Panik aus Ahnungslosigkeit

Das Europaparlament will Untertitel für alle Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Deutsche Medien überschlagen sich in der Berichterstattung. Ein Kommentar.

Teletext im ORF
BIZEPS

Blankes Entsetzen ist in Deutschland ausgebrochen. Schnell waren die Schuldigen gefunden: Die EU – genauer das EU-Parlament.

Begonnen hatte der Medienreigen mit einer Pressemeldung der Agentur AFP. Folgendes wurde vermeldet: Das EU-Parlament möchte öffentlich-rechtliche Fernsehsender verpflichten alle Sendungen zu untertiteln. „Auch eine Rede von US-Präsident George W. Bush in der Tagesschau müsste danach im Original gezeigt werden“, war beispielsweise zu lesen.

Spiegelbild der Online-Medien

Was dann passierte, zeigt den derzeitigen Zustand vieler Online-Medien, der sich in der Artikelproduktion so beschreiben lässt: Man nehme eine Agenturmeldung, ändere die Überschrift und füge im Text eigene Gedanken hinzu. Auf die Recherche wird leider größtenteils verzichtet.

Konkret wurde in diesem Fall Untertitelung und Synchronisierung schlicht verwechselt. Das Ergebnis war überwältigend, viele Online-Medien ereiferten sich. Der Spiegel titelte mit „Bush bald nur noch mit Untertiteln?“ und unkte im Text: „Wenn es nach dem Willen des Europa-Parlaments geht, sollen Fernsehfilme in Deutschland bald im Original und mit Untertiteln gezeigt werden.“

Auch in der Welt gingen die Wellen hoch. „Selbstverständlich ist die Behauptung haltlos, Europas Abgeordnete säßen tatenlos herum und sinnierten allenfalls darüber, in welchem Restaurant sie ihre Diäten verfuttern. Denn es mangelt nicht an Beispielen für den kreativen Eifer der Parlamentarier“, mokierte man sich und machte sich mit ein paar Beispielen von Untertitelungen darüber lustig.

Der Bild ist das eine Meldung mit dem Titel „Ausländische TV-Filme nur mit Untertiteln?“ wert und die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht von einem „seltsamen Verständnis von Pressefreiheit“. Der Kölner Express gar von „EU-Wahnsinn“.

Die wahrscheinliche dümmste Meldung erschien im Tagesspiegel. Dort machte man sich am Beispiel eines Filmes lustig, wenn zu lesen ist: „Es leuchtet ein, dass der Film Untertitel braucht, die Zahl der Kirgisischkundigen hierzulande dürfte sich in überschaubaren Grenzen halten.“ Doch völlig unabsichtlich trifft der Artikel den wahren Kern des EU Vorstoßes, wenn dort angesichts des Nichtverstehens gefragt wird, ob man „nicht auf unerträgliche Weise ausgeschlossen vom Programmangebot der öffentlich-rechtlichen Sender“ sei.

Genau darum geht es nämlich. Nicht ob, Deutsche einen Film aus Kirgisistan in deren Landesprache verstehen, sondern ob hörbehinderte und gehörlose Menschen in Deutschland die Programmangebote der öffentlich-rechtlichen Sender verstehen können. Und dies ist eben nur mit Untertitel möglich; daher der EU Vorstoß.

Was wirklich gefordert wurde

Wenn man den Wirbel betrachtet, fragt man sich, wie es zu diesem Mediensturm gekommen ist. Der Text, der im EU-Parlament besprochen wurde sowie die danach verfasste Presseerklärung rechtfertigen den Wirbel nämlich nicht. Gemeint ist nämlich nur, dass öffentlich-rechtliche Fernsehsender alle Sendungen mit zuschaltbaren Untertiteln anbieten sollen. Die BBC untertitelt nach eigenen Angaben beispielsweise nahezu alle Sendungen.

Andere Länder untertiteln teilweise mehr als 50 %. Der deutschsprachige Raum ist im Bereich Untertitelung ein Entwicklungsgebiet. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender im deutschsprachigen Raum untertiteln kaum ein Viertel der Sendungen; manche sogar noch deutlich weniger.

Unwissenheit gepaart mit mangelhafter Berufsausübung

Es wundert, dass in Deutschland die glatte Falschmeldung der Nachrichtenagentur AFP nicht erkannt wurde und anscheinend in den Redaktionen quer durch das Land dieser Irrtum der Nachrichtenagentur nicht auffiel.

Schlimmer noch. Statt ordentlicher Recherch (ein Grundpfeiler des Journalismus) zu betreiben, wurde der Unsinn noch ausgeschmückt und pointierter vermarktet. In einem von mir besuchten Seminar hat ein APA-Redakteur bezüglich Recherche folgenden wichtigen Satz von sich gegeben: „The choice between being first and being right is no choice at all„!

Und genau diese Auswahl „Geschwindigkeit oder Echtheit“ hat in vielen Online-Redaktionen nicht funktioniert. Stefan Niggemeier und Christiane Link kritisieren ihre Berufskolleginnen und Berufskollegen daher schonungslos; wenn auch berechtigt. „Wie diese Ente entstehen konnte, ist mir übrigens völlig klar: Aus purer Ahnungslosigkeit“, meint Link, die in ihrer beruflichen Laufbahn schon für die Deutsche Presseagentur und die BBC gearbeitet hat, in ihrem Blog.

„Die Beklopptheit deutscher Medien ist grenzenlos“, meint unschmeichelhaft Stefan Niggemeier in seinem hervorragenden Kommentar. Darin sind viele der Falschmeldungen zitiert und auch mit Bildern dokumentiert, weil – nach einer AFP-Korrekturmeldung – die Medien reihum ihre Artikel mit „Updates“ und einige auch mit ehrlicheren Hinweisen wie „Richtigstellung“ verändert haben (siehe beispielsweise Spiegel).

Und Österreich?

In Österreich fand ich die Meldung in den großen Onlinemedien (ORF, Standard, Kurier, Presse, …) nicht. Welchen Schluss soll man daraus ziehen? Ist bei uns der Wissenstand zum Thema Untertitel im Fernsehen soviel höher als in Deutschland? Das kann man sicherlich verneinen. Auch Österreich gehört zu den europäischen Entwicklungsländern in Sachen Untertitel.

Sind also unsere Journalistinnen und Journalisten besser als die deutschen Kolleginnen und Kollegen? Diese Frage wage ich nicht zu beantworten, aber es drängt sich eine viel einfachere Lösung auf.

Die APA – die österreichischen Nachrichtenagentur – hat die AFP Meldung, soweit ich es gesehen habe, nicht übernommen und daher kam man in Österreich gar nicht in die Verlegenheit es zu vermelden. Eigene Recherche – jenseits der Agenturmeldungen ist leider auch bei uns nicht gängige Praxis.

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