Rückschlag in der Sensibilisierung für psychische Erkrankungen

Betroffenenvertretung nimmt Stellung zum "Sager" des Bundeskanzlers

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Aussage des Bundeskanzlers Karl Nehammer beim Parteitag der ÖVP am 09.07.2022 in Tirol: „Wenn wir jetzt so weitermachen, gibt es für euch nur zwei Entscheidungen nachher – Alkohol oder Psychopharmaka.

Erst vergangene Woche führte der Verein Lichterkette Sensibilisierungsworkshops im Parlament durch. Viele Nationalratsabgeordnete und Mitarbeiter:innen des Parlaments ließen sich von Betroffenen einer psychischen Erkrankung erklären, wie es wirklich aussieht, wenn man damit lebt.

Bundeskanzler Nehammer ging mehrmals an der Station vorbei. Er hat die Gelegenheit aber nicht genutzt mit Betroffenen zu reden, womit er sich mit Sicherheit diesen „Sager“ ersparen hätte können.

Stellungnahme eines Teammitglieds des Vereins Lichterkette hierzu:

Als Erfahrungsexpertin mit einer psychischen Beeinträchtigung, die es verlangt seit nun mehr 20 Jahren Psychopharmaka zu nehmen, frage ich mich, was in einem Menschen vorgeht, um eine solche Aussage zu tätigen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich was Alkoholmissbrauch anrichten kann und wie ganze Familien darunter leiden. Es ist also kein Spaß und nichts mit dem man auf einem Parteitag versucht Witze zu machen! Im Gegenteil solche rücksichtslosen Aussagen sind dafür verantwortlich, dass Menschen in schwierigen Lebenslagen endgültig den Halt verlieren.

Es ist eine klare Abwertung all jener Menschen die tagtäglich gegen den Drang ankämpfen wieder zum Alkohol zu greifen. Ebenso stigmatisiert es all die Menschen, die sich vielleicht trotz Ängsten zu einer Medikation mit Psychopharmaka entschieden haben.

Während die Angst in der Gesellschaft durch wieder steigende Covid-19 Zahlen und Meldungen über die Gaskrise und den Ukraine-Krieg zunimmt, ist es eine bodenlose Frechheit, eine so gedanken- und rücksichtslose Aussage zu tätigen. Es zeugt davon, dass keinerlei Wissen darüber vorhanden ist, wie es der Bevölkerung geht.

Welche schwerwiegenden Problemlagen es in Familien und bei einzelnen Personen gibt. Was alles durch das derzeit zur Verfügung stehende Versorgungssystem österreichweit nicht mehr abgefangen werden kann.

Und nein, Alkohol ist keine Lösung! Genauso wenig wie das unprofessionelle Verschreiben und das nicht indizierte einnehmen von Psychopharmaka.

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3 Kommentare

  • Dieses Gejammere ist ja kaum auszuhalten. Alk ist in Ö ein weit verbreiteter Stimmungsaufheller. Im Gegensatz zu Krankheiten ist jeder Griff zur Flasche eine mehr oder weniger bewusste eigene Entscheidung und daher ein Wegschieben eigener Verantwortung, dem Alkohol die Schuld für die zerstörte Familie zu geben. Es ist halt wie mit allem. Wer beschließt, irgendwann vielleicht mal mehr Sport zu machen und ein Fitnesscenter-Abo abschließt, wird es zu nichts bringen – wegen dem ermüdenden Job, dem Familienstress und natürlich dem unsportlichen Körper, für den er wohl nichts kann. Weiter kommt der, der einfach losläuft und der, der sich nicht wegen einer nicht ganz unwahren Aussage angegriffen fühlt, die Verantwortung für seine Sucht und seine Fehler übernimmt und wirklich aufhört zu trinken.

    Und was bitte ist an der Meinung, ja fast schon Feststellung, diskriminierend, dass es für manche so schlimm wird, dass sie zu Psychopharmaka greifen müssten? Wird damit irgendeine psychische Krankheit verharmlost? Nein, es ist nicht einmal die Rede von psychischen Krankheiten, schon gar nicht von schweren.
    Übrigens ist die Wirksamkeit von Antidepressiva gelinde gesagt umstritten.

  • Ich nehme bereits 30 Jahre Psychopharmaka gegen meine Depressionen und Angstzustände (täglich). Ich weiß nicht, ob sich der BK der Tragweite seiner unqualifizierten Aussage bewusst war. Beeinträchtigte Menschen werden grundsätzlich oft stigmatisiert. Das Leben und vor allem die Menschen haben sich in diesen letzten Jahren der Virenbedrohung sehr verändert. Mitmenschlichkeit lässt zu wünschen übrig. Die Zeiten werden noch schwieriger werden, genauso wie vielleicht unpassende Aussagen passieren werden. Wir müssen täglich mit unserem Schicksal hadern und versuchen unser bestes zu geben!

  • …weil Sensibilisierung für den A. ist und nur längerfristige Selbsterfahrung zum Umdenken führt.