Reform der Sachwalterschaft: Experten besorgt wegen drohender Unterfinanzierung des Erwachsenenschutzgesetzes

Finanzielle Nachbesserung erforderlich damit die vorgesehene Novellierung des Sachwalterrechts für zehntausende Betroffene deutliche Verbesserungen bringen kann

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Anlässlich der beginnenden parlamentarischen Beratungen zur Regierungsvorlage des Erwachsenenschutzgesetzes zeigen sich Univ.Prof. Dr. Germain Weber (Präsident der Lebenshilfe Österreich, Vize-Dekan Fakultät für Psychologie Uni Wien), Univ.Prof. Dr. Ernst Berger (FA f. Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapeut), Univ.Prof. Dr. Rudolf Forster (Soziologe, aktuelle Schwerpunkte: 
Selbsthilfe und Patientenbeteiligung) und Univ.Prof. Dr. Jürgen Pelikan (Soziologe, aktuelle Schwerpunkte: Gesundheitsförderung und Gesundheitssystemforschung) als langjährige intensive Begleiter und Beobachter der Rechtsmaterie über die absehbare drastische Unterfinanzierung des Reformvorhabens besorgt.

„Im Begutachtungsverfahren wurde von mehreren Seiten auf den für eine so grundlegende Reform notwendigen Ressourceneinsatz verwiesen. Der dem Parlament zugewiesene Gesetzesentwurf sieht aber für die nächsten fünf Jahre zwei Drittel weniger an Finanzierungsaufwand vor als der Begutachtungsentwurf. Spätestens ab 2020 wird sich daher für die Vertretungsvereine ein beträchtliches Finanzierungsloch auftun.

Dass zusätzliche Mittel für die Gerichte überhaupt gestrichen wurden, lässt befürchten, dass die RichterInnen und RechtspflegerInnen durch die Reform überfordert und dadurch demotiviert werden“, befürchtet Prof. Dr. Rudolf Forster.

„Wir wollen daran erinnern, dass auch die Sachwalterreform von 1983 hoffnungslos unterfinanziert war und dadurch der turnaround bei manchen Problemen später nie mehr gelungen ist. Wir wollen den gleichen Fehler schließlich nicht nochmal machen, daher muss der Justizausschuss und das Plenum des Nationalrats eine finanzielle Nachbesserung und eine begleitende Evaluierung der Kosten einfordern!“

Neues Erwachsenenschutzgesetz: Probleme des geltenden Sachwalterrechts lösen

„Die Notwendigkeit der Reform lässt sich insbesondere an den Problemen der geltenden Rechtslage festmachen: Die Zahl der Sachwalterschaften ist rasant angewachsen, aktuell sind circa 60.000 Menschen davon betroffen. Einmal eingerichtete Sachwalterschaften werden kaum wieder aufgehoben. Jede Sachwalterschaft führt zu Rechtsbeschränkungen. Und die aktuelle Vielzahl der eingerichteten Sachwalterschaften führt dementsprechend für eine große Anzahl von Betroffenen zu Rechtsbeschränkungen! Die größte Errungenschaft des Sachwaltergesetzes, die allgemein positiv bewertete Vereinssachwalterschaft, ist personell bei weitem nicht so ausgestattet, dass sie den bestehenden Bedarf abdecken kann. Das führt zu Massensachwalterschaften einzelner sonstiger Sachwalter, zu großen Ungleichheiten der Betreuungsqualität und zur Überforderung von betreuenden Angehörigen“, so Lebenshilfe-Präsident Germain Weber.

Neuregelung als Paradigmenwechsel für Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen

„Die vorgesehene Neuregelung der Erwachsenenvertretung geht diese Probleme gezielt an: Sie beseitigt die automatische Rechtsbeschränkung, berücksichtigt durch eine Befristung auf drei Jahre mögliche Veränderungen des Betreuungsbedarfs und sie zwingt zur differenzierten Umschreibung des Unterstützungsbedarfs. Das wichtigste Instrument, um diese Ziele auch umzusetzen, stellt das obligatorische vorherige Clearing durch professionelle Vereinssachwalter dar, das bereits in Modellprojekten erfolgreich erprobt wurde. Notwendig für den Paradigmenwechsel ist aber auch eine Haltungsänderung weg von einer stellvertretenden Entscheidung zur gemeinsamen Suche nach Lösungen. Neue, durch die Betroffenen selbst wählbare Vertretungen unterstreichen das Prinzip der Selbstbestimmung“, so Prof. Jürgen Pelikan.

Zeit zur Reform: Novelle der Sachwalterschaft ist seit langem ausständig

Derzeit steht die Reform der Sachwalterschaft im Parlament zur Beratung und Beschlussfassung an. Seit längerem wird das bestehende, aus der Reformära Broda stammende und einst als große Errungenschaft gefeierte Gesetz kritisiert: Vielfach abweichend von seinen einstigen Zielsetzungen, herausgefordert von neuen Sichtweisen und Betreuungsformen und nicht zuletzt unter Druck geraten durch die UN-Behindertenrechtskonvention wird es zunehmend nicht mehr als zeitgemäß empfunden.

Über die Reformbedürftigkeit aber auch den positiv bewerteten Begutachtungsentwurf, der auf jahrelangen legistischen Vorbereitungsarbeiten und einer vorbildlichen Einbindung von Betroffenen beruht, besteht daher hoher Konsens.

Weiteres Opfer des Sparstifts? Verbesserung des Rechtsschutzes für Minderjährige in Heimen zur Pflege und Erziehung

Auch in Hinblick auf ein verwandtes Rechtsgebiet äußern die wissenschaftlichen Experten Besorgnis: Die vorgesehene Erweiterung des Geltungsbereichs des Heimaufenthaltsgesetzes liegt legistisch ausgearbeitet vor, soll nun aber gänzlich unter den Tisch fallen. Einziger Grund für diese sachlich völlig unverständliche Maßnahme: 
fehlende Budgetmittel. Dabei wurden die Änderungen vom Menschenrechtsbeirat gefordert. „Es ist uns unverständlich, dass im reichen Österreich allseits als notwendig erachtete Reformen für eine benachteiligte Gruppe von Menschen, die dem Parlament beschlussfertig vorliegen, nunmehr durch Sparmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit geschmälert werden bzw. gänzlich dem Sparstift zum Opfer fallen sollen!“, so Prof. Ernst Berger.

Und weiter: „Wir fordern daher das Parlament auf, das Gesetz zu beschließen, aber in einer Form, die eine adäquate Umsetzung durch die betroffenen Institutionen auch ermöglicht!“

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