Politische Parteien ignorieren den Selbstvertretungsanspruch behinderter Menschen

Durch das Ausscheiden von Theresia Haidlmayr (Grüne) und Franz-Joseph Huainigg (ÖVP) aus dem österreichischen Nationalrat erhielt der Selbstvertretungsanspruch behinderter Menschen in Österreich einen herben Rückschlag. Ein Kommentar.

Innenansicht des Nationalratssitzungssaales im Parlament
BKA/Andy Wenzel

Nach der konstituierenden Sitzung des Nationalrates am 28. Oktober 2008 werden wieder fast ausschließlich nicht betroffene „Behindertensprecher“ die Angelegenheiten behinderter Frauen und Männer im österreichischen Parlament vertreten. Nur der FPÖ-Bereichssprecher, Norbert Hofer, zählt zur Gruppe behinderter Menschen.

Vom Prinzip „Nichts FÜR behinderte Menschen OHNE behinderte Menschen“ scheinen die meisten politischen Parteien Österreichs bisher nichts gehört zu haben. Das Selbstvertretungsrecht von 630.000 (Bericht zur Lage von Menschen mit Behinderungen 2008, Entwurf) bis zu 820.000 (10% der Bevölkerung nach EU-Schätzungen) behinderten Frauen und Männern in Österreich wird so mit Füßen getreten.

Bin selbst betroffen, da ich aufgrund einer chronischen Erkrankung seit 2002 zur Fortbewegung einen Rollstuhl verwende. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Zivilinvalidenverband (ÖZIV) führe ich regelmäßig Schulungen zum Umgang mit behinderten Menschen für die ÖBB, AUA und Museen durch. Dabei stellte ich fest, dass viele für behinderte Menschen bestehende Barrieren und Probleme, von anderen Mitbürgern nicht wahrgenommen werden bzw. diesen einfach nicht auffallen.

Daher bin ich der Auffassung, dass nur behinderte Menschen ihre eigenen Anliegen angemessen vertreten können. Ich weiß, in Österreich gab es auch mal einen männlichen Frauenminister – aber darüber sollte man den Mantel des Schweigens breiten.

Rückkehr zur „Kopf-streichel-Schulter-klopf-Methode“

Die nunmehrige Situation im Nationalrat lässt eine Rückkehr zur „Kopf-streichel-Schulter-klopf-Methode“ befürchten: D.h. behinderte Menschen werden nicht für fähig befunden ihre Angelegenheiten selbst zu vertreten – man streicht ihnen „sanft“ über den Kopf (Aussage: mei bist du arm) und klopft ihnen fest auf die Schulter (Aussage: wir – Gesunden – werden dir schon helfen, weil WIR wissen ohnehin besser, was gut für dich ist). Ich weiß, dieser Absatz ist polemisch formuliert: Er drückt aber leider zu oft die reale Situation aus.

Wie schlecht es um den Selbstvertretungsanspruch behinderter Menschen im österreichischen Nationalrat steht, sieht man an einer weiteren Zahl: Geht man davon aus, dass 10 % der Österreicher eine Behinderung aufweisen, müssten eigentlich etwa 18 (!) Abgeordnete zum Kreis behinderter Menschen zählen.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich