Rudolf Hundstorfer unerwartet verstorben

Der ehemalige Sozialminister und Gewerkschafter Rudolf Hundstorfer ist am 20. August 2019 im Urlaub in Kroatien an einem Herzinfarkt verstorben. Wie war seine Arbeit im Behindertenbereich? Ein Kommentar.

Rudolf Hundstorfer 2014
Sozialministerium

Hundstorfer wurde dieser Tage von vielen als Sozialdemokrat alter Schule gewürdigt; er hat sich im Wiener Magistrat hochgearbeitet und war von Dezember 2008 bis Jänner 2016 Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

Übereinstimmend wird darauf hingewiesen, dass er dem ÖGB in der BAWAG Affäre mit ruhiger Hand aus der Krise half und als Sozialminister bei den Turbulenzen der Weltwirtschaft im Jahr 2009 offensive und erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik betrieb. Er hatte eine lockere Art, mit Menschen zu reden und war sehr zugänglich.

„Mein Mitgefühl gehört seiner Familie“, sagt Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Ableben von Rudolf Hundstorfer. Dem kann man sich nur vollinhaltlich anschließen.

Schwieriges Verhältnis in Behindertenfragen

Es ist leider eine typisch österreichische Unart, Verstorbenen großartige Leistungen anzudichten. „Er hat vieles in seiner Zeit als Sozialminister für Menschen mit Behinderungen bewegt“, hielt beispielsweise der Österreichische Behindertenrat in einer ersten Reaktion fest

Faktum ist aber: Unter seiner Zeit als Sozialminister gab es immer wieder massive Turbulenzen, weil er zwar immer gesprächsbereit, aber in diesem Bereich einfach nicht engagiert war. Das kann man ruhig auch ansprechen und muss die Vergangenheit nicht verleugnen.

Die größten Herausforderungen der Behindertenbewegung mit Rudolf Hundstorfer waren die Einführung des Pflegefonds; wofür er tausenden Menschen den Zugang zum Pflegegeld gestrichen hatte (um Geld in Sachleistungen umzuleiten) und die Schwächung des Behindertengleichstellungsgesetzes.

Mit zwei Novellen verschlechterte er das Pflegegeldgesetz für rund 24.000 Personen derart, dass die Behindertenbewegung sogar mit einer ÖAR-Kampagne „Pflegegeld retten“ antworten musste. Er hat sich häufig zum Pflegegeld negativ geäußert, was oft kritisiert wurde. Die Einschnitte beim Pflegegeld der Stufe 1 und 2 waren derart groß, dass auch Rücktrittsaufforderungen gestellt und Demonstrationen durchgeführt wurden. (Die Auswirkungen sind heute klar ablesbar.)

Unverständnis inklusive Rücktrittsaufforderung bewirkte auch ein vermutlich aus Parteidisziplin erfolgtes „Geschenk“ von 30 Millionen Euro aus dem Sozialbudget an das Kulturbudget. Vor allem, weil gleichzeitig sinnvolle Maßnahmen im Sozialressort aus Geldmangel abgeschmettert wurden.

Groß war auch die Aufregung als bekannt wurde, dass auf Initiative von Sozialminister Rudolf Hundstorfer ein Gesetzesvorschlag erarbeitet wurde, um das Erreichen der im Behindertengleichstellungsgesetz festgeschriebenen Barrierefreiheit für Bundesministerien um weitere vier Jahre zu verschieben. Die Novelle wurde tatsächlich beschlossen.

In seiner Amtszeit explodierten die Zahlen der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen und blieben – im Gegensatz zu nichtbehinderten Menschen – auf sehr hohen Niveau. Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen ist um 124 % gestiegen. Damit ist dieser Anstieg damals doppelt so hoch wie die generelle Steigerung mit 59 % gewesen. „Nur durch eine klare Schwerpunktsetzung und durch konkrete AMS-Ziele können tatsächlich Wirkungen erreicht werden“, betonte Behindertenanwalt Erwin Buchinger. Doch dies geschah nicht.

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6 Kommentare

  • Sehr traurig ist es über einen verstorbenen Menschen schlecht zu sprechen! Das wird nicht zu ihrem Wohle gereichen

  • Dieser Kommentar ist großartig. Informativ, unpolemisch, nüchtern, korrekt, objektiv und mutig. Schade, dass es nicht mehr Journalismus von dieser Qualität gibt.

  • Leider hat Hundstorfer auch die der Erwerbslosen- bzw. Beschäftigungspolitik voll versagt und willfährig das neoliberale Aktivierungs- und Arbeitszwangregime der EU in Schritten in Österreich umgesetzt. Aus unserer Sicht ist Hundstorfer daher der größte Menschenrechtsverletzer unter den Sozialministern der Zweiten Republik, so umgänglich er sonst war.

    Rudolf Hundstorfer wurde auch vom Big Brother Award als „lebenslanges Ärgernis“ ausgezeichnet und hat der SPÖ großen Schaden zugefürgt (siehe blamable Präsidentschaftskandidatur).

    https://www.aktive-arbeitslose.at/datenschutz_aktuelle_aktionen/big_brother_awards_2015_nominierung_von_sozialminister_rudolf_hundstorfer_fuer_einen_big_brother_livelong_award.html

    Und auch beim Kapitalismustribunal war Hundstorfer ein Thema …

    https://www.aktive-arbeitslose.at/aktionen/anklage_gegen_sozialminister_rudolf_hundstorfer_beim_kapitalismustribunal.html

    Der frühe Tod kann uns nur ein Mahnmal sein, dass die Zwänge der (Partei)Politik Menschen ruiniert und Regierungsmacht IMMER ein Ablaufdatum hat.

  • Mit dem Kommentar zu Hundstorfers Vernachlässigung der Behinderten stimme ich voll überein. Ich erinnere mich sowohl an die Demonstration vor dem Ministerium, bei der es H. nicht der Mühe wert fand, mit uns zu sprechen, sondern einen Beamten schickte, wie auch an eine Delegiertenversammlung der damaligen ÖAR (jetzt ÖBR), bei der er als Erst- und Eröffnungsredner programmiert war und die gut 100 Delegierten ca. 40 Minuten warten ließ, bis er aufzutauchen geruhte. Nicht gerade ein Akt der Höflichkeit oder Wertschätzung! Und die Rede war natürlich vor allem Polit-bla bla, also insgesamt 1 Stunde vertane Lebenszeit für die Delegierten.
    Ich weine ihm keine Träne nach.

  • DANKE f. d. Abbruch mit dem üblichen Reflex, Tote in den Himmel zu loben.
    DANKE zugleich aber auch für die sehr gute und belegte Kritik.

  • Danke Marin für deine klaren Worte, auch wenn jemand verstorben ist darf man die Wahrheit schreiben