte ein Bundesbehindertengleichstellungsgesetz, das auch 2002 kam.
2007 wurde er Behindertenbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz. Auch bei diesem Amt auf der „anderen Seite“ der Politik hinterließ Ottmar Miles-Paul nachhaltige Spuren.
„Er hat die Politik für die über 400.000 Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz weiterentwickelt und vieles angeschoben, das bundesweit Modellcharakter hat“, sagt der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck über ihn.
Malu Dreyer, frühere Sozialministerin in Rheinland-Pfalz und heutige Ministerpräsidentin des Landes sagt über ihn: „Ottmar Miles-Paul hat in seiner fünfjährigen Amtszeit vor allem durch seine vermittelnde und engagierte Art viele Verbündete für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gewonnen.“
Ottmar schaffte es in seiner 5-jährigen Tätigkeit als Behindertenbeauftragter, 26 Zielvereinbarungen mit Unternehmen für mehr Barrierefreiheit abzuschließen. Die weitgehend barrierefreie Bundesgartenschau 2011 in Koblenz gehen genauso auf sein Konto wie die Entwicklung neuer Wohnformen für behinderte Menschen mitten in der Gemeinde.
Er setzte sich für mehr Untertitel im deutschen Fernsehen ein, ließ die Dienstausweise der rheinland-pfälzischen Polizei mit Blindenschrift versehen, um mal nur ein paar Beispiele seiner Arbeit zu nennen. So war es nicht verwunderlich, dass das Bedauern groß war, als sich Ottmar entschied, das Amt des Behindertenbeauftragten nach fünf Jahren aufzugeben.
Vor einiger Zeit wurde Ottmar Miles-Paul in einem Interview gefragt, was er denn noch erreichen möchte in seinem Leben. Seine Antwort: „Dass ich mit meinem Engagement für die Gleichstellung und Selbstbestimmung behinderter Menschen nicht mehr gebraucht werde.“
Ich befürchte, das wird noch etwas dauern, Ottmar. Es gibt noch viel zu viel zu tun. Wir brauchen Dich noch eine Weile. Aber ich wünsche Dir, dass Dich dieser Preis motiviert, auf Geleistetes stolz zurückzublicken und er Dir für das, was kommen mag, weiter viel Kraft und Erfolg schenkt.
Herzlichen Glückwunsch zum Dr. Elisabeth Wundsam-Hartig Preis, Ottmar!
(Siehe Fotos von der Veranstaltung)