Mit Dezember 1999 fand die erste Bildungsreihe für Eltern behinderter Kinder, organisiert von I:Ö, ihren Abschluß.
Mit einer inhaltlich klar deklarierten Botschaft: „Wir Eltern fordern die Integration unserer Kinder als Menschenrecht, wir unterstützen und begleiten ihren Weg in die Selbstbestimmung mit gleichzeitigem Anspruch an unsere eigene Selbstbestimmung als betroffene Eltern. Wir setzen uns mit all unserer Kraft für die rechtliche Umsetzung und die Realisierung dieses veränderten Bewußtseins in das Denken und Handeln unserer Gesellschaft ein.“
Für einige der TeilnehmerInnen war „Integration“ zu Beginn des zweijährigen Projektes bereits eine Selbstverständlichkeit – alle Kinder, egal welche Art der Behinderung, haben das Recht und den Anspruch, den Unterricht gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern individuell nach ihren Bedürfnissen zu erleben.
Für manche der TeilnehmerInnen bedurfte es noch einiger Diskussionen, Erfahrungen, manchmal schmerzvollen, emotionalen Erkenntnissen und temperamentvollen Auseinandersetzungen, um zur Erkenntnis zu gelangen, daß dieses Grundrecht nicht nur für das eigene Kind gilt, sondern als grundsätzliches Menschenrecht anzuerkennen ist.
„Integration beginnt in meinem Kopf …“ (nach Georg Feuser), es bedeutete eine Auseinandersetzung mit dieser Begriffsdefinition, ein Zulassen von Emotionen, von Veränderungen im Kopf, im Herzen, im Denken, Fühlen und Handeln.
Integration:Österreich, als Konzeptentwickler, hat die Begriffe Empowerment und Peer-Counseling an oberste Stelle dieses Bildungsprojektes gestellt. Wirklich mit Leben ausgefüllt, inhaltlich und emotional verstanden, wurden diese Begriffsdefinitionen von den TeilnehmerInnen erst im Laufe der Zeit.
Im Augenblick, in dem Eltern die Selbstbestimmung für ihr Leben wiedererkennen und -gewinnen und ihnen bewußt wird, welche Ressourcen und Kompetenzen sie eigentlich besitzen, daß sie durch ihr gewonnenes Wissen die Rechte für sich und ihre Kinder bewußt vertreten, argumentieren und einfordern können, dürfen und auch sollen – in diesem Augenblick wird aus Betroffenheit „Empowerment“.
Durch diese Bewußtseinsveränderung besteht die Möglichkeit, Kraft, Energie und neuen Lebensmut für sich und die veränderte Lebenssituation zu aktivieren.
Ich selbst erhielt als Projektleiterin (ich sah mich mehr als Projektbegleiterin) dieser einmaligen Gruppe die Chance, zu erleben, wie Projektziele, Konzepte, Ideen, Visionen immer mehr Gestalt annahmen und zur Lebendigkeit erwachten.
Meine eigene Betroffenheit, persönlichen Erfahrungen und die völlige Überzeugung vom Leben des behinderten Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft ermöglichten es mir, Bedürfnisse der TeilnehmerInnen leichter zu erkennen, Tabuthemen mit größerer Selbstverständlichkeit anzusprechen und emotionale Diskussionen auszuhalten.
Ich durfte während dieser Zeit von den einzelnen TeilnehmerInnen lernen. Das ermöglichte mir auch, in meiner persönlichen Entwicklung zur Selbstbestimmung ein Stückchen des Weges weiterzugehen.
Manche Eltern dieser Bildungsreihe beraten mittlerweile wieder betroffene Eltern, für sie ist „Peer Counseling“ nicht eine Form der Beratungstätigkeit, sondern zur gelebten und verstandenen Realität geworden. Diese Art der Beratung ist für mich, nicht nur in der Selbstbestimmt Leben Bewegung, eine der faszinierendsten, effizientesten und interessantesten Formen der Beratung.
Nur jener Mensch, der unterstützt wird, seine Fähigkeiten zu entdecken und seinen Weg der Problemlösung zu finden, wird auch imstande sein, seine gefundenen „Lösungsansätze“ durchzusetzen und einzufordern.
Dabei geht es aber nicht nur um die Bewältigung im Alltagsleben, obwohl sich gerade hier Eltern mit der Geburt eines behinderten Kindes oft vor schier unlösbaren, lebensverändernden Alltagssituationen wiederfinden. Vorausgeplante organisierte Lebensperspektiven verändern sich plötzlich zu scheinbar unlösbaren Konflikten und ausweglosen Situationen.
Auch ich konnte nach der Geburt meines behinderten Sohnes kaum positive Lebensqualität und -freude finden, sie weder sehen noch spüren. Es bedurfte eines langwierigen Veränderungs- und Entwicklungsprozesses, um neue lebenswerte Perspektiven zu finden.
Daher fand sich in diesem – europaweit einzigartigen – Bildungsprojekt völlig gleichwertig neben der rechtlichen Schulung das seelische Wohlbefinden, das Ansprechen von Tabu-Themen, das Finden von emotionalem Gleichgewicht, ohne dabei jedoch zu urteilen, zu bewerten oder zu moralisieren. Eltern konnten ihre Ängste, Sorgen, Gedanken, Wut, Trauer, Zorn und Schuldgefühle verbalisieren, diskutieren und ihre persönlichen „Lösungsansätze“ für sich und ihre Kinder, auf dem Weg in die Selbstbestimmung, erarbeiten und umsetzen.
Alles in allem haben wir zwei erfahrungsreiche Jahre im gegenseitigen Lernen voneinander und miteinander absolviert. Nun gilt es, dieses Bildungsangebot auch noch vielen anderen betroffenen Eltern zuteil werden zu lassen. An Ideen, Konzepten und Vorschlägen mangelt es uns nicht, die Finanzierung ist jedoch noch unklar.
Der detaillierte Abschlußbericht von „Eltern beraten Eltern“ ist ab Mitte März 2000, gegen einen Unkostenbeitrag, bei Integration:Österreich, Wurzbachgasse 20/8, 1150 Wien, Tel. 01 / 7891747, Fax: 01 / 7891746, zu beziehen.