Erfolgsgeschichten über das Leben mit einer Behinderung und was sie bewirken. Ein Kommentar.
Autobiografien, man kennt sie und manch einer liest sie. Es gibt sie über Politikerinnen und Politiker und über Stars. Auch Menschen mit Behinderungen schreiben autobiografische Bücher.
Bekannt sind zum Beispiel „Unter dem Auge der Uhr“ von Christopher Nolan oder „Mein linker Fuß“ von Christy Brown. Dann gibt es noch kleinere Publikationen, die noch weniger bekannt sind.
Buch: Wie ich lernte, Plan B zu lieben
Das Lesen einer solchen kleineren Publikation hat mich zum Schreiben dieses Textes inspiriert. Das Buch von Gregor Demblin trägt den Titel „Wie ich lernte, Plan B zu lieben“. Es sind autobiografische Momentaufnahmen eines Mannes, eines erfolgreichen Unternehmers, der durch einen Unfall eine Behinderung erworben hat und sich sein Leben zurückerobert.
Das klingt inspirierend und soll es wohl auch sein. Erst ist er verzweifelt, der Wunsch wieder laufen zu können scheint ihm noch lange nachzuhängen. Die Behinderung wirkt an manchen Stellen wie ein schwerer Stein, den er endlich loswerden möchte.
Das kann ich irgendwie verstehen. Ich selbst bin von Geburt an behindert, für mich gehört es von Anfang an zu meinem Leben, nicht laufen zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein muss, einmal gelaufen zu sein und plötzlich so gut wie gar nichts mehr zu können.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass man sehr lange dafür kämpft, die Behinderung wieder loszuwerden. Als ich die kurze und sehr einprägsame autobiografische Geschichte gelesen habe, ist mir eine Phrase immer wieder durch den Kopf gegangen.
Phönix aus der Asche. Der Phönix ist eine mythologische Figur, die stirbt, um aus seiner Asche wieder aufzuerstehen. Genauso liest sich dieses Buch. Die Behinderung ist wie ein Tod, den man überwindet. Danach geht es um die Erfolgsgeschichte des Autors. Wie er trotz seiner Behinderung Fallschirm springt, im Meer taucht, auf Reisen geht, eine Familie gründet und ein erfolgreicher Unternehmer wird.
Die Behinderung bleibt etwas, was er überwinden zu wollen scheint. Was er zum Schluss auch mit Hilfe eines Exoskelett ein stückweit wieder schafft. Es geht weniger um Barrieren oder um Diskriminierung, die er erlebt, die „Hauptbarriere“ scheint sein eigener Körper zu sein.
Erfolgsgeschichten sind das, was sich verkauft
An dieser Stelle muss ich sagen, dass es mir nicht darum geht, die Geschichte an sich zu kritisieren, es ist eine individuelle Geschichte eines Menschen, der die Dinge so erlebt hat und es sind seine individuellen Wahrnehmungen und Gedanken. Und natürlich soll die Geschichte zeigen, was man quasi trotz Behinderung alles erreichen kann.
Solche Geschichten gehören zur typischen medialen Präsentation von Menschen mit Behinderungen, die immer noch zwischen Superheldinnen und -helden und armen Würstchen schwankt. Ich erinnere mich noch an das Statement des ORF Generaldirektors Alexander Wrabetz, Medien seien nun einmal nicht am Alltag, sondern an Menschen mit besonderen Herausforderungen interessiert.
Als Kira Grünberg in die Politik kam, auch sie hat übrigens ein autobiografisches Buch mit dem Titel „Mein Sprung in ein neues Leben geschrieben“, ging es bei Interviews mit ihr sehr häufig nicht um ihre politischen Vorhaben, sondern um ihre Behinderung und wie sie es schafft, damit zu leben – auch das eine typische Phönix aus der Asche Geschichte.
Braucht wirklich jeder eine Erfolgsgeschichte?
Und das bringt mich zu der Frage, dürfen Menschen mit Behinderungen überhaupt noch „normal“ sein? Oder müssen sie, um wirklich wahrgenommen zu werden, eine Erfolgsgeschichte vorweisen?
Eines ist klar, niemand würde ein Buch lesen wollen, in dem das Leben mit einer Behinderung als absolute Qual erscheint. Auch solche Bücher habe ich schon gelesen, und ich fand sie eher diskriminierend, jedenfalls fand ich mich in ihnen nicht wieder.
Aber auch in solchen Erfolgsgeschichten finde ich mich nicht wieder, denn das Leben mit Behinderung ist vielfältig. Und ich möchte nicht das Gefühl haben, dass ich Außergewöhnliches leisten muss, um akzeptiert zu werden. Ich möchte die Behinderung nicht als überwindbares Schicksal sehen oder als etwas, das man durch möglichst viel Leistung kompensieren muss.
Ich möchte meine Behinderung akzeptieren, wie einen Körperteil, der zu mir gehört, auch wenn er manchmal unbequem ist. Wenn ich reden möchte, dann möchte ich über die Barrieren reden, die mich behindern. Ich möchte, dass meine Leistung anerkannt wird, aber gleichzeitig möchte ich nicht auf meine Leistungsfähigkeit reduziert werden. Meine Meinung soll gehört werden, auch wenn ich keine Superfrau oder kein Supermann bin.
Menschen mit Behinderungen sind immer noch viel Druck ausgesetzt. Überall müssen sie ihre Leistungsfähigkeit beweisen, damit ihr Recht auf Inklusion anerkannt wird. Diese Bücher sollen zwar eine Inspiration sein, können aber auch wieder Druck erzeugen, wenn man nur von Menschen liest, die quasi trotz Behinderung nach den Maßstäben der Leistungsgesellschaft sehr erfolgreich sind.
Denn nicht jede oder jeder kann eine beeindruckende Erfolgsgeschichte vorweisen. Doch wir alle haben eine Geschichte vorzuweisen und mit Glück ist es eine Geschichte der Selbstbestimmung, in der man keine Superfrau und kein Supermann sein muss, um trotzdem ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben haben zu können.
Barbara Levc
18.09.2020, 19:36
Danke für diesen sehr reflektierten Kommentar! Solche Erfolgsgeschichten transportieren oft die Botschaft „Man kann alles schaffen, wenn man sich nur genug anstrengt, motiviert usw.“ Soziale Rahmenbedingungen, die Menschen mit vielleicht derselben Behinderung höchst ungleiche Möglichkeiten bieten, werden außer Acht gelassen. Und in der Rezeption durch die Öffentlichkeit herrscht oftmals purer Ableismus: man ist was oder wer man ist nur wegen oder trotz seiner Behinderung.
erwin riess
18.09.2020, 07:44
Ein sehr kluger kommentar!
Blindwurm
16.09.2020, 13:50
Ich denke die Frage ist, was die Autoren ihren Lesern mitteilen wollen. (Und deren Zielgruppe sind oft nicht die Betroffenen, sondern die breite Masse).
Demblin als Unternehmer steht ständig im „Leistungswettbewerb“ und muss deswegen vor allem darauf aus sein seinen zukünftigen Kunden zu zeigen, das er gerade WEGEN seiner Behinderung besonders leistungsfähig ist. Raoul Krauthausen beispielsweise hat einen anderen Weg gewählt. Der Franzose, welcher das Buch „ziemlich beste Freunde“ geschrieben hat und dessen Pfleger ICH aus Wut wohl mit dem Rolli überfahren hätte wollte wieder ganz eine andere Geschichte erzählen. Deswegen denke ich ist es zweitrangig, ob wir als Betroffene uns darin wiedererkennen können.