Arbeit zur Wilden Euthanasie in der Wagner von Jauregg Heil- und Pflegeanstalt am Steinhof 1941-1945
Wiens Gesundheitsstadtrat Dr. Sepp Rieder übergab am Mittwoch offiziell ein Stipendium an den Historiker Mag. Peter Schwarz, der eine Dissertation zum Thema Wilde Euthanasie in der Wagner von Jauregg Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien Am Steinhof 1941 -1945 (heute Gelände des Psychiatrischen Krankenhauses Baumgartner Höhe) verfasst.
Das Stipendium in der Höhe von 160.000 Schilling wird vom Wiener Krankenanstaltenverbund zur Verfügung gestellt. Diese Arbeit ist Teil einer Serie von Aktivitäten des Wiener Krankenanstaltenverbundes zur Aufarbeitung der Ereignisse in medizinischen Einrichtungen in Wien während der NS-Zeit.
An dem Fototermin nahmen weiters der stellvertretende Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbundes, Prim. Dr. Ludwig Kaspar, sowie der Ärztliche Direktor des Psychiatrischen Krankenhauses Baumgartner Höhe, Univ. Prof. Dr. Heinz-Eberhard Gabriel, teil.
Zielsetzung der Dissertation
Mit der geplanten Arbeit sollen im Speziellen folgende Problemstellungen und Themenkreise untersucht werden: Umfang, Dimension, Motive und Hintergründe der dezentralen Tötungsaktionen nach dem August 1941 (offizielle Einstellung der Euthanasieaktion T4) im Normalbetrieb der Heil- und Pflegeanstalt Steinhof.
Auftrags- und Entscheidungsvorgang bei den Tötungsaktionen wilde Euthanasie und Aktion Brandt: Frage der Verantwortlichkeit der ärztlichen Leitung, des Ärzte- und Pflegepersonals innerhalb der Anstalt und in Bezug auf die vorgesetzten Strukturen des zentralen Euthanasieapparates (Organisation T4).
Prüfung der Möglichkeit der eigenständigen individuellen und regionalen Entwicklung auf dem Gebiet der Tötungsaktionen und der Frage, inwieweit es in diesem Bereich eine Eigendynamik unabhängig von den weiter bestehenden T4-Dienststellen gab.
So hat beispielsweise der Leiter der Anstalt Gugging, Dr. Emil Gelny, mit einem Tötungsauftrag ausgestattet, in Eigenverantwortung eine neue Tötungsmethode, ein Elektro-Schockgerät, entwickelt, mit der er Patienten massenhaft ermordete.
Durchführung der Tötungsaktionen: Klärung der Frage, welche Tötungspraktiken neben der systematischen Unterernährung für welche Patientengruppen Anwendung fanden: Luminal-Schema nach Prof. Nitsche und Dr. Renno, Verabreichung von anderen Barbituraten (Veronal etc.), Injektionen mit Luft oder Morphium-Skopolamin usw. Herausarbeitung der Gesichtspunkte, nach denen Patienten vorrangig in die Tötungsaktionen einbezogen wurden: Kriterien nicht weiter behandelbarer Erbkrankheiten, Frage nach dem Nutzen für die Volksgemeinschaft (Arbeitsverwendung, Bildungsfähigkeit, Pflegebedürftigkeit), Auslieferung der Sicherungsverwahrten (§ 42 RstGB), Asozialität.
Die Wilde Euthanasie in den Jahren 1941 bis 1945
In den Jahren 1939 bis 1941 wurden im Rahmen der so genannten T4-Aktion in verschiedenen Euthanasieanstalten geistig und körperlich behinderte Menschen systematisch ermordet. Die Aktion T4 – benannt nach der Berliner Adresse Tiergarten Straße 4, dem Zentrum der Aktion – wurde offiziell im August 1941 beendet, die Tötungen gingen jedoch weiter.
Die Phase der Ermordungen nach dem August 1941 wird Wilde Euthanasie genannt. Mag. Peter Schwarz, ein Mitarbeiter des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstandes, beschäftigt sich in seiner Dissertation mit der Wilden Euthanasie in der Anstalt am Wiener Steinhof (offizieller Titel der Arbeit: Wilde Euthanasie / Aktion Brandt in der Wagner von Jauregg Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien (Am Steinhof) 1941 1945).
Wie aus der Fachliteratur hervorgeht, ist die Ermordung von geistig und körperlich Behinderten in den verschiedenen NS- Euthanasieanstalten im Rahmen der Aktion T4 relativ gut aufgearbeitet. Dies trifft auch auf die Wiener Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof zu, von der in den Jahren 1939 bis 1941 etwa 3.200 Patienten vom Steinhof abtransportiert wurden.
Der Großteil der Steinhofer Patienten wurde in der Euthanasieanstalt Hartheim bei Linz vergast. Als Tarnungs- und Zwischenstationen fungierten für die Steinhofer Patienten die Anstalten Niedernhardt bei Linz und Ybbs an der Donau. Ebenso wurde die Tötungen von Kindern in der Klinik Am Spiegelgrund analysiert und dargestellt.
Die systematischen Tötungen zwischen dem so genannten Euthanasiestopp im August 1941 und Ende der NS-Herrschaft wurden bisher jedoch noch nicht im Detail aufgearbeitet.
Faktum ist, dass die Tötungen geistig und körperlich Behinderter am Steinhof auch über den offiziellen Stopp der Euthanasieaktion T4 von den Anstaltsärzten bis Kriegsende 1945 weiter betrieben wurden. Seit 1941 entwickelte sich die Anstalt zu einem Zentrum dezentral durchgeführter Tötungsaktionen.
Betroffen von dieser so genannten Wilden Euthanasie waren vor allem erwachsene Kranke, die an Medikamentenüberdosierungen (Luminal, Morphium etc.), Nahrungsmittelentzug (E-Kost) und Nichtbehandlung von Krankheiten verstarben. Die neue Mordtechnik hatte für die Täter einen Vorteil: Alle Todeskandidaten starben eines scheinbar natürlichen Todes, z. B. an Darmkatarrh oder Lungenentzündung. Die eigentliche Todesursache ist in aller Regel über Gewichtskurven und Medikamentendosis nur indirekt erschließbar.
Anfang August 1943 begann die sog. Aktion Brandt anzulaufen. Im Rahmen dieser Aktion wurden psychiatrische Patienten zwischen verschiedenen Anstalten im ganzen Reichsgebiet querverlegt, wobei wiederum zahlreiche Pfleglinge zu Tode kamen. Ihren Namen erhielt die Aktion Brandt von Dr. Karl Brandt, einem der Beauftragten der Aktion T4 und späteren Generalkommissar für Sanitäts- und Gesundheitswesen.
Im Zuge der Aktion Brandt wurden psychiatrische Patienten aus luftgefährdeten Gebieten zur Beschaffung weiterer Krankenbetten in andere Anstalten verlegt. Der freigewordene Anstaltsraum sollte den Bettenbedarf der Ausweichkrankenhäuser für die Opfer der Luftangriffe decken.
Auch den Steinhof erreichten seit 1943 Sammeltransporte von Anstalten und Heimen aus dem ganzen Reichsgebiet. Angeführt seien hier die Transporte der Alsterdorfer Anstalten in Hamburg, der Anstalt Langenhorn in Hamburg, des St. Josephshauses Hardt bei Mönchen-Gladbach im Rheinland und der Anstalt Niederweidenbacherhof im Kreis Bad Kreuznach. In der Folgezeit stieg am Steinhof die Sterblichkeit exorbitant an.