Die Presse: Die OGH-Entscheidung zum Schadenersatz nach einer unterlassener Abtreibung eines behinderten Kindes und ein positiver Gastkommentar von Prof. Bernd Schilcher haben divergierende Reaktionen ausgelöst.
In „Die Presse“ erschienen:
Im Beitrag von Kollegen Schilcher wird die Entscheidung des OGH begrüßt, einer Schadenersatzklage stattgegeben zu haben, die sich darauf stützt, daß den Eltern eines behinderten Kindes durch die nicht rechtzeitige Erkennung der Behinderung seitens der untersuchenden Ärzte die Möglichkeit einer eugenisch begründeten Abtreibung genommen wurde.
Für Schilcher steht also das Leben grundsätzlich zur Disposition. Wenn Lebensschutz aber nicht mehr höchster, unantastbarer Wert ist, dann kommt es zu einer Serie von Interessenabwägungen mit materiellen Gütern bis hin zu den Kosten für das Gemeinwesen, die behinderte Menschen verursachen. Im letzteren Fall werden Nichtabtreibende zu Schädigern am Gemeinwohl abgestempelt. Ich denke, daß der OGH und Schilcher sich gar nicht bewußt sind, welchen Damm sie einreißen.
Wer die Einsparungsrechnungen bezüglich der Ermordung von Behinderten aus der Nazizeit kennt, erschaudert ob der Wiederbrutalisierung auf leisen Sohlen.
Hon.-Prof. DI Dr. Heinrich Wohlmeyer 3180 Lilienfeld
Die Konsequenz der Anspruchsbejahung liegt, und das muß in aller Deutlichkeit herausgestellt sein, in der Annahme, daß die mit der Geburt eines behinderten Kindes verbundenen Aufwendungen und somit die mit dem Schaden unmittelbar in Verbindung stehende Geburt selbst strukturell als schadenbewirkendes Element betrachtet wird. Der OGH kann sich also aus rechtsdogmatischen Gründen von der rechtsethisch bedenklichen inhaltlichen Integration der Geburt eines Kindes in den Rechtswidrigkeitszusammenhang nicht rein waschen.
Dr. G. M. Hochhaltinger 3100 St. Pölten
Die Verfasser der am 17. Juli veröffentlichten Leserbriefe sollten sich eingestehen, daß sie in Wahrheit nicht die OGH-Entscheidung, sondern die geltende Rechtslage, wonach es Eltern freisteht, darüber zu entscheiden, ob sie ein behindertes Kind auf die Welt bringen, kritisieren wollen. Es bleibt jedem unbenommen, darüber seine Meinung zu haben und zu äußern. Die Inakzeptanz der Rechtslage kann aber nicht in die Kritik eines Gerichtshofes münden, der sich an den Gesetzen zu orientieren hat.
Der Gesetzgeber (wir, die Gesellschaft) hat sich bekanntlich zu einer viel weiteren Haltung zu diesem Thema entschlossen, nämlich der Fristenlösung, also dem nicht indikationsbedingten Abbruch der Schwangerschaft. Wenn sich Eltern demnach entschließen, eine Schwangerschaft mit einem behinderten Kind zu unterbrechen, ist dies ihr gutes Recht, ob man es goutiert oder nicht. Kritik an den OGH-Richtern zu üben, ist daher verfehlt und unangebracht.
Mag. Heinz Kupferschmid 8010 Graz