In Potsdam sind fünf Menschen mit Behinderung Opfer einer Tötungsserie in einer sogenannten Behinderteneinrichtung geworden – vier von ihnen starben.
„Vier Menschen sind Tod, der Ableismus lebt“, so bringt Raul Krauthausen in einem Beitrag für Die Neue Norm auf den Punkt, was derzeit in Teilen der Behindertenbewegung nach der Tötung von vier Menschen und der schweren Verletzung einer weiteren Person in einer Behinderteneinrichtung in Potsdam diskutiert wird.
Auch die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) fordert Handeln statt Blumensträuße angesichts der Gewalt, die behinderte Menschen vielfach erleben müssen.
„In Potsdam sind fünf Menschen mit Behinderung Opfer einer Tötungsserie in einer sogenannten Behinderteneinrichtung geworden – vier von ihnen starben. Während die Hintergründe der Tat noch untersucht werden müssen, stellt sich Raúl Krauthausen nicht erst seit heute Fragen zu strukturellen Problemen dieser Wohnformen und wie viel Ableismus in ihnen steckt“, heißt es in der Einführung des Beitrags auf Die Neue Norm.
Viele Betroffene wissen dabei, wovon sie reden, denn sie haben in Einrichtungen gelebt. Raul Krauthausen hat sich vor einigen Jahren in einer Undercover-Aktion in eine Einrichtung begeben und am eigenen Leib erlebt, wie man dort oft den Helfenden ausgeliefert ist.
„Die Opfer lebten schon seit vielen Jahren in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung. Statt über die Opfer mit Behinderung zu sprechen, lag aber das Augenmerk des Oberbürgermeisters der Stadt Potsdam Mike Schubert in seinem Statement bei der ‚aufopferungsvollen Pflege‘ in dieser Einrichtung, und die Leiterin betonte, dass die Mitarbeiter*innen ‚außerordentlich engagiert‘ seien. Wenn es um die Arbeit mit Menschen mit Behinderung geht, benutzen Menschen ohne Behinderung rasch paternalistische Superlative – als wäre es eine Art ‚Mission Impossible‘ und keine Dienstleistung. Es wird fast ausschließlich über sie gesprochen, und nicht mit ihnen“, schreibt Raul Krauthausen.
Link zum Beitrag von Raul Krauthausen in Die Neue Norm
„Behindertenfeindliche Gewalttat: Eine Mitarbeiterin eines Wohnheims in Potsdam soll vier Menschen mit Behinderung getötet haben. Betroffene äußern Kritik an der Berichterstattung“, titelt die taz und berichtet: „Während die Trauer über die entsetzliche Tat vorherrscht, äußern viele Menschen auch starke Kritik an der Berichterstattung über die Tat und fordern die Politik auf zu handeln und Gewalt in der Pflege zu thematisieren. Menschen mit Behinderungen seien täglich strukturellem Ableismus ausgesetzt.“
Link zum Bericht in der taz, in dem mehrere behinderte Menschen mit ihrer Kritik zitiert werden
Ob die begonnene öffentliche Diskussion genauso verläuft, wie bei anderen Gewalttaten gegenüber behinderten Menschen, beispielsweise zuletzt bei den über Jahre praktizierten Menschenrechtsverletzungen und Gewaltakten im Wittekindshof in Bad Oyenhausen, muss sich noch zeigen.
Eine Diskussion im Sozialausschuss des Bayerischen Landtags diese Woche zur Umwandlung von großen Komplexeinrichtungen hat das Beharrungsvermögen der Politik und der Einrichtungen auf jeden Fall auf’s Neue bestätigt. Die Entwicklung scheint hier eine Schnecke zu sein – trotz UN-Behindertenrechtskonvention und aller Erkenntnisse, dass niemand freiwillig in solchen Einrichtungen leben will, der diese betreibt.
Falko Klemm
27.05.2021, 15:57
Hier versagt der Staat auf ganzer Linie, denn solche Einrichtungen gehören
nicht in die Hände von privaten Einrichtungen. Deren „Geschäftsmodell“ be-
steht naturgemäß in der Erzielung maximaler Gewinne für deren Gesellschafter.