Rückblick auf die Inklusionstage zum barrierefreien Wohnen in Berlin

Wenn Menschen nicht barrierefrei wohnen können, dann ist ihre gesamte Lebensqualität stark beeinträchtigt und alle anderen Bereiche des Lebens können ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden.

Inklusionstage Berlin
Barbara Sima-Ruml

Das verdeutlicht Jessica Schröder von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) u.a. in ihrem Bericht über die Inklusionstage 2022, den sie für die kobinet-nachrichten verfasst hat.

Die Inklusionstage 2022 standen unter dem Motto: „WOHNEN barrierefrei, selbstbestimmt, zeitgemäß“ und fanden am 31. Mai und 1. Juni hybrid statt.

Bericht von Jessica Schröder

Die Inklusionstage 2022, die am 31. Mai und am 1. Juni vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) federführend ausgerichtet wurden, standen ganz im Fokus des barrierefreien Wohnens.

Erstmalig wurde die Veranstaltung hybrid durchgeführt, so dass eine Teilnahme vor Ort (Telekom Hauptstadtrepräsentanz Berlin) oder online per Livestream über die Webseite www.gemeinsam-einfach-machen.de/ikt22 ermöglicht wurde. In Diskussionen mit Teilnehmenden aus der Bundes- und Landespolitik sowie Expert*innen aus den Bereichen Architektur, Barrierefreiheit und der Interessenvertretung behinderter Menschen wurde das Thema barrierefreies Bauen kontrovers und engagiert erörtert.

In Fachvorträgen und Seminaren konnten Teilnehmende detaillierte Einblicke in die praktische Arbeit von Barrierefreiheitsexpert*innen, Wohnberatungsstellen und barrierefreien Wohnprojekten erhalten, um zu erfahren wie barrierefreies Wohnen konzipiert, gestaltet und praktisch gelebt werden kann. Leider war es mir aus Zeitgründen nicht möglich beide Veranstaltungstage zu verfolgen, deshalb hier ein persönlicher Eindruck des ersten Veranstaltungstages.

In seiner Begrüßung betonte Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil die Bedeutung der Inklusionstage, die aktuell zum neunten Mal stattfinden und Interessenträger aus Behindertenselbsthilfe / -selbstvertretung, der Wohlfahrt und Pflege sowie Akteure aus Wirtschaft und Politik zusammenbringen, um für behinderte Menschen relevante Querschnittsthemen kritisch und kontrovers zu diskutieren, mit dem gemeinsamen Ziel die Inklusion behinderter Personen in Deutschland zu beleuchten und tatkräftig zu unterstützen.

Hubertus Heil brachte seine Freude zum Ausdruck, dass die Inklusionstage nun endlich wieder hybrid stattfinden können, denn Förderung der Inklusion bedeutet vor allem persönliche Begegnungen, Austausch auf Augenhöhe und Formate, die es allen Menschen ermöglichen vor Ort oder an den Bildschirmen teilzunehmen.

Gleichzeitig betonte Minister Heil sein Bedauern darüber, dass die Inklusionstage aktuell in einer Zeit stattfinden müssen, die geprägt ist von einem Krieg, der in unserer unmittelbaren Nähe stattfindet und auch für die in Deutschland lebenden Menschen gravierende Auswirkungen hat.

Eine rapide steigende Inflation mit Preiserhöhungen in wesentlichen Bereichen wie der Lebensmittel- und Energieversorgung, Menschen aus der Ukraine und Drittstaaten, die in Deutschland Schutz und Frieden suchen, sowie eine Gefahr der Spaltung unserer Gesellschaft, sind Herausforderungen, die durch die Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik mit Tatkraft und Engagement gemeistert werden müssen.

Besonders behinderte Flüchtlinge müssen bei der Evakuierung und der Suche nach Schutz und Unterkunft unterstützt werden, weil für diese Zielgruppe eine Flucht und der Aufbau eines stabilen Umfeldes außerhalb ihres Heimatlandes mit ungleich größeren Hürden und Herausforderungen verbunden sind.

In diesem Zusammenhang lobte Heil die Arbeit der neugegründeten Kontaktstelle des Deutschen Roten Kreutz, die die Arbeit beteiligter Organisationen unterstützt und gezielt Wohn- und Fördermöglichkeiten für behinderte Flüchtlinge schaffen möchte. Trotz dieser großen Aufgaben darf die Politik nicht die Bedürfnisse der in Deutschland lebenden behinderten Menschen aus dem Blick verlieren.

Die Aufgaben und Ziele des Koalitionsvertrages der Deutschen Bundesregierung, wie die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, die umfängliche Verpflichtung der Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit, die barrierefreie Mobilität sowie eine faire Entlohnung der Werkstattbeschäftigten in den WFBMs dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Auch die Erhöhung der Ausgleichsabgabe für diejenigen Unternehmen, die keine behinderten Arbeitnehmer*innen beschäftigen, muss zeitnah realisiert werden, denn für Null-Beschäftiger*innen sollte Handlungsmaxime Null-Toleranz und Null-Verständnis sein.

Heil unterstrich ebenfalls, dass auch eine Reform des seit 20 Jahren bestehenden Behindertengleichstellungsgesetzes, dessen Umsetzung sich momentan in der Evaluation befindet, künftig handlungsleitend für die Bundesregierung sein wird. Als aktuelle Verbesserungen nannte Heil die Anhebung der Bestandserwerbsminderungsrenten sowie eine Erhöhung des Rentenniveaus.

Zur Thematik der aktuellen Inklusionstage führte Minister Heil aus, dass nur 14 % der Wohnungen in Deutschland schwellenlos gestaltet sind und gerade mal 0,3 % des Wohnraums komplett barrierefrei zugänglich und nutzbar ist.

Der Bedarf an barrierefreiem Wohnraum ist immens und wird aufgrund des demografischen Wandels weiter steigen. Im Rahmen der Inklusionstage wurden auch die drei Preisträger des Bundesteilhabepreises 2021 eingeladen und ihre Projekte kurz vorgestellt. Themen wie Kunst und Kultur für gehörlose Menschen barrierefrei gestalten, digitale Teilhabe für behinderte Menschen barrierefrei und bedürfnisorientiert gestalten und Assistenzsysteme für körperlich und kognitiv beeinträchtigte Menschen, um das eigene Wohnen barrierefrei und selbstbestimmt zu leben, haben die Preisträger*innen in ihren Projekten kreativ und praktisch umgesetzt.

Sören Bartol, der seit dem 8. Dezember 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im neu gegründeten Bundesministerium Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ist, betonte in seinem Redebeitrag, dass die Bezahlbarkeit von Wohnraum nicht gegen die barrierefreie Gestaltung von Wohnungen ausgespielt werden dürfe.

Das neu gegründete Bündnis „bezahlbarer Wohnraum“, das kürzlich erstmals tagte, zielt darauf ab, bis September 2022 Vorschläge zu erarbeiten, wie Wohnraum bezahlbar gestaltet werden kann. Hierzu sollen Investitionsanreize auf den Weg gebracht werden, Baukosten reduziert, ein Qualitätssiegel für klimafreundlichen Wohnraum geschaffen und Förderrichtlinien konzipiert werden, die auch die Barrierefreiheit stärker als bisher berücksichtigen sollen.

Das Bündnis wird Ministerienübergreifend seine Vorschläge präsentieren und deren Umsetzung einmal jährlich analysieren, um die Nachhaltigkeit und Praxisanwendung zu überprüfen.

Das altersgerechte Wohnen wird stärker als bisher gefördert, so dass Menschen so lange als möglich in ihrem vertrauten Wohnumfeld leben können. Für das Thema der Barrierefreiheit hat der Bundeshaushalt für das aktuelle Jahr einen Etat vom 75 Millionen Euro bereitgestellt.

Außerdem soll das Bündnis neben dem Regelungsauftrag des bezahlbaren Wohnraums auch das Thema der Barrierefreiheit durch stärkere Vernetzung der Länder und des Bundes und eine eventuelle Änderung der Musterbauordnung forcieren. Der Bund wird in dieser Legislaturperiode 2 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen. Davon entfällt eine Milliarde Euro auf klimagerechtes Bauen.

Der geplante Etat kann laut Bartol auch für die barrierefreie Gestaltung der Sozialwohnungen genutzt werden. Bartol betonte in seinem Abschlussstatement die Notwendigkeit einer echten Transformation des Wohnungsmarktes, hin zu Klimafreundlichkeit und Barrierefreiheit, damit Deutschland zukunftsfest gestaltet wird.

Anschließend verfolgte ich eine Diskussion zu den Themen Musterbauordnung, Landesbauordnungen und weitere Richtlinien und deren Umsetzung auf Bundes- und Länderebene.

Moderatorin Ninia LaGrande diskutierte mit den Gästen: Stephan Bull, Leiter des Referats Grundsatzfragen bezahlbarer Wohnraum beim Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Arne Frankenstein, Landesbehindertenbeauftragter der Freien Hansestadt Bremen, Martin Müller, Vize-Präsident der Bundesarchitektenkammer, Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen aus dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz und Dr. Volker Sieger, Leiter der Bundesfachstelle Barrierefreiheit.

Gefragt wie der Bund das barrierefreie Wohnen zukünftig stärker fördern möchte, erläuterte Stefan Bull die Schwerpunkte des Bündnisses bezahlbarer Wohnraum. In diesem Bündnis, bestehend aus 35 Organisationen, beratende Expert*innen aus Bauwirtschaft und Architektur und Politiker*innen aus Bund und Ländern wie dem Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen Jürgen Dusel, soll das Thema Barrierefreiheit ein Querschnittsthema werden. Bull verweist jedoch auch auf die Verfassung, die dem Bund relativ wenig Handlungsspielraum lässt, das Thema barrierefreies Bauen tatkräftig und mit gesetzlichen Verpflichtungen an die Länder und Kommunen anzugehen. Der Bund will aktuell stärker als bisher auf Förderrichtlinien setzen und versucht laut Bull seit jeher, Länder für das Thema zu sensibilisieren und eine starke Vernetzung zwischen den Ländern zu initiieren.

Arne Frankenstein betonte, dass Gesetze auch auf Bundesebene stärker darauf abzielen müssen, Barrierefreiheit nicht als Sonderthema zu behandeln und diese in alle Lebensbereiche zu integrieren. Besonders die Privatwirtschaft muss umfassend verpflichtet werden, ihre Güter und Dienstleistungen und die Orte an denen diese erworben und erbracht werden, barrierefrei zu gestalten.

Gleiches gilt für alle öffentlich zugänglichen Bereiche, egal ob sie in öffentlicher oder privater Trägerschaft sind. Auch die Bund-Länder-Koordination muss dringend verbessert werden, so dass Länder und Kommunen, die Barrierefreiheit gesetzlich stärker verankert haben, als Vorbild dienen können, damit andere Bundesländer von Ihnen lernen können und die Umsetzung stärker fokussiert wird.

Investitionsanreize und steuerliche Entlastungen, sowie Kostenreduktionen können unterstützend wirken. Frankenstein mahnte an, dass bisher ein übergeordneter Konsens zwischen Bauwirtschaft, Politik und Wohnungsverwaltung, in vielen Ländern nicht erzielt wurde, so dass manchmal der Eindruck entsteht, dass eher gegeneinander als miteinander gearbeitet wird, wenn die praktische Realisierung von barrierefreiem Wohnraum umgesetzt werden soll.

Besonders deutlich wurde das Versagen des Bundes bei der Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes, das die Barrierefreiheit der baulichen Umwelt völlig ausklammert und einen konstruktiven Dialog zwischen Bund und Ländern vermissen ließ, um dieser eklatanten Gesetzesschwäche Nutzer*innenorientiert zu begegnen.

Die Ministerbaukonferenz sollte zeitnah einen Prozess auflegen, der Änderungen im Baurecht hin zu mehr Barrierefreiheit, im Bund-Länder-Konsens realisiert, die der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Themas auf gesetzlicher Ebene gerecht wird.

Zur Rolle der Bundesarchitektenkammer erläuterte Martin Müller, dass das Thema Barrierefreiheit in der Architektenausbildung bisher noch keine große Rolle spielt, da die Architektenkammer in diesem Bereich wenig Einfluss ausüben kann, weil die Ausbildung Ländersache ist. In den Fortbildungen der Architektenkammer für ihre Mitglieder wird das Thema jedoch praxisnah vermittelt und die Mitglieder machen regen Gebrauch von diesem Angebot.

Auch hat die Bundesarchitektenkammer Beratungsstellen eingerichtet, die Bauplaner und Auftraggeber auch in Fragen der Barrierefreiheit beraten. Aber hier sieht Müller trotz aller Bemühungen gravierenden Nachholbedarf. Auch haben die Bundesbeauftragten bereits 15 Regionalkonferenzen zur inklusiven Gestaltung der Wohn- und Lebensräume organisiert, die den Austausch zum Thema Barrierefreiheit sehr dialogorientiert, konstruktiv und dynamisch thematisieren. Die nächste Regionalkonferenz zum Thema barrierefreies/inklusives Bauen wird am 12.09.2022 im Futurium in Berlin stattfinden.

Mathias Rösch führte als Vorbild die 2015 erfolgte Novellierung der Landesbauordnung von Rheinland-Pfalz aus, die Barrierefreiheit als umfassendes Thema begreift und Regelungen festschreibt, die beispielsweise vollumfängliche Barrierefreiheit für Rollstuhlnutzer*innen ab der dritten neu gebauten Erdgeschosswohnung festschreibt und auch andere Nutzergruppen wie blinde/sehbehinderte Bewohner*innen berücksichtigt.

In vielen Landes- und Kommunalbauordnungen wird Barrierefreiheit jedoch nicht als umfassendes Kriterium beschrieben. Dort wird z. B. Barrierefreiheit nur mit schwellenlos zugänglich beschrieben. Weitergehende Normen wie rollstuhlgerechte Bäder, entsprechende Türbreiten und Anfahrflächen, kontrastreiche Gestaltung von Wänden, Bodenbelägen oder akustische Gegebenheiten finden kaum Eingang in das Bauordnungsrecht.

Rheinland-Pfalz hat eine Broschüre „Leitfaden barrierefreies Bauen“ publiziert, die auf kurze und eindrückliche Weise beschreibt, was umfassende Barrierefreiheit praktisch ausmacht. Laut Rösch ist es in Rheinland-Pfalz auch auf kommunaler Ebene gelungen, das Thema des barrierefreien Wohnungsbaus sensibel und konstruktiv umzusetzen. Hier ist ein enger Austausch zwischen der Verwaltung, Politik und der Bauwirtschaft unerlässlich.

Als gutes Beispiel führte Rösch aus, dass es gelungen ist, festzuschreiben, wie viele Zimmer in den Hotels barrierefrei gestaltet sein müssen und dass der soziale Wohnungsbau und auch der Verkauf von Grundstücken an private Immobilienbesitzer, die Mietwohnungen anbieten, mit einer Quote versehen wurde, die Barrierefreiheit für eine bestimmte Anzahl von neu gebauten Wohnungen zur Bedingung macht.

Arne Frankenstein plädierte zudem dafür, dass Barrierefreiheit ein einklagbares Recht werden muss und dass auch das Recht auf angemessene Vorkehrungen Eingang in die Wohnungswirtschaft finden muss. Außerdem müssen alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung zugänglich und barrierefrei gestaltet werden und nicht nur diejenigen, die öffentlich zugänglich sind. Dadurch wird auch der inklusive Arbeitsmarkt ohne große Hürden realisierbar.

Dr. Volker Sieger bemängelt die eklatanten Unterschiede in den 16 Landesbauordnungen, die Verpflichtung von Barrierefreiheit höchst unterschiedlich festschreiben und praktisch ausgestalten. Auch die Musterbauordnung des Bundes erfüllt hier leider keine Vorbildfunktion und die meisten Länder nutzen diese als Grundlage mit dem Ergebnis, dass nur vier Bundesländer eine wirkliche Quote von neu gebauten rollstuhlgerechten Wohnungen festschreiben.

Weiterhin rügt Sieger, dass der Bund auch bei der Vergabe von Fördermitteln, die Barrierefreiheit nicht konsequent überwacht und mitdenkt, und das die Nutzung von Fördermitteln in jedem Bundesland beim Faktor Barrierefreiheit höchst unterschiedlich ausfällt. Der Bund sollte in Konsequenz dringend seine Förderrichtlinien optimieren, endlich das Baugesetzbuch novellieren und Flächennutzungs- und Flächenbebauungspläne mit rechtlichen Regelungen im Baugesetzbuch unterfüttern, die Barrierefreiheit als einen Querschnittsaspekt wahrnehmen und umsetzen.

Möglich ist das bereits im Bereich des Umweltschutzes, so dass eine Priorisierung von Barrierefreiheit realistisch und umsetzbar wäre.

Bull gibt zu bedenken, dass der Bund hier wenig Regelungskompetenz hat und bei einer Änderung des Baurechts eher zurückhaltend reagiert, da die Länder sich in ihren Befugnissen verletzt sehen würden. Er stellt in Aussicht, dass der Bund auch ein Qualitätssiegel Barrierefreiheit konzipieren und vergeben könnte, dass dem Qualitätssiegel für Energie- und Klimaeffizientes Bauen nachempfunden werden könnte. Auch betont er die Abhängigkeit zu den Ländern, die selbst entscheiden können, wie Fördermittel im sozialen Wohnungsbau genutzt werden.

Rösch betonte, dass es auf Länder- und Kommunalebene wichtig ist, Regelungen zu schaffen, die gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitet werden, gemeinschaftsorientiert sind und auch bei bestimmten Wohnprojekten personenzentriert (Menschen mit Behinderung), im Fokus haben.

Sieger machte noch einmal deutlich, dass der soziale Wohnungsbau nur dann sozial ist, wenn er Barrierefreiheit vollumfänglich integriert. Auch das Baugesetzbuch wird seinem Anspruch auf nachhaltiges Bauen nur dann gerecht, wenn Barrierefreiheit als ein wesentlicher Nachhaltigkeitsaspekt zur Befriedigung der Wohnbedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen integriert wird. Barrierefreiheit muss als ein Konzept etabliert werden, dass ähnlich der Umweltschutzstandards überwacht und geprüft werden muss.

Frankenstein betonte, dass der Begriff Barrierearmut nicht rechtsverbindlich ist, nicht verwendet werden sollte und das Barrierefreiheit nur vollumfänglich und nicht nur in reduzierter Weise verwandt und praktisch umgesetzt werden darf. Wenn Barrierefreiheit nicht vollumfänglich möglich ist, müssen angemessene Vorkehrungen das Mittel der Wahl sein.

Auf die angesprochene dringend notwendige Novellierung der Musterbauordnung des Bundes entgegnete Bull, dass der Bund einen entsprechenden Vorschlag der Bauministerkonferenz bereits präsentiert hätte, der jedoch seitens der Landesministerien abgelehnt wurde.

Aus dem Veranstaltungspublikum wurde kritisch angemerkt, dass eine dringende Notwendigkeit für ein Online-Suchportal besteht, dass barrierefreien Wohnraum aus dem gesamten Bundesgebiet auflistet und so die Suche für Nutzer*innen erleichtern helfen kann.

Frankenstein machte noch einmal anhand eines positiven Praxisbeispiiels aus dem Stadtstaat Bremen deutlich, dass es gelingen kann, eine Mindestquote für rollstuhlgerechten Wohnraum festzuschreiben, die in Bremen von der Erschließung von Bauland/Gebäuden, Planung, dem eigentlichen Bau und der Vermittlung an Rollstuhlnutzer*innen, durch die Kommune begleitet wird.

Das Publikum und alle Expert*innen bekräftigten die Notwendigkeit, dass auch Bestandswohnungen hinsichtlich der Barrierefreiheit überprüft und angepasst werden müssen. Außerdem müssen die Bauämter in den Kommunen dringend Barrierefreiheitsexpert*innen beschäftigen, die die Barrierefreiheit des Wohnraums fachmännisch prüfen, Verbesserungen anmahnen und final genehmigen.

Abschließend appellierte Volker Sieger an alle Teilnehmenden und das Publikum, dass dem Mangel an barrierefreiem Wohnraum endlich durch rechtliche Regelungen in Planung, Erschließung, dem Bau und der Zuweisung von Wohnraum begegnet werden müsse und dass alle Akteure endlich zielführend miteinander arbeiten müssen. In vielen anderen Bereichen, wie der Wohnungsaufstockung, werden zeitnah Lösungen gefunden, aber Barrierefreiheit wird konsequent verschleppt, verwässert und seine Realisierung nicht entschlossen und ernsthaft angegangen.

Da ich es nach dieser sehr aufreibenden Diskussion noch ein bisschen praktisch haben wollte, besuchte ich einen Vortrag zum Thema Anforderungen für barrierefreies Bauen und Wohnen. Referentinnen: Reinfried Blaha, Architekt und Dozent für barrierefreies Bauen, selbst Rollstuhlnutzer.

Barbara Sima-Ruml bei den Inklusionstagen Berlin
Barbara Sima-Ruml

Barbara Sima-Ruml, Dozentin, Technische Universität Graz und Podcasterin, Gutachterin für barrierefreies Bauen und Rollstuhlnutzerin. Im Programmheft wurde zur Veranstaltung ausgeführt: „‚Barrierefreies Bauen für alle‘ – Für das barrierefreie Bauen und Wohnen gibt es viele Regelungen, Normen und Gesetze. Aber was ist wirklich wichtig? Worauf sollte ich als nutzende oder planende Person achten? Die barrierefreie Konzeption eines Gebäudes muss als zentrales Element von Anfang an in den Entwurf integriert werden. Um ein stimmiges Gesamtkonzept zu erhalten, müssen bei der Planung verschiedene Lösungen in Betracht gezogen, bewertet und ausgewählt werden. In diesem Seminar werden die wichtigsten Grundsätze des Themas beleuchtet, die Essenz des barrierefreien Wohnens praxisnah vermittelt und Fragen der Teilnehmenden beantwortet.“

Da dieser Workshop sich an Menschen richtete, die bisher wenig Erfahrung mit dem Thema hatten, wurde sehr eindrücklich geschildert und mit Bildern verdeutlicht, dass Barrierefreiheit für alle Menschen wesentlich ist und alle Menschen miteinbeziehen muss. Beispiele sind die rollstuhlgerechte Wohnung, Arbeitsflächen mit erhöhten Rändern (damit nichts herunterfallen kann), gute Lichtverhältnisse, gute akustische Verhältnisse etc.

Das Gebäude muss von allen Menschen uneingeschränkt betreten und alle seine Einrichtungen uneingeschränkt genutzt werden können. Auch sollte der öffentliche Raum, wie in der Nähe befindliche Geschäfte, Spielplätze etc. bei der Konzeption mitgedacht werden.

Deutlich wurde im Vortrag auch, wie hilfreich Barrierefreiheit für alle Menschen ist. Brandschutztüren normalerweise schwergängig, werden durch Barrierefreiheit leichter händelbar, großzügige Bewegungsflächen an Türeingängen erleichtern das Betreten und Verlassen mit schweren und großen Gegenständen (Koffer, Getränkekiste) etc.. Barrierefreiheit sollte so gestaltet sein, dass Wohnungen ansprechend sind, nicht zu Spezialwohnungen werden und dass jede Wohnung flexibel anpassbar sein muss. Dies kann bedeuten, dass eine Wand mühelos entfernt werden kann, wenn beispielsweise das Badezimmer vergrößert werden soll.

Wenn Menschen nicht barrierefrei Wohnen können, dann ist ihre gesamte Lebensqualität stark beeinträchtigt und alle anderen Bereiche des Lebens können ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden. Barrierefreiheit Zuhause bedeutet würdevolles und selbstbestimmtes Wohnen.

Anhand von Fotos wurde anschaulich verdeutlicht wie Rampen, Küchen, Türeingänge, Bäder, gestaltet werden können, damit sie barrierefrei nutzbar sind. Zum Abschluss des Workshops betonten die Referent*innen nachdrücklich, dass Barrierefreiheit ein Menschenrecht ist, dass wir alle um- und durchsetzen müssen.

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