Schadenersatz wegen unterbliebener Abtreibung eines schwer behinderten Kindes

OGH Entscheidung vom 25.5.1999

Ultraschall
MedicalPrudens

Nur wenige Wochen nachdem in der Zeitschrift BIZEPS-INFO vom April 1999 unter der Rubrik „Lebensunwertes Leben“ mein Artikel über die im § 97 StGB geregelte Abtreibung bei „eugenischer Indikation“ erschienen war, hat der OGH in einer Entscheidung vom 25.5.1999 (1 Ob 91/99 k) die von mir kritisierte, weil alle behinderten Menschen diskriminierende Bestimmung praktisch angewandt und erstmals eine grundlegende Entscheidung zum Problem des vermögensrechtlichen Schadens bei Geburt eines körperlich schwer behinderten Menschen gefällt.

Folgender Sachverhalt war vom Höchstgericht zu beurteilen:

Ein Kind war ohne Arme und Hände und beiderseits mit Klumpfüßen zur Welt gekommen. Die Eltern und das Kind selbst stellten Schadenersatzansprüche gegen die Erhalter jenes Spitales, in dem Ärzte bei mehreren Ultraschall-Untersuchungen die schwere Behinderung des Fötus grob fahrlässig nicht erkannt hatten.

Der OGH verneinte den Schadenersatzanspruch des Kindes selbst, weil dessen Behinderung niemand verschuldet hatte und niemand einen Anspruch auf Verhütung oder Vernichtung seines Lebens habe. Gleichzeitig bejahte er die Frage, ob Eltern den Mehraufwand für die Pflege und Versorgung ihres schwer behinderten Kindes verlangen dürfen, wenn die Mutter bei rechtzeitiger Aufklärung über die Behinderung ihres Kindes einen – im § 97 StGB vorgesehenen – Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hätte.

Die in zahlreichen Leserbriefen und Kommentaren zwischenzeitig heftig kritisierte Entscheidung des OGH beruht demnach auf jener eugenischen oder embryopathischen Indikation des § 97 StGB, die eine unbefristete Abtreibung straflos stellt, „wenn die ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“.

Wichtig ist, daß das Höchstgericht in der genannten eugenischen Indikation – im Gegensatz zu den Unterinstanzen – nicht einen bloßen Strafausschließungsgrund erblickt, sondern im Einklang mit der Lehre einen Rechtfertigungsgrund annimmt, der eine Abtreibung wegen eines Defektes am Kind rechtmäßig erscheinen läßt. Nur ein rechtmäßiges Verhalten der Mutter kann aber Grundlage für einen Schadenersatzanspruch sein.

Rechtfertigungsgründe wie etwa Notwehr, Anhalterecht verdächtiger Personen, Zwangsakte in Ausübung von Amts- und DIenstpflichten stellen stets gezielte Ausnahmen von einem generellen Verbot dar. Sie sind notwendig, um Werte- und Interessenkollisionen einer Lösung zuzuführen. Alle Rechtfertigungsgründe beruhen auf dem Prinzip des überwiegenden Interesses, das heißt das Interesse an der Erhaltung des Rechtfertigungsgutes muß das Interesse an der Erhaltung des geschützten Gutes überwiegen.

Dem freien Selbstbestimmungsrecht und sonstigen Belangen der Schwangeren kann wohl nicht ohne weiteres und unbefristet Vorrang vor dem ungeborenen Leben eingeräumt werden. Bei einer umfassenden Interesssenabwägung, von der der OGH in seinem Urteil spricht, dürfte das Interesse der Gesellschaft, behindertes Leben etwa aus Kostengründen unter allen Umständen, auch noch nach Ablauf der 3-Monatsfrist faktisch bis zur Geburt zu verhindern, mit eingeflossen sein. In diesen „höher bewerteten Interessen“ ist ein deutliches Werturteil enthalten, welches behinderte Menschen als lebensunwert oder jedenfalls geringwertiger als andere Menschen einstuft.

Diese inhumane, alle behinderten Menschen diskriminierende Gesetzesbestimmung sollte ehestens beseitigt oder repariert werden.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich