Online-Diskussionskampagne startet am 7. November.
Der kürzlich fertig gestellte Staaten-Überprüfungsbericht der Vereinten Nationen in Genf übt harsche Kritik am Umgang mit Menschen mit Behinderung in Österreich.
Insgesamt wurden rund 50, teilweise dringende Verbesserungsvorschläge eingebracht. Um positive Veränderungen konsequent voranzutreiben und zugleich Meinungsaustausch und Bewusstseinsbildung zu fördern, wird die Interessensvertretung sozialer Dienstleistungsunternehmen für Menschen mit Behinderung, IVS Wien, ab sofort 17 der prekärsten Themen im wöchentlichen Rhythmus auf Facebook bzw. dem IVS Blog posten und diskutieren.
PolitikerInnen, Verantwortliche aus dem Sozial-, Kranken- und Pflegebereich, ArbeitgeberInnen, Schulen, persönlich Betroffene sowie interessierte BürgerInnen sind eingeladen, sich aktiv einzubringen und mitzudiskutieren: www.ivs-wien.at und www.facebook.com/IVSWien
Auch wenn Österreich 2008 eines der ersten Länder war, das die UN-Konvention für Menschen mit Behinderung unterzeichnet hat, gibt es im nun vorliegenden Bericht des UN-Überprüfungs-Komitees kaum Positives in punkto österreichische Behindertenpolitik zu berichten. Wenige Ausnahmen sind etwa die gesetzliche Verankerung der Gebärdensprache sowie die Implementierung des Monitoring-Ausschusses für Menschen mit Behinderung. Dafür ist die Beschwerde-Liste mit acht Seiten beschämend lang.
Über Zuständigkeiten bis zur Bewusstseinsbildung
Auf politischer Ebene ortet das Komitee eine unangemessene Zersplitterung der zuständigen Behörden und Ämter, auch um die Rahmenbedingungen für eine wirkliche und echte Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist es schlecht bestellt. Besonders Frauen und Kinder mit Behinderung laufen in Österreich Gefahr, um ihre Rechte zu kommen. Kritisiert wird auch, dass Barrierefreiheit in öffentlichen Einrichtungen nicht durchgehend verpflichtend ist und es keinen Maßnahmenplan gibt, um Menschen mit Behinderung im Katastrophenfall zu unterstützen. Es fehlt zudem an notwendigen Kampagnen und bewusstseinsbildenden Maßnahmen, um hartnäckige Vorurteile und althergebrachte Stereotype auszumerzen.
Selbstbestimmung und De-Institutionalisierung
Die Sachwalterschaft, die in Österreich rund 55.000 Personen direkt betrifft, wird vom Komitee als veraltet bezeichnet. Ziel muss es sein, die weitverbreitete fremdbestimmte Entscheidungsfindung durch eine unterstützte Entscheidungsfindung zu ersetzen, die Autonomie, Willen und Präferenzen der Menschen mit Behinderung berücksichtigt. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass in Österreich Menschen gegen ihren Willen in psychiatrischen Institutionen festgehalten werden können. Darüber hinaus ist es üblich, Netzbetten und Fixierungen zu verwenden. Das Komitee fordert daher spezifische Schulungen für Fach- und Pflegepersonal sowie die Entwicklung von Strategien zur De-Institutionalisierung.
Obwohl die De-Institutionalisierung deklariertes Ziel der österreichischen Behindertenpolitik ist, stieg der Anteil an Menschen mit Behinderung, die in Institutionen untergebracht sind, in den letzten 20 Jahren weiter an. Um eine tatsächliche Veränderung zu erreichen, empfiehlt die Kommission, notwendige Mittel für die persönliche Assistenz zur Verfügung zu stellen – dies im Übrigen auch für Menschen mit intellektuellen und psychosozialen Beeinträchtigungen, wie es seit langem von österreichischen Organisationen gefordert wird.
Bildung, Arbeit, Bürgerpolitik
Die inklusive Bildung stagniert in Österreich ganz offensichtlich. Laut Bericht waren im Vorjahr an Österreichs Universitäten lediglich 13 hörbehinderte Studierende inskribiert, nur drei davon schlossen ihr Studium tatsächlich ab. Die Beschäftigungspolitik ist ebenfalls ein Stein des Anstoßes: Laut Bericht erhalten jene 19.000 Personen, die in Behindertenwerkstätten angestellt sind, zumeist eine sehr geringe Bezahlung. Gerügt werden auch die Betriebe am offenen Arbeitsmarkt: Lediglich 22 % kommen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach, Menschen mit Behinderung einzustellen. Und wer als Mensch mit Behinderung am politischen Leben aktiv teilhaben will, dem wird auch dieses oft verwehrt, vielerorts scheitert politische Teilhabe bereits daran, dass der Zugang zu den Wahlurnen nicht barrierefrei ist.
„Wir hoffen, mit dieser Initiative eine lebhafte Diskussion mit allen Betroffenen und Interessierten in Gang zu setzen. Sie soll sensibilisieren und wachrütteln und vor allem auch dazu beitragen, dringende und positive Veränderungen zu bewirken“, so IVS Sprecher Robert Mittermair. Der erste Blogeintrag wird am 7.11. online geschalten: www.ivs-wien.at