Parteien antworten auf unsere Forderungen

Am 23. Oktober 1995 haben wir an die Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien ein umfassendes Forderungsprogramm gerichtet und gebeten uns mitzuteilen, ob sie bereit sind, unsere Forderungen zu unterstützen.

Viele Fragen
unbekannt

Nunmehr liegen die Reaktionen aller fünf Parteien vor. Wir bringen nachfolgend die ungekürzten Antworten zu den einzelnen Punkten. Wir wollen die Texte nicht kommentieren, weil sie für sich sprechen und weil wir der Meinung sind, daß sich unsere LeserInnen selbst ein Bild machen können.

Wir hoffen Ihnen mit diesem Service eine Unterstützung für die Wahl am 17. Dezember 1995 angeboten zu haben.

Unsere Forderungen: Schule, Ausbildung, Arbeit

  1. Recht auf schulische Integration. Weiterführung der schulischen Integrat-ion über das Volksschulalter hinaus in der gesamten Sekundarstufe sowie bedarfsgerechte Rahmenbedingungen der Integration (LehrerInnenaus- und fort­bildung).
  2. Schaffung von Chancengleichheit durch Nachteilsausgleich in der Berufsausbildung bis hin zur universitären Ausbildung: behinderungsbe­dingte Erschwernisse sowie Erschwernisse durch unzureichende Rahmenbedingungen müssen ausgeglichen werden, z. B. durch Ge­bärden­dol­metscherInnen.
  3. Erfüllung der im Behinderteneinstellungsgesetz vorgesehenen Be­schäftigungs­quoten für behinderte ArbeitnehmerInnen: Allein beim Bund sind Tausende sogenannte Pflichtstellen nicht besetzt; dazu kommen noch Tausende weitere nicht besetzte Stellen im öffentlichen Bereich. Wir fordern daher, daß sich die öffentliche Hand nicht länger durch die Zahlung der Ausgleichstaxe von der Verpflichtung zur Einstellung behinderter Menschen „freikaufen“ kann. Weiters fordern wir eine drastische Anhebung der Ausgleichstaxe auf die Höhe des branchenüblichen Kollektivvertrages.
  4. Die extrem hohe Arbeitslosenquote unter behinderten Menschen (mehr als 26.000 Personen im Juni 1994) soll nicht durch neue aussondernde Be­hindertenwerkstätten (Geschützte Werkstätten – oder wie sie jetzt heißen Integrative Betriebe) sondern etwa durch Arbeitsassistenz sowie der tatsächlichen Leistungsminderung entsprechende Lohn­kostenzuschüsse bekämpft werden.

Dr. Franz Vranitzky – SPÖ:

1) Die Integration behinderter Menschen in Schule und Berufsausbildung wird im Behindertenkonzept der österreichischen Bundesregierung als grundlegende Zielsetzung betont. Auf diesem Gebiet sind auch durch die 15. Schul­organisations-Novelle bereits wesentliche Fortschritte erreicht worden. Auch die Notwendigkeit einer verstärkten Information über die besonderen Bedürfnisse behinderter Menschen für spezielle Berufsgruppen (wie z. B. LehrerInnen) ist als Zielsetzung im Behindertenkonzept enthalten.

2) Im Zusammenhang mit der Berufsausbildung behinderter Menschen besteht derzeit ein sehr umfangreiches Förderungsinstrumentarium. Dieses umfaßt sowohl Sach- als auch Geldleistungen an Dienstgeber, Dienstnehmer bzw. Auszubildende sowie an Ausbildungseinrichtungen. Die Kosten werden je nach Personenkreiszuge­hörigkeit vom Ausgleichstaxfonds, vom Arbeitsmarktservice, von den Pensions- und Unfallversicherungsträgern sowie von den Ländern getragen.

Hinsichtlich der Beiziehung von Ge­bärden­dolmetscherInnen stelle ich fest, daß bereits nach den zur Zeit gültigen Richtlinien für die Gewährung von Förderungen aus den Mitteln des Aus­gleichs­taxfonds Kosten allein vom Bundes­sozialamt im Einzelfall bis zur Höhe von S 30.000,- zu Lasten des Ausgleichstaxfonds übernommen werden können, wenn ein begünstigter Behinderter zur Absolvierung einer Schulungs- oder Weiterbildungsver­an­staltung eines Dolmetschers bedarf.

Auch für behinderte Menschen, die eine universitäre Ausbildung absolvieren, sind bereits nach den derzeit geltenden Richtlinien aus Mitteln des Aus­gleichs­taxfonds eine Reihe von Sach- und Geldleistungen (elektronische Hilfsmittel für Blinde, Kom­munikationshilfsmittel für Gehörlose etc. sowie Ausbildungsbeihilfen) vorgesehen.

Die Berufsausbildung behinderter Menschen wird ebenso wie die Eingliederung behinderter Menschen in das Berufsleben auch zukünftig einen besonderen Schwerpunkt bei der Förderungsvergabe insbesondere seitens des Aus­gleichstaxfonds bilden.

3) Um die Integration behinderter Menschen ins Erwerbsleben noch weiter zu verbessern, erarbeitet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales derzeit eine Novelle zum Behinderteneinstellungsgesetz. In diesem Entwurf sollen vor allem Maßnahmen getroffen werden, aufgrund derer die in Österreich bestehende gesetzliche Verpflichtung, behinderte Menschen einzustellen, an das international übliche Ausmaß angenähert werden soll. Ferner soll, um die bestehenden Ko­finan­zierungs­möglichkeiten aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds vermehrt in Anspruch nehmen zu können, künftig der Förderungs­schwerpunkt bei gezielter Einzelförderung zur Unterstützung der Einstellung behinderter Menschen gesetzt werden.

4) Zu der angesprochenen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit behinderter Menschen durch Arbeitsassistenz und Leistung von Lohnkostenzuschüssen halte ich fest, daß ich es als vorrangig erachte, behinderte ArbeitnehmerInnen in den offenen Arbeitsmarkt einzugliedern. Die Leistung von Lohnkostenzuschüssen zum Ausgleich einer be­hinderungsbedingten Leistungsbe­ein­trächtigung stellt neben anderen Faktoren wie die Finanzierung einer be­hindertengerechten Ausstattung eines Arbeitsplatzes den wesentlichsten Faktor dar. Dies zeigt auch die alljährlich ansteigende Zahl von Lohnkostenzuschußleistungen. Ergänzend halte ich fest, daß durch das im Jahre 1995 neu eingeführten Förderungsinstru­men­tarium Dienstgebern ein zusätzlicher Anreiz geboten wird, begünstigte Behinderte einzustellen.

In der Frage der Arbeitsassistenz führen die Bundessozialämter mit den Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice, den Ländern und potentiellen Projektträgern laufend Gespräche über die Errichtung weiterer Arbeitsassistenzprojekte. Für die nächsten Jahre ist eine bedarfsorientierte Ausweitung der Ar­beits­assistenz auf ganz Österreich geplant.

Als weiterer Förderungsschwerpunkt des Ausgleichstaxfonds sind die Sonderprogramme zu nennen. Die Förderung im Rahmen der Sonderprogramme erfolgen für Unternehmen der freien Wirtschaft, die in ihren Betrieben Organisa­tions­einheiten von zumindest drei Arbeits- oder Ausbildungsplätzen für be­hinderte Menschen errichten.

Dr. Wolfgang Schüssel – ÖVP:

Die ÖVP tritt für umfassende Integrat-ion in allen Lebensbereichen ein. Dazu gehört flächendeckend ausgebaute Haus­frühförderung, die Integration in Kindergärten und vor allem in der Schule. Bundesministerin Elisabeth Gehrer bereitet ein neues Schulorganisa­tions­gesetz vor, das die Integration von behinderten Kindern auch in weiterführenden Schulen regeln soll.

Das bedingt den bedarfsgerechten Ausbau der Rahmenbedingungen, insbesondere der LehrerInnenaus- und -weiter­bildung, fördernde Maßnahmen im Schul- und Berufsausbildungsbereich sowie in der universitären Ausbildung. Ebenso ist die rasche Umsetzung der notwendigen baulichen Maßnahmen zu forcieren.

Selbstverständlich gehört dazu auch die Integration in der Arbeitswelt und im Freizeitbereich. Der öffentliche Dienst muß weit stärker als bisher seiner Verpflichtung zur Einstellung behinderter Menschen nachkommen und dies im Rahmen von Integrationsprogrammen forcieren, so wie z. B. im BMUJF unter Maria Rauch-Kallat innerhalb eines Jahres die Integration von 17 behinderten ArbeitnehmerInnen erfolgte. Zusätzliche Förderung bei der Beschäftigung behinderter Menschen in der freien Arbeitswelt sollen die Bereitschaft der Betriebe zur Integration behinderter Menschen erhöhen.

Dr. Jörg Haider – Die Freiheitlichen:

1 und 2) Diese Forderungen werden von uns unterstützt. Entscheidend für das Funktionieren der Integration ist die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen.

3) Auch wir meinen, daß sich gerade die öffentliche Hand bei der Behinderteneinstellung nicht freikaufen soll. Verhindert werden kann dies aber kaum, weil eine verbindliche Anordnung ebenfalls nicht exekutiert werden kann. Wir sprechen uns daher dafür aus, sie einzelnen Ressorts zahlungspflichtig zu machen und die Ausgleichstaxen nicht mehr zentral zu bezahlen, damit der Druck auf die einzelnen Ministerien größer wird. Die gestiegene öffentliche Aufmerksamkeit bewirkt hier aber sicher auch einiges.

4) Die geschützten Werkstätten haben sich als Übergangsstation in den freien Arbeitsmarkt nicht bewährt. Die Förderung durch Lohnkostenzuschüsse erscheint eine geeignete Form, die Beschäftigung auch von Behinderten zu erreichen, deren Leistungsfähigkeit bedeutend gemindert ist und die damit keine Beschäftigung zum Kollektivvertrag finden können.

Dr. Madeleine Petrovic – Die Grünen:

1) Es muß nicht nur ein uneingeschränktes Recht auf Volksschule und die gesamten Sekundarstufen geben. Integration muß bereits im Kindergarten beginnen. Behinderte Kinder müssen auch das Recht auf den Besuch des Regelkindergartens haben, denn die Praxis zeigt ja immer wieder, daß es noch viel schwieriger ist das Recht auf Regelschule einzufordern, wenn ein Kind vor Schuleintritt bereits in einem Sonderkindergarten war. An das Recht auf Nichtaussonderung muß das Recht auf bedarfsgerechte Rahmenbedingungen gekoppelt werden.

2) Die völlige Chancengleichheit in der gesamten Ausbildung (von der Berufsschule, über die Fort- u. Weiterbildung, bis hin zur Uniausbildung) muß durch das Vorhandensein von bedarfsgerechten Rahmenbedingungen abgesichert sein. So muß etwa gehörlosen Menschen ihr behinderungsbedingter Nachteil dadurch ausgeglichen werden, indem ein/e GebärdendolmetscherIn zur Verfügung steht. Sehschwachen und blinden Menschen muß bedarfsgerechtes Lesegerät etc. zur Verfügung stehen.

3) Keine Freikaufsmöglichkeit mehr für Bund, Länder, Gemeinden, öffentl. Dienst bei gleichzeitiger Aufhebung der Sonderregelung bei der Berechnung der Schlüsselzahl. Anhebung der Aus­gleichs­taxzahlungen auf das durchschnittliche Monatseinkommen eines Betriebes incl. aller Lohnnebenkosten.

4) Öffentliche Finanzierung nur mehr für Arbeitsplätze für behinderte Ar­beit­nehmerInnen am ersten Arbeitsmarkt sowie Finanzierung bedarfsgerechter Rahmenbedingungen (Arbeits­assi­stentInnen). Ausgleich der tatsächlichen Leistungsminderung durch entsprechende Lohn­kostenzuschüsse an die Betriebe, die behinderte Menschen einstellen durch öffentliche Gelder (BSA, AMS, etc.).

Dr. Heide Schmidt – Liberales Forum:

Die Punkte 1 und 2 werden von mir und dem Liberalen Forum grundsätzlich unterstützt. Hinsichtlich des Punktes 3 bin ich ebenso wie Sie der Anschicht, daß die Regelung betreffend die Nichterfüllung der im Behinderteneinstellungsgesetz festgelegten Quoten durch den Bund und die anderen Gebietskörperschaften einen großen Fehler darstellt und daß es falsch ist, in diesem Bereich die Möglichkeit der Befreiung durch Zahlungen der Ausgleichstaxen zu ermöglichen. Das BehEG müßte in dem Sinn novelliert werden, daß die Gebietskörperschaften die Quoten voll zu erfüllen haben. Eine Erhöhung der Ausgleichstaxe auf den kollektivver­trag­lichen Lohn halte ich allerdings für irreal. Der Punkt 4 ist gerechtfertigt und wird vom Liberalen Forum voll unterstützt.

Unsere Forderungen: Vertretung durch eine/n direkt Betroffene/n im Parlament

Die Vertretung durch direkt betroffenen Menschen im Parlament ist etwa in den Bereichen LehrerInnen, Landwirtschaft und BeamtInnen schon längst zum politischen Alltag geworden. Bei behinderten Menschen wird aber immer noch – von einer Ausnahme abgesehen – Stellvertreterpolitik betrieben. Wir fordern daher die Reihung eines behinderten Menschen an sicher wählbarer Stelle für die kommenden Nationalratswahlen.

Dr. Franz Vranitzky – SPÖ:

(keine Stellungnahme eingelangt)

Dr. Wolfgang Schüssel – ÖVP:

Die ÖVP hat sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart von Behinderung betroffene Menschen in ihren politischen Vertretungskörpern.

Dr. Jörg Haider – Die Freiheitlichen:

Ich teile die Ansicht nicht, daß nur persönlich Betroffene eine Sache gut vertreten können. Die freiheitliche Be­hin­der­tensprecherin ist als Mutter eines be­­hinderten Kindes in meinen Augen hervorragend geeignet, die Anliegen der Behinderten im Nationalrat zu vertreten. Darüber hinaus wurde auf der Wiener Nationalrats-Wahlliste eine Be­hinderte an aussichtsreicher Stelle gereiht.

Dr. Madeleine Petrovic – Die Grünen:

Durch die Wiederwahl von Theresia Haidlmayr auf den sicheren 4. Listenplatz der Bundesliste (übrigens mit 91,8%) haben sich die Grünen eindeutig zur Notwendigkeit, daß behinderte Menschen ihre Forderungen selbst vertreten, bekannt.

Dr. Heide Schmidt – Liberales Forum:

Bei dieser Forderung muß man bedenken, daß es sich dabei nur um EINE spezifische Form direkter Interessensvertretung handeln würde und viele andere Gruppen berechtigterweise dann den gleichen Anspruch zu stellen hätten.

Unsere Forderungen: Pflegevorsorge

  1. Die Leistungen des Bundespflegegeldgesetzes dürfen nicht reduziert werden.
  2. Das Pflegegeld muß rückwirkend per 1. Jänner 1996 valorisiert werden.
  3. Das BPGG bedarf einer Novellierung sowie seine Einstufungsverordnung einiger Verbesserungen: a) Schaffung einer sogenannten „offenen Pflegegeldstufe“ gegen Nachweis der tatsächlichen Kosten.

    b) Ausbezahlung des Pflegegeldes für Kleinkinder ab dem Zeitpunkt des tatsächlichen Bedarfs.

    c) Miteinbeziehung von gehörlosen Menschen in den Kreis der Pflege­geld­bezieherInnen.

    d) Verbesserung der Einstufungskriterien vor allem bei geistig und seelisch behinderten Menschen sowie bei Personen mit Demenz und bei Roll­stuhlfahrerInnen.

    e) Einführung eines Rechtsanspruches auf bedarfsgerechtes Pflegegeld.

  4. Der Bund muß gegenüber den Ländern auf die Einhaltung der § 15a Vereinbarungen drängen, insbesondere die Kostensätze der Sozialen Dienste betreffend.
  5. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat darauf zu dringen, daß die Empfehlung des Bundesbehindertenbeirates, die Höhe der Kostensätze betreffend, von den Ländern eingehalten wird.

Dr. Franz Vranitzky – SPÖ:

1) In der Pflegevorsorge wird es zu keinen Qualitätsverschlechterungen kommen und es keine Änderungen geben, die nicht sozial verträglich sind. Die SPÖ hat vorgeschlagen, daß während eines stationären Krankenhausaufenthalts grundsätzlich ein sofortiges Ruhen des Pflegegelds eintritt, weil in diesem Fall die erforderliche Pflege sichergestellt ist.

2) Ein Anpassung des Pflegegeldes für das Jahr 1996 ist im Bundespflegegeldgesetz derzeit nicht vorgesehen.

3a) und 3e) Angesichts der Gesamtkonzeption der Neuordnung der Pflegevorsorge ist das Pflegegeld lediglich ein pauschalierter Kostenbeitrag zu den pflegebedingten Mehraufwendungen, der die Möglichkeit des Einzelnen verbessern soll, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. In den meisten Fällen übersteigen die tatsächlichen Kosten der Pflege die vorgesehenen Beiträge bei weitem. Nach den bisherigen Erfahrungen werden durch das Pflegegeld etwa 20 bis 30 % des Pflegeaufwandes abgedeckt. Die gesetzliche Verankerung der Abdeckung besonderer pflegebedingter Aufwendungen bzw. der Möglichkeit, im Einzelfall auch über die höchste Stufe hinaus Geldleistungen zu erbringen, ist – auch ich bedaure das – nicht finanzierbar.

3b) Eine Abstandnahme von der Vollendung des dritten Lebensjahres für die Gewährung von Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz ist vorstellbar. Durch diese Änderung könnte die derzeit bestehende Versorgungslücke zwischen dem zweiten (Ende des Karenzgeldbezugs) und dem dritten Lebensjahr geschlossen werden. Derzeit kann in sechs Ländern die Voraussetzung von der Erreichung eines bestimmten Alters für die Gewährung von Pflegegeld nachgesehen werden.

3c) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales teilt mir dazu mit, daß die Hörbe­hinderung alleine keinen Pflegegeld­aufwand im Sinne des Bun­des­pflege­geldgesetzes bedingt und hoch­gradig hörbehinderte und gehörlose Menschen trotz dieser einschränkenden Behinderung sämtliche im täglichen Lebenslauf notwendigen Verrichtungen selbständig bewerkstelligen können.

3d) Eine Expertengruppe namhafter österreichischer Neurologen, Psychiater und Betreuer stationärer und teilstationärer Einrichtungen prüfte Mitte 1994 die Beurteilungsrichtlinien zur Einstufung nach dem Bundespflegegeldgesetz bei geistig/psychisch behinderten Pflegebedürftigen und Menschen mit Hirnleistungsstörungen im Alter. Es wurde festgestellt, daß unter Berücksichtigung der Pflegedokumentation, Krankenhausberichte, Therapiekon­zepte und Außenanamesen eine exakte Evaluierung des tatsächlichen Pflegebedarfs entsprechend dem Bundespflegegeldgesetz und der Einstufungsverordnung sichergestellt ist.

Die Einstufungsverordnung zum Bun­des­pflegegeldgesetz sieht vor, daß Personen, die zur Fortbewegung überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen sind, im Wege einer diagnosebezogenen Mindesteinstufung in Stufe 3 (bzw. bei weiteren Einschränkungen in die Stufen 4 und 5) des Pflegegelds einzustufen sind. Bei der zitierten Definition handelt es sich um eine im Sozialversicherungs- und Versorungsbereich seit Jahrzehnten ge­bräuchlichen Formulierung, die aus ärztlicher Sicht eine eindeutige, zweifelsfreie Zuordnung ermöglicht.

4) und 5) Der Bereich der Sozialen Dienste fällt in die Kompetenz der Länder. Der Bund hat daher keinen unmittelbaren Einfluß auf das Angebot an Sozialen Diensten und die Kostenbeiträge, die von den Betroffenen verlangt werden. Der Ausbau der Sozialen Dienste nach der Vereinbarung gemäß 15a B-VG sowie die Gestaltung der Kostenbeiträge sind jedoch regelmäßig Gegenstand von Gesprächen zwischen Bund und Ländern in den verschiedensten Gremien.

Dr. Wolfgang Schüssel – ÖVP:

Es ist unter anderem dem Einsatz der ÖVP zu verdanken, daß das Bundespflegegeldgesetz als Jahrhundertgesetz für die Behinderten im Jahre 1993 beschlossen werden konnte und es ist daran zu erinnern, daß unter einem ÖVP-Soziallandesrat in Vorarlberg das Modell des Pflegegeldes erstmalig erprobt wurde. Trotz dieses Erfolges ist es sicherlich notwendig, auch weiterhin daran zu arbeiten und wir werden daher alle Maßnahmen unterstützen, die geeignet sind, die Situation der pflegebedürftigen Menschen zu verbessern, damit diese ein selbstbestimmtes Leben gestalten können. So wurde beispielsweise vor wenigen Monaten der Rechtsanspruch auf alle Pflegegeldstufen eingeführt.

Der ÖVP geht es darum, daß die Leistungen des Bundespflegegesetzes treffsicher, aber nicht reduziert werden. Sie ist für weitere Detailverbesserungen, aber nicht für eine umfassende Öffnung des Systems. Diese wäre zu kostenintensiv und würde die Erhaltung der Pflegeleistungen langfristig gefährden. Das heißt, die Sicherung der Basisleistung geht vor Expansion.

Dr. Jörg Haider – Die Freiheitlichen:

1) Dieser Forderung stimmen wir zu.

2) Wir sind schon bei der Beschlußfassung über das Pflegegeld dafür eingetreten, dieses – wie andere Sozialleistungen – automatisch jährlich zu valorisieren.

3a) Bedarfsgerechtes Pflegegeld wäre für manche Fälle die gerechteste Lösung; diese Forderung muß derzeit aber als unfinanzierbar beurteilt werden. Auch die Kontrolle eines möglichst sparsamen Mitteleinsatzes erscheint nur schwer durchführbar.

3b) Wir sind bei der Beschlußfassung zum BPGG für eine Pflegegeldauszahlung ab dem Ende des ersten Lebensjahres eingetreten, weil ab diesem Alter in jedem Fall ein Mehraufwand gegeben ist.

3c) Hörbehinderte sollen bei entsprechender Hilfsbedürftigkeit ebenso wie alle anderen Behinderten Pflegegeld er­halten.

3d) Diese Forderung wird unterstützt, weil uns grundsätzlich eine Überarbeitung der Kriterien notwendig erscheint.

3e) Die Einklagbarkeit ist bereits gegeben. Soweit mit „bedarfsgerecht“ eigentlich „ohne Obergrenze“ gemeint ist, wird dies aus dem oben bereits angeführten Gründen abgelehnt.

4) Wir treten schon lange dafür ein, daß der Bund wirksame Maßnahmen gegen die von den Ländern drastisch erhöhten Preise für Sachleistungen setzt.

5) Diese Forderung wird von uns unterstützt.

Dr. Madeleine Petrovic – Die Grünen:

1) Wir haben gemeinsam durch die Be­setzung der Säulenhalle im Parlament erreicht, daß es zu keiner Einkommensstaffelung beim Pflegegeld kam. Behinderte dürfen nicht mehr in die Rolle der Bittsteller gedrängt werden.

2) Eine jährliche Valorisierung des Pflege­geldes ist für uns eine wichtige Voraussetzung für die notwendige Kontinuität der Pflegeleistungen, da sowohl im öffentlichen, als auch im privaten Bereich, die Tarife und Gehälter entsprechend angepaßt werden. Die jährlich wiederkehrende Diskussion um die Anpassung oder das Einfrieren des Pflege­geldes verunsichert die Betroffenen und bringt mehr politischen Schaden, als die Nicht-Valorisierung finanziellen Nutzen bringen kann. Wir haben in der Sondersitzung am 13.11.1995 als einzige Fraktion einen Antrag auf Valorisierung des Bundespflegegeldes per 1.1.1996 eingebracht, der jedoch nur die Zustimmung der Grünen und der F fand.

3) Auch wir sind der Meinung, daß das Bundespflegegeldgesetz sowie die Einstufungsverordnung in einigen Punkten reformiert werden sollten:

3a) Damit der Grundsatz der Bedarfsgerechtigkeit des Pflegegeldes wirklich erfüllt wird, ist die Einführung einer offenen Pflegegeldstufe notwendig.

3b) Die Gewährung des Pflegegeldes erst ab dem 3. Lebensjahr, wie es im Bundespflegedienst festgelegt ist, geht an der Realität vorbei, denn bekannterweise ist die Mehrbelastung besonders in den ersten Lebensjahren eines behinderten Kindes besonders hoch. In einigen Bundesländern wird deshalb das Pflegegeld bereits ab Geburt ausbezahlt. Wir werden uns dafür einsetzen, daß dies auch im Bundespflegegeldge­setz verankert wird.

3c) Auch Dolmetschdienste sind persönliche Assistenz und sollten aus dem Bundespflegegeldgesetz finanziert werden können. Parallel dazu muß eine Anerkennung der Gebärdensprache er­folgen, Österreich ist in dieser Frage ja eines der europäischen Schlußlichter.

3d) Die Erfahrungen der ersten Jahre zeigen deutlich, daß die Einstufungskriterien noch überhaupt nicht bedarfsgerecht gestaltet sind. Auch wir sind daher der Meinung, daß es jetzt an der Zeit ist, diese Mißstände zu beheben, damit wirklich alle Gruppen von behinderten Menschen ein bedarfsgerechtes Pflegegeld bekommen. Auch bei der Gruppe der altersbedingt behinderten Menschen gibt es hier Mißstände.

3e) Die Konsequenz der vorigen Punkte a) bis d) ist für uns, den Rechtsanspruch auf bedarfsgerechtes Pflegegeld im Gesetz zu verankern.

4) Die massive Erhöhung der Kostensätze bei den sozialen Diensten ist unserer Meinung nach extrem unfair und unsozial. Wir werden auch weiterhin Druck auf die Bundesregierung ausüben, hier einen Einfluß auf die Länder auszuüben.

5) Auch hier werden wir den zukünftigen Bundesminister für Arbeit und Soziales auffordern, Druck auf die Länder auszuüben.

Dr. Heide Schmidt – Liberales Forum:

Die unter diesem Punkt aufgezählten Forderungen werden vom Liberalen Forum grundsätzlich bejaht. Die offene Pflegestufe ist sicherlich wünschenswert, aber es stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit.

Solange es keine Richtlinien bezüglich der von den Ländern erbrachten Dienste oder sogenannte Zertifizierung gibt, und sich die Länder weiter auf Kosten des Bundes, der ja das Pflegegeld finanziert, sanieren, stehen wir einer Erweiterung des Pflegegeldes kritisch gegenüber. Zunächst muß sichergestellt sein, daß das Pflegegeld den Betroffenen und nicht den Ländern zugute kommt. Auch beim Rechtsanspruch auf bedarfsgerechtes Pflegegeld muß man die Frage der Finanzierbarkeit stellen, auch wenn jener wünschenswert wäre.

Unsere Forderungen: Gleichstellung behinderter Menschen

Behinderte Menschen werden in praktisch allen ihren Lebensbereichen diskriminiert und ihre Grundrechte werden verletzt. In diesem Bereich herrscht dringender Handlungsbedarf. Unsere aktuellen Forderungen lauten daher:

  1. Ergänzung des Artikels 7 BV-G um einen Absatz 4 mit dem Inhalt, daß jede Form der Diskriminierung behinderter Menschen verboten ist und weiters, daß Maßnahmen zur besonderen Förderung und Bevorzugung von behinderten Menschen vorzusehen sind.
  2. Schaffung eines umfassenden Gleich­stellungsgesetzes für behinderte Menschen nach US-amerikanischem Vorbild mit konkreten Rechtsansprüchen, einem Zeit­rahmen und Sanktionen.

Dr. Franz Vranitzky – SPÖ:

Die österreichische Bundesregierung be­kennt sich im Behindertenkonzept zur Gleichbehandlung behinderter und nichtbehinderter Menschen in allen Lebensbereichen und sieht zu diesem Zweck die Errichtung einer Gleichbe­handlungskommission für behinderte Menschen vor. Sie soll sich mit Einzelfällen befassen und generelle Empfehlungen zu Fragen der Gleichbehandlung Behinderter aussprechen. Hinsichtlich der Kompetenzen und der Organisation einer derartigen Kommission werden derzeit Überlegungen angestellt.

Grundsätzlich ist der Forderung nach Gleichstellung behinderter Menschen bereits durch den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz der Bundesverfassung entsprochen. Es ist allerdings seit längerem die Erweiterung des Grundrechtskatalogs durch ein Bundesverfassungsgesetz über wirtschaftliche und soziale Rechte vorgesehen, das eine Bestimmung über die besonderen Rechte behinderter Menschen erhalten soll.

Ausländische Modelle, wie das Antidiskriminierungsgesetz der USA, welches im wesentlichen zivilrechtliche Bestimmungen enthält, bieten wohl eine wertvolle Ideenquelle, lassen sich aber aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme nicht ohne weiteres auf Österreich übertragen.

Dr. Wolfgang Schüssel – ÖVP:

Die Gleichstellung von behinderten Menschen mit nichtbehinderten ist in manchen Bereichen noch nicht verwirklicht. Es geht dabei nicht nur um die Gleichstellung im Rechtsbereich sondern primär um die faktische Gleichstellung. Maria Rauch-Kallat hat sich bereits in ihrer Position als Bundesministerin für die Gleichstellung behinderter Menschen eingesetzt und begonnen, an einem entsprechenden Entwurf zu arbeiten. Diese Bemühungen sind in der kommenden Legislaturperiode in enger Kooperation mit VertreterInnen der Be­hindertenorganisationen fortzuführen. Mit Bundesministerin Dr. Sonja Moser haben wir auch heute eine engagierte Kämpferin für Ihre Anliegen in der Regierung.

Dr. Jörg Haider – Die Freiheitlichen:

Die Freiheitlichen unterstützen jede Maßnahme zur Bekämpfung ungerechtfertigter Benachteiligungen Behinderter. Wir haben den Bundesminister für Arbeit und Soziales bereits dazu aufgefordert, dem Nationalrat ein Antidis­kriminierungsgesetz vorzulegen und werden die Beschlußfassung im Ver­fassungsrang zur Debatte stellen.

Dr. Madeleine Petrovic – Die Grünen:

Dieser Punkt ist einer der Schwerpunkte unserer Behindertenpolitik. Wir setzen uns für beide Forderungen 1) und 2) ein, da wir glauben, daß sowohl eine Ergänzung in der Bundesverfassung als auch die Schaffung eines Be­hin­dertengleich­stellungsgesetzes notwendig sind. Es muß eine Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Lebensbereichen erreicht werden.

Leider wurde durch den Bruch der Koalition die parlamentarische Umsetzung dieser Forderungen unterbrochen. Wir werden aber alles daransetzen, daß es in der nächsten Legislaturperiode dazu kommt.

Dr. Heide Schmidt – Liberales Forum:

Die Gleichstellung behinderte Menschen ist eine Selbstverständlichkeit. Der Diskriminierung muß aber durch Bewußtseinsbildung und Maßnahmen auf vielen Ebenen begegnet werden. Das Verfassungsrecht kann hier nur Signalwirkung haben.

Unsere Forderungen: Behindertenkonzept der Bundesregierung

Dieses Konzept beinhaltet eine breit angelegte Bestandsaufnahme sowie eine große Anzahl an sinnvollen Vorschlägen zur Verbesserung der Situation dieses Personenkreises. Doch in der Praxis hat dieses Konzept nur einen geringen Stellenwert. Eine rasche Aufwertung tut daher not:

  1. Austausch der zahlreichen „Kann“ und „Sollte“ – Formulierungen in verbindlich zu setzende Maßnahmen.
  2. Setzen eines Zeithorizonts zur Umsetzung der notwendigen Schritte.
  3. Verbindlicherklärung dieses Konzeptes für die gesamte Bundesregierung.

Dr. Franz Vranitzky – SPÖ:

Das Behindertenkonzept vom Dezember 1992 wurde von der österreichischen Bundesregierung beschlossen und betrifft daher den gesamten Bundesbereich und nicht etwa nur den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Allerdings fallen viele für behinderte Menschen wesentliche Bereiche, wie beispielsweise Bauen und Wohnen, in die Kompetenz der Länder. Für diese Bereiche können daher auf Bundesebene keine ver­bindlichen Aussagen ge­troffen werden.

Es liegt im Wesen eines Konzeptes, daß es programmatische allgemeine und vor allem längerfristige Zielsetzungen enthält, für die die Angabe eines genauen Zeitpunktes der Umsetzung oftmals nicht möglich ist. Im übrigen weise ich darauf hin, daß seit der Beschlußfassung über das Be­hinder­ten­konzept bereits in vielen Punkten wesentliche Fortschritte erzielt worden sind.

Dr. Wolfgang Schüssel – ÖVP:

Die ÖVP unterstützt die Weiterentwicklung des Behindertenkonzeptes der Bundesregierung und die Schaffung eines Zeithorizonts zur Umsetzung der er­forderlichen Schritte.

Dr. Jörg Haider – Die Freiheitlichen:

Das Behindertenkonzept der Bundesregierung liegt schon einige Zeit vor. Wir haben keinerlei Verständnis dafür, daß die Bundesregierung diesen Vorhabenskatalog noch nicht umgesetzt hat. Nachdem es sich aber um kein Gesetz, sondern nur um eine Auflistung von Vorhaben handelt, erscheint eine striktere Textierung nicht sehr zielführend. Wir halten es für sinnvoller, auf die Umsetzung der einzelnen Vorhaben zu drängen.

Dr. Madeleine Petrovic – Die Grünen:

Auch uns stört die fehlende Verbindlichkeit des Behindertenkonzeptes der Bundesregierung (fehlender Rechtsanspruch und Zeithorizont). Wir werden aber unser Hauptaugenmerk auf die Schaffung eines Behindertengleich­stellungsgesetzes lenken.

Dr. Heide Schmidt – Liberales Forum:

Eine Aufwertung des Behindertenkon­zeptes wäre sicherlich wünschenswert.

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