Auch dieses Mal, wie schon einige Male in den letzten Jahren, war ich beim Forschungsforum Mobilität für Alle dabei. Ein Kommentar.

Die Veranstaltung des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) am 10. Oktober 2022 stand diesmal unter dem Thema „Mobilität ohne Barrieren“. Ich war sehr gespannt, denn die bisherigen Forschungsforen Mobilität waren immer interessant.
Barrierefreiheit wurde auch schon in dem ein oder andern Vortrag angesprochen und ich erwartete mir vom diesjährigen Forschungsforum viel. Diesmal fand es direkt im Gebäude des Bundesministeriums für Energie, Mobilität, Innovation und Technologie statt.
Für mich als Teilnehmer gliederte sich die Veranstaltung inhaltlich klar in zwei Teile. Den Vormittag mit den Vorträgen zur Mobilitätswende, das heißt von der auto- zur menschzentrierten Gestaltung des öffentlichen Raums, also für öffentlichen Nah- und Fernfernverkehr, Fahrradfahren und zu Fuß gehen.
Der Nachmittag war dann der Barrierefreiheit vorbehalten. Dass die inhaltliche Trennung so strikt durchgezogen wurde, verwunderte mich sehr, da der Titel des Forschungsforums ja „Mobilität ohne Barrieren“ lautete und ich davon ausging, dass das Thema in jedem Vortrag behandelt wird. Das war leider nicht so, dazu später mehr.
Vormittagsprogramm
Nach der Begrüßung gab es am Vormittag zwei größere Themenblöcke. Einer hieß „Change!: Mobilitätswende in den Köpfen“, der andere „Multimodale Lebensstile“.
Harald Frey von der TU-Wien, er forscht im Bereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, stellte die Frage, wie man von kleinteiligen Verbesserungen in der Stadt hin zu großflächiger Neuinterpretation gelangen kann und erläuterte sie sogleich.
Ich habe schon einige Vorträge von Herrn Frey gehört und finde sie auch immer sehr interessant, auf das Thema Barrierefreiheit ist er aber leider überhaupt nicht eingegangen.
Im nächsten Vortrag erzählte Edeltraud Haselsteiner über mobilitytransition und wie der Verein CHANGE sich überlegt, wie man die Verkehrswende für Menschen fair gestalten kann, beispielsweise in dem man es emotional positiv besetzt.
Als negatives Beispiel nannte sie Kinderbücher, wo sie 67 Bücher fand zum Thema Auto, allerdings nur 4 über Fahrräder. E-Scooter sah sie kritisch, da diese laut ihr hauptsächlich nur von einer kleine Zielgruppe, meist jungen Männer, genützt werden.
Weiter ging es am Vormittag in einer Podiumsdiskussion zwischen Herrn Frey, Frau Haselsteiner, Irene Sagmeister (TBWA Werbeagentur), Bente Knoll (Büro für nachhaltige Kompetenz) sowie Johannes Pepelnik (Pepelnik und Rechtsanwälte).
Hier entsponn sich eine sehr unspezifische Diskussion von der neuen Straßenverkehrsordnung für rechts Abbiegen bei Rot mit dem Fahrrad (nicht nötig bei guter Planung der Radinfrastruktur laut den Diskutant:innen) über empathische Botschaften bei Autostopper:innen hin zu automatisierter Mobilität und ihren Herausforderungen.
Danach kam Anna Schreuer vom IFZ Graz mit dem Vortrag „Mobile Millennials – Chancen für eine neue Mobilitätskultur bei jungen Erwachsenen“. Sie ging dabei vor allem auf junge Eltern ein und wie diese auch von barrierefreier Mobilität profitieren.
Es muss noch viel getan werden, um den öffentlichen Verkehr für diese Gruppe bekannter und beliebter zu machen. Oft fehlt es am Wissen, nicht immer am Angebot.
Der Vormittag war ein Allerlei in hohem Tempo, ohne wirklich in die Tiefe zu gehen. Inhatlich waren die Vortragenden am Vormittag über jeden Zweifel erhaben, der Neuigkeitsfaktor lies aber leider zu wünschen übrig. Das war bei den bisherigen Forschungsforen nicht so, da wurden meist aktuelle Projekte vorgestellt.
Und der Bezug zu Barrierefreiheit, ja, der war gar nicht gegeben.
Abschließend am Vormittag dann die Diskussionsrunde „Multimodale Lebensstile“ mit Anna Schreuer, Clemens Raffler, Alex von Dulmen, Robert Thaler. Hier wurde dann endlich auch auf Barrierefreiheit eingegangen, zum Großteil aber nur durch die Fragen aus dem Publikum.
Hier in Kürze: Barrieren in der Mobilitätsplanung halten uns von der Moblitätswende ab, Barrierefreiheit in der Planung oft unzureichend mitbedacht, durch mangelnde statistische Erfassung. Weiter ging es mit einer Prise Technikskepsis und dem gutem alten „der persönliche Bezug ist so wichtig“-Argument, ohne dabei zu beachten, dass nicht neue Technik das Problem ist, sondern die oft fehlende Technikfolgenabschätzung.
Wie sich in der Mittagspause durch Gespräche herausstellte, war einigen der Vortragenden gar nicht klar, dass es bei der Veranstaltung den Schwerpunkt Barrierefreiheit gab. Sehr verwunderlich – aber daher gingen sie wohl so gut wie gar nicht darauf ein.
Nachmittagsprogramm
Nach dem Mittagessen gab es eine kurze Ansprache von Leonore Gewesseler, Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.
Es wirkte, als hätte ihr jemand ein paar Stichworte zu verschiedenen Themen ohne Zusammenhang gegeben. Von der Mission 11 (Energiesparen) über „Barrierefreiheit ist uns so wichtig, daher haben wir auch im eigenen Haus schon einiges umgesetzt“ mit Aufzählung von „automatische Türen, Aufzugsanlagen verbessert, barrierefreie WC-Anlagen“, war einiges dabei. Vermutlich, ohne über die tatsächliche Umsetzung zur Barrierefreiheit Bescheid zu wissen. Das nehme ich ihr jetzt nicht übel, aber ist dann halt nicht gut vorbereitet.
Übrigens: Das „barrierefreie“ WC im Ministerium war eines der Schlechteren, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Großes Waschbecken, Seifenspender ca. auf 150-170 cm Höhe, also Kopfhöhe einer stehenden Person, somit im Rollstuhl unerreichbar. Dass die „barrierefreie“ Toilette sich nur im Bereich der Damen-WCs befindet, ist dann noch einmal ein weiteres Thema für mich als Mann.
Eine, gut von ihren Mitarbeiter:innen vorbereite, Videoaufnahme wäre mir da lieber gewesen als diese Alibi-Ansprache. Das hätte Frau Gewesseler auch Zeit erspart.
Meike Niedbal, Staatssekretärin für Mobilität in der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, gab einen Einblick in die Situation des Nahverkehrs in Berlin und schlug dann die Brücke zu Barrierefreiheit.
Da beispielsweise immer noch einige U-Bahn-Stationen nicht barrierefrei sind, kann das neue Service Muva (ein Nachfolger des Berlkönigs) als barrierefreies „Ruftaxi“ genutzt werden. Derzeit sind 50 % der Fahrzeuge (10 Stück) rollstuhlgerecht. Einerseits ist es ein klassisches Ruftaxi für die „letzte Meile“ für Gebiete, in denen der Nahverkehr nicht so gut ausgebaut ist, andererseits kann man sich zur nächsten barrierefreien Haltestelle fahren lassen.
Auch der Rad- und Fußverkehr in Berlin soll mehr Platz bekommen und eine Qualitätssteigerung, zum Beispiel durch mehr Sitzmöglichkeiten, erfahren.
Die Special Olympics 2023 sollen dann nochmals als Barrierefreiheitsturbo und gleichzeitig als Test dienen.
Darauf folgend stellte Liliana Prerowsky die Stabstelle Barrierefreiheit im Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie vor, sowie die zwei neuen Broschüren „Rechtsgrundlagen und Institutionen“ sowie „Beispiele aus der Praxis“, die man unter www.bmk.gv.at/barrierefreiheit-verkehr findet.
Frau Ingrid Holzerbauer-Högler vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie informierte über die 33. StVO Novelle und ihre Auswirkungen. Eine gute Zusammenfassung der wichtigsten Punkte.
Elmar Fürst, Vorsitzender der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs pochte in seinem Vortrag auf die Umsetzung bereits existierender Gesetze und Vorschriften. Seiner Meinung nach sind Menschen mit Behinderungen nach wie vor zu wenig in die Planung und Forschung eingebunden.
Hans-Jürgen Groß, Konzernbeauftragter für Barrierefreiheit der Wiener Stadtwerke, gab einen Überblick über die vielfältigen Aufgaben der Wiener Stadtwerke. Seine zentrale Botschaft: „Alles muss barrierefrei sein – wenn einzelne Punkte in einem Prozess nicht barrierefrei sind, dann ist alles nicht barrierefrei.“
Den letzten Vortrag hielt Christian Mundigler der Firma FACC. Sie ist ein Zulieferbetrieb für die Luftfahrt. Vorgestellt wurde LAV4ALL, ihre barrierefrei Toilette für Flugzeuge mit nur einem Gang (Narrow Body Flugzeuge).
Derzeit gibt es für diese immer noch keine internationalen Vorschriften, dass barrierefreie Toiletten angeboten werden müssen. FACC hat gemeinsam mit der TU-Wien und einigen anderen Partnern an diesem Produkt gearbeitet.
Ich selbst war damals im Prototypentest involviert und konnte sie bereits testen. Es gibt einige gute Verbesserungen und das Raumgefühl ist wesentlich besser als bei bisherigen Flugzeugtoiletten in kleinen Flugzeugen.
Obwohl ich gerne fliege, war mir nicht ganz klar, wie dieser Vortrag thematisch zu den anderen klimaschonenderen Vorträgen passt, denn derzeit ist die Luftfahrt nicht gerade sehr klimafreundlich unterwegs.
Fazit
Der ganze Tag ließ mich ratlos zurück. Statt wie bisher beim Forschungsforum spannende neue Projekte kennenzulernen, dachte ich mir dieses Mal: „Ja, alles bekannt, hätte man auch schon vor 5 – 10 Jahren so hören können“. An den Vortragenden liegt es sicherlich nicht, denn deren fachliche Expertise ist mir bekannt.
Daher meine Bitte: Beim nächsten Mal bitte wieder mehr „Forschungsthemen“ und aktuelle Neuheiten!
Die Präsentationen zu den Vorträgen wird es auf der Seite des Klimaministeriums geben. Auch die vergangenen Veranstaltungen kann man nachlesen.
Sophia Z.
28.10.2022, 18:33
Danke für den guten Überblick im Artikel. Eine Frage an die Wiener Linien: Warum können nicht 2 Rollstuhlfahrer:innen in einem Bus mitfahren? Wo steht das genau geschrieben?
Ich fühle mich immer wieder diskriminiert, wenn ich mit einem anderen Rollstuhlfahrer gemeinsam fahren will. Gleichzeitig sehe ich immer wieder zwei Kinderwägen in einem Bus…