Rechnungshof prüfte inklusiven Unterricht

„Was leistet Österreichs Schulsystem?“ Diese Frage stellten die Prüferinnen und Prüfer des Rechnungshofes in dem heute erschienenen Rechnungshof-Bericht zum inklusiven Unterricht.

Rechnungshof
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Der Rechnungshof stellte fest, dass eine inklusive Strategie auf allen Bildungsebenen fehlte. Kritik gab es auch an den unklaren Regelungen zur Finanzierung.

Der Rechnungshof empfiehlt außerdem, die Geschlechtsunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf genauer zu untersuchen.

Inklusion: Menschen mit und ohne Behinderung lernen von Anfang an gemeinsam

In einem inklusiven Bildungssystem lernen Menschen mit und ohne Behinderung von Anfang an gemeinsam. Niemand wird aufgrund einer physischen oder psychischen Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen; vom Kindergarten über die Schulen und den tertiären Bereich (Universitäten, Fachhochschulen) bis hin zu Einrichtungen der Erwachsenenbildung.

Mit der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen verpflichtete sich Österreich 2008 zu einem inklusiven Bildungssystem auf allen Ebenen; konkretisiert wurde dies sowohl im Nationalen Aktionsplan Behinderung 2012 bis 2020 als auch im Arbeitsprogramm der Bundesregierung 2013 bis 2018.

Den Grundstein für die Einrichtung von Inklusiven Modellregionen mit den pädagogischen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen legte das Ministerium jedoch erst 2015 mit der Richtlinie zur Entwicklung Inklusiver Modellregionen. Das Ministerium beschränkte sich lediglich auf die allgemein bildenden Pflichtschulen.

Im Regierungsprogramm 2017 bis 2022 ist zwar die Evaluierung und Weiterführung des Nationalen Aktionsplans Behinderung 2021 bis 2030 geplant, die Sonderschulen sollen aber weiterhin erhalten und sogar gestärkt werden. Der Rechnungshof ortet hier ein Spannungsfeld. Er empfiehlt dem Bildungsministerium, aus dem Projekt „Inklusive Modellregionen“ Schlüsse über die einzelnen Maßnahmen zu ziehen und den Inklusionsansatz im Bildungssystem zu präzisieren.

30.690 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf – deutlich mehr Buben

An den allgemein bildenden Pflichtschulen stieg im überprüften Zeitraum 2012 bis 2016 die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) auf 30.690. Der Rechnungshof verwies kritisch auf die mangelhaften Daten über die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit SPF bzw. mit Körper– und Sinnesbehinderungen an allgemein bildenden höheren und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. Ähnlich war die Situation auch beim Ressourcenverbrauch. Für die Feststellung eines SPF sind die Bildungsdirektionen zuständig.

Der Rechnungshof stellte bei Analyse der SPF–Verfahren Unterschiede zwischen den überprüften Ländern fest. In Anbetracht der weitreichenden Auswirkungen für den weiteren Bildungsweg einer Schülerin bzw. eines Schülers zielten die Empfehlungen des Rechnungshofes auf eine qualitative Verbesserung der Verfahren ab.

Der Anteil der Mädchen an der Gesamtschülerzahl mit SPF betrug im Schuljahr 2015/16 rund 37 Prozent. Schülerinnen mit SPF wurden auch eher integrativ an Regelschulen unterrichtet. Bereits der Nationale Bildungsbericht 2015 hielt fest, dass im Vergleich mit dem EU–Durchschnitt relativ große Geschlechtsunterschiede im österreichischen Bildungssystem festzustellen waren. Der Rechnungshof empfiehlt dem Ministerium, die abweichende Geschlechtsverteilung detailliert zu untersuchen.

Rechtliche Klärung zur Finanzierung des Pflege– und Hilfspersonals ausständig

Mit der zunehmenden Integration von Kindern mit Behinderungen in den Regelunterricht ergab sich die Frage, wer das erforderliche Pflege– und Hilfspersonal bereitzustellen und zu finanzieren hatte. Der Bund war der Meinung, dass das Hilfspersonal zu Lasten des Schulerhalters gehe. Allerdings bezog sich die zitierte Regelung nicht ausdrücklich auf das Pflege– und Hilfspersonal für Kinder mit Behinderungen.

Aufgrund der unklaren Rechtslage handhabten der Bund bzw. die einzelnen Länder die Thematik des Pflege– und Hilfspersonals für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen unterschiedlich: in Bezug auf die Rechtsgrundlagen, den Emfängerkreis, das Ausmaß und die Höhe der Kostentragung, die Ausbildung des Personals und die Finanzierung.

Die Prüferinnen und Prüfer kritisierten, dass sich das Ministerium erst im Jahr 2017 – mehr als sechs Jahre nach Inkrafttreten der entsprechenden Bestimmung des Bundes–Behindertengleichstellungsgesetzes – um die rechtliche Beistellung und Finanzierung von Pflege– und Hilfspersonal für Schulen bemühte. Der Rechnungshof empfiehlt hier eine rechtliche Klärung.

Bericht

Bericht des Rechnungshofes: Inklusiver Unterricht: Was leistet Österreichs Schulsystem?

Grafische Erklärung der Unterschiede von Exklusiv, Separation, Integration und Inklusion
Rechnungshof
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3 Kommentare

  • Also ich kann nur sagen ich bin selbst auch gehbehindert ich ging neun Jahre
    Sonderschule im Elisabethinum Axams. und ein Jahr Hauptschule allerdings nicht
    im Heim sondern im Dorf. Da war kein Unterschied zu merken ich wurde in Leistungstufe3
    eingestuft ohne Unterstützung war überhaupt kein Problem für mich.

  • Ich bin sehr froh darüber, dass der Rechnungshof nun die österreichische „Inklusionssituation“ an Schulen überprüft hat. Seit Jahrzehnten bemühen sich BildungsexpertInnen, PädagogInnen, Eltern und Betroffene, dass hier Maßnahmen getroffen werden, damit Inklusion nicht nur eine Utopie bleibt. Leider braucht es dafür eine gerechte Verteilung der Ressourcen und vor allem braucht es einen klaren Willen der Politik. Viele Eltern haben derzeit Angst vor Suspendierungen/oder dem Scheitern der Kinder in der Schule, wenn die Kinder ohne adäquate Unterstützung in der Schule auskommen müssen. Deshalb willigen viele in eine Beschulung in Sonderschulen ein. Ich verstehe die Sorgen der Eltern, da es einer Ausbildungs- und Betreuungssicherheit bedarf-diese Sicherheit, dass Kinder mit Beeinträchtigung bzw. mit einer Lernbehinderung vom Bildungssystem in der Regelschule ohne WENN und ABER angenommen werden, braucht es! Mein Bruder wurde Mitte der 90iger Jahre integrativ beschult. Dank eines engagierten Pädagogenteam und ausreichender Ressourcen, ist er heute am ersten Arbeitsmarkt tätig…

  • Wir mobilen Lehrerinnen für Kinder mit Körperbehinderung bzw Sinnesbehinderung, die seit 30 Jahren die Inklusion mitentwickelt haben, sind personell total unterbesetzt, werden mit Paperkram zugeschüttet und sind am Ende unserer Kräfte. Wir möchten unser Know-how beratend und betreuend den Kindern im inklusiven Setting zukommen lassen und nicht durch überbordende Bürokratie für SPF-Verfahren aufgerieben werden. Leider nimmt niemand unser, dieses Anliegen wahr, und wir wissen auch nicht, wer uns unterstützen kann, die inklusive Betreuung und SPF-Prävention – nicht erst bei Vorhandensein eines SPF- zu erhalten. Wir sind ratlos, überfordert und traurig, dass unsere Aufbauarbeit gemeinsam mit der Integrationsbewegung von Anfang an (vor 30 Jahren) nun dermaßen bedroht ist.