Das groteske Experiment könnte aus einem Science Fiction Roman stammen oder erinnert an die längst überholt geglaubte NS- Zeit, in der mit behinderten Kindern menschenverachtende Versuche praktiziert worden sind.
Das Wachstum der neunjährigen Ashley aus Seattle wurde durch eine Hormonbehandlung sowie der operativen Entfernung der Gebärmutter und der Brustknospen eingefroren. Der Pillow Angel, wie Ashley von ihren Eltern genannt wird soll im Status eines Sechsjährigen pflegeleicht und ewig Kind bleiben. Amerika, so könnte man glauben, ist weit entfernt. Österreich ist ganz anders.
Doch als der Fall Ashley dieser Tage in Willkommen Österreich zur Diskussion gestellt wurde, zeigten Anrufer durchwegs Verständnis für das Handeln der Ärzte. Professor Huber, Leiter der Ethikkommission der Bundesregierung, verurteilte die medizinische Vorgangsweise in der TV-Sendung wies aber darauf hin, dass in letzter Konsequenz die Entscheidung bei den Eltern liegt Körtner vom Institut für Ethik und Recht ist jedoch anderer Meinung: Körperliche Unversehrtheit ist Menschenrecht.
Dies umschließt auch die körperliche Entwicklung (Mittagsjournal am 05.01.2007). Das Elternrecht muss wohl dort seine Grenzen haben, wo die Würde des Kindes verletzt wird. Ashley wird in der wissenschaftlichen Diskussion aber sogar jegliches Recht auf Menschenwürde abgesprochen, dazu reiche ihr kognitives Empfinden nicht aus (George Dvorsky, Direktor des Institute for Ethics and Emerging Technologies).
Mit diesem tiefen Zynismus wird der Wert behinderten Lebens generell in Frage gestellt. Mit der Verankerung der Menschenwürde in der Verfassung, unabhängig von der Art und dem Ausmaß der Behinderung, soll in Österreich sichergestellt werden, dass derartige Menschenrechtsverletzungen nicht vorkommen.
Wer die Augen nicht verschließt, muss jedoch feststellen, dass heute schon moralisch grenzwertige Praktiken in Alters- und Pflegeheimen zum Alltag gehören: Allzu mobile und redselige Patienten werden durch Medikamente ruhig gestellt, Windeln werden eingesetzt um mühsame Klogänge zu vermeiden, durch Dauerkatheder wird das mehrmalige Kathedern am Tag vermieden, eine Magensonde wird dort gesetzt, wo zeitaufwändige Essensgaben notwendig wären. Der Patient soll möglichst pflegeleicht und zeitunaufwändig sein.
80 % aller pflegebedürftigen Menschen werden in Österreich zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt. Die Leistung pflegender Angehöriger zumeist Frauen – ist beachtlich und bleibt trotzdem zumeist unbedankt. Auf eigene berufliche Karrieren wird verzichtet, der körperliche und psychische Einsatz reicht oft bis an die Grenzen des eigenen Burn-Outs.
Der Wunsch seinen Angehörigen möglichst pflegeleicht zu erhalten selbst, wenn dazu wie im Fall Ashley bedenkliche medizinische Eingriffe notwendig sind zeugt von der mangelnden Unterstützung pflegender Angehöriger.
iEs muss daher die Aufgabe der Gesellschaft und der Politik sein, würdige Rahmenbedingungen für Gepflegte und Pflegende zu schaffen. Die neue Bundesregierung hat sich im Bereich der Pflege viel vorgenommen. Zentrale Aufgabe wird es sein, eine 24-stündige Pflege durch familienentlastende Maßnahmen abzusichern.
Nutsch,
31.01.2007, 20:09
Vielleicht hat Ashley ja mehr Lebensqualität durch diese Eingriffe, aber es ist ja auch nicht 100%ig auszuschließen, dass sie sich irgendwann doch geistig weiterentwickelt. Das kann keiner wissen, jedenfalls wäre es dann ziemlich schlimm für sie in diesem Kinderkörper zu stecken. Viele sagen: „sie hat ja sowieso nichts mehr vom leben“.
Ich denke das kann keiner beurteilen.
Sie kennt ja nichts anderes, vielleicht ist sie ja so glücklich. Sie reagiert auch auf ihre Umgebung, Musik und Stimmen…ich glaube also nicht, dass sie nichts mehr vom Leben hat.
Hackl Ulrike,
26.01.2007, 10:11
Auch ich habe von Eltern schon zu hören bekommen, dass die Entscheidung von Ashleys Eltern nachvollziehbar ist, denn natürlich sei ein körperlich ewiges Kind leichter pflegerisch zu versorgen. Und zahllose Bandscheibenvorfälle bei Eltern von älteren Kindern mit schwersten Mehrfachbehinderungen zeigen auf, dass es viel zuwenig Unterstützung bei der Pflege und Versorgung – sowohl personell als auch durch benötigte Hilfsmittel – zuhause gibt. Diese Unterstützung kann man nur schwer (wenn überhaupt) durch hartnäckiges Betteln, selbstsichere Eigeninitiative und dickfelliges Selbstwertgefühl erreichen.
Auch ist zu den von Dr. Huainigg geschilderten Zuständen in (Alters-)Heimen anzuführen, dass es auch bei uns im scheinbar so gelobten Land für Behinderte durchaus üblich ist, dass pubertierende Jugendliche mit Behinderungen (körperlich und vor allem geistig) durch Medikamente in ihren Hormonschüben gebremst und so leichter lenkbar werden. Sehr oft fordern entsetzte Eltern ein „Mittel dagegen“, wenn ihr geistig behinderter Sohn plötzlich doch zum Mann wird.
Derzeit rede ich noch relativ leicht – mein Sohn ist im Vorpubertätsalter (doch der Umgang mit Sexualität beginnt bei jedem Kind eh schon viel früher) Mein Argument gegenüber solchen Aussagen ist immer, dass ich die prinzipielle Angst, die einen als Elternteil zu solchen Aktionen veranlasst, verstehen kann – ich find es nur maßlos bedenklich und für unseren „zivilisierten“ Staat unangebracht, dass man meint keine andere Wahl zu haben!
Vera Rebl,
26.01.2007, 09:49
Es ist dann nicht mehr weit zum oft verwendeten Zitat „Er/sie hat ja eh nichts vom Leben …“