Pflegegeld nicht als Einkommen rechnen!

VertretungsNetz kritisiert neue Sozialhilfe-Regelungen: Pflegende Angehörige werden für ihr Engagement regelrecht abgestraft

Ein Stempel aus Holz liegt auf einem Dokument. Aufschrift Pflegegeld
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2019 wurde das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz im Parlament beschlossen. Nach und nach legen nun die Bundesländer ihre jeweiligen Ausführungsgesetze vor. Nach Oberösterreich und Niederösterreich sind nun im Jänner 2021 die Ausführungsgesetze in Kärnten und Salzburg in Kraft getreten, Vorarlberg folgt im April.

In der Steiermark war das Ausführungsgesetz schon in der Begutachtung, ein Beschluss steht hier ebenso wie in den übrigen drei Bundesländern aus. Klar ist: Die negativen Konsequenzen der neuen Gesetze treffen armutsbetroffene Menschen mit Behinderungen und ihre Familien mit voller Wucht.

Wohnen beispielsweise Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen oder psychischen Erkrankungen mit ihren Angehörigen zusammen, wird das Einkommen der Angehörigen herangezogen, um einen Sozialhilfeanspruchs zu berechnen. Zahlungen für den Wohnbedarf entfallen ganz.

Doch damit nicht genug: „Die meisten Länder werten mit den neuen Gesetzen das Pflegegeld als Einkommen der pflegenden Angehörigen. Das wiederum reduziert das Haushaltseinkommen dramatisch“, erklärt Norbert Krammer, Bereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz.

Während NÖ und Kärnten den Spielraum bei den Ausführungsgesetzen nutzen, gelten in drei Bundesländern – OÖ, Salzburg und Vorarlberg – strengere Regeln als im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz vorgegeben. Damit wird weder auf die finanzielle Bedürftigkeit noch auf die tatsächlichen Kosten der Pflege Bedacht genommen.

Pflegebedürftige Menschen mit einem Mindesteinkommen werden so von der Möglichkeit, Pflege und Betreuung zu Hause in Anspruch zu nehmen, systematisch ausgeschlossen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Johann Maurer (Name geändert) ist pflegebedürftig (Pflegestufe 5) und bezieht eine Mindestpension von 950 Euro im Monat. Seine Lebensgefährtin ist rund um die Uhr für ihn da. Im Sozialhilfegesetz wird zwar anerkannt, dass sie aufgrund der umfassenden Pflegetätigkeit nicht arbeiten kann, Geld bekommt sie trotzdem keines.

Denn das Pflegegeld von monatlich 951 Euro wird als Einkommen der Lebensgefährtin gewertet, obwohl dieser Betrag laut Pflegegeldgesetz als Zuschuss gedacht ist, um die erhöhten Pflegeaufwendungen für Herrn Maurer abzudecken. Ohne diese Anrechnung würde dem Paar 550 Euro mehr im Monat zur Verfügung stehen.

Die psychisch und physisch so belastende Arbeit von pflegenden Angehörigen wird auf diese Weise entwertet. „Sie zahlen für ihr Engagement auch noch drauf“, kritisiert Norbert Krammer.

Mit der Anrechnung des Pflegegelds als Einkommen wirkt das Ziel der Pflegereform, die betroffenen Familien zu entlasten, geradezu utopisch. „Wertschätzung für pflegende Angehörige heißt auch finanzielle Unterstützung“, zeigt sich Krammer überzeugt.

Besonders tragisch: Mit solchen gesetzlichen Regelungen wird selbstbestimmtes Leben und Wohnen für Menschen mit Beeinträchtigungen geradezu verhindert. „Nicht wenige Familien werden unter zusätzlichen finanziellen Druck geraten und sich einen Umzug der pflegebedürftigen Person in ein Pflegeheim überlegen“, vermutet Krammer.

Dabei sieht das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich die freie Wahl des Wohnortes und damit auch das Beibehalten des bisherigen Wohnumfeldes vor. Von der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Österreich damit leider wieder ein Stück weiter entfernt.

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8 Kommentare

  • Ich Marianne Haas geboren
    Hochstaffl habe meine
    Mutter Hochstaffl geb.26.05.1933
    von 30.10.2012 bis 19.08.2018 zu Hause gepflegt.
    Sie hatte die Pflege Stufe 3
    Ich habe sie ohne Zuschuss
    vom Staat gepflegt.
    Möchte fragen ob ich für die
    Pflege vom Staat für die Pflege von Angehörigen Geld
    bekommen würde .
    LG Marianne Haas geb. Hochstaffl geb.28.01.1959

  • Kämpfe grad auch täglich ums Überleben. Passende Therapie Gebote zu organisieren ist mir finanziell unmöglich!! Möchte das Hilfestellungen individuell vergeben werden!!!!!

  • Wie bei mir meine 8 jährige tochter bezieht pflegestufe 3 und ich ams bezug 345 euro im monat die Mindestsicherung wurde mir gestrichen weil das Pflegegeld der tochter als Einkommen gerechnet wird mitte monat haben wir nicht mehr in der hand kleidung ect. Ist jetzt geschichte Hauptsache bekommen wir bis ende monat was zum essen. Das ist beschämend und Menschen unwürdig die Vorarlberger sozialhilfe Gesetz.

  • Wie gut, wenn man/frau in Wien wohnt! Im Wiener Mindestsicherungsgesetz ist selbstverständlich geregelt, dass Pflegegeld NICHT als Einkommen gerechnet wird und dass Menschen mit Behinderung unter bestimmten Voraussetzungen in der Regel als sogenannte „eigene Bedarfsgemeinschaft“ gelten und somit das Einkommen anderer im Haushalt lebenden Angehörigen NICHT in die Bemessungsgrundlage einfließen!

    • Das ist wirklich in Wien besser geregelt und das haben Rot-Grün gut gemacht.

    • …. und so würde es auch im Rest von Österreich gehören!
      Jede_r bedient sich indirekt beim Pflegegeld. Die Übernahme der Kosten von einigen Inkontinenz-Artikeln z.B. werden seit Jahresbeginn 2021 von der ÖGK nicht mehr übernommen, … und wer weiß, was sonst noch alles kommt. Das Pflegegeld geht also auch für viele andere behinderungsbedingte Ausgaben drauf. Wie anmaßend sind daher die Behörden, das Pflegegeld als Einkommen der pflegenden Angehörigen zu werten, die dem Staat eh schon viel ersparen, dadurch sie meist Tag und Nacht Assistenz übernehmen. Und wie gesagt, der oder die Anspruchsberechtigten sind die Betroffenen und nicht die Angehörigen! Und die müssen auch uneingeschränkt über das ihnen zustehende Pflegegeld entscheiden können und nicht die Behörde.

  • Schon wieder die UNBRK. Was ist mit konkretem Recht.
    Die Beihilfe (Pflegegeld) bezieht nicht die Lebensgefährtin, sondern die zu pflegende Person selbst.
    Eine Beihilfe ist zudem kein Einkommen.
    Statt die UNBRK zu bemühen, die kein bindendes Völkerrecht darstellt, wäre eine Verfassungsbeschwerde wohl sinnvoller.

    • Leider gibt es schon mehrere Entscheidungen des VwGH, dass Pflegegeld, das der pflegenden Person für ihre Pflegeleistungen (ganz im Sinn des Pflegegeldgesetzes) zur Verfügung gestellt wird, als Einkommen bei der pflegenden Person zählt.
      Grundsätzlich steht den Ländern – leider! – ein weiter Spielraum bei der Definition des Einkommens im Bereich der Sozialhilfe/Mindestsicherung/Behindertenhilfe zu, wie der VfGH ebenfalls mehrfach betont hat. Die Länder nutzen daher auch den Begriff „Einkunft“ und definieren dies sehr weit. Daher umfasst der Begriff der Einkünfte auch Beihilfen, außer diese werden bundesgesetzlich extra ausgenommen. Wir hatten so ein Beispiel bei der Corona-Beihilfe, die nicht als Einkommen in der Sozialhilfe gilt (erst beim zweiten Mal wurde dies dann gesetzlich vorab geregelt).
      Wegen dieser Unsicherheit bedarf es aktuell einer mutigen Entscheidung der Länder, das Pflegegeld (sowohl für den Eigenbezug, als auch für pflegende Personen) von den Einkünften auszunehmen. Bei Umsetzung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes stellt sich diese Frage immer wieder neu: Salzburg rechnet nun an, Kärnten verzichtet darauf. Vorarlberg rechnet an, auch die Steiermark vermutlich.
      Wien hat das Grundsatzgesetz noch nicht umgesetzt und hoffenlich bleibt es bei der bisherigen Nicht-Anrechnung, die von Bernhard Schmid richtigerweise ins Treffen geführt wurde.
      Für alle Bundesländer und den Landes-Ausführungsgesetzen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes würde die Nicht-Anrechnung nur dann verpflichtend sein, wenn im Grundsatzgesetz eine entsprechende Ausnahme aufgenommen werden würde.