Aussonderung in einem Integrationsraum

  • SchlichtungswerberIn: Erika Muster
  • Unterstützt von: Martin Ladstätter
  • Schlichtungspartner: Hauptschule in Niederösterreich
  • Zeitraum: 4. Juli 2006 bis 6. November 2006
  • Bundesland: Niederösterreich
  • Gesetzesgrundlage: BGStG
  • Einigung: Ja

Schlichtungsantrag

Mein Sohn, geboren am 13.10.1992, wurde trotz Integration in einer Integrationsklasse seiner Hauptschule gemeinsam mit den anderen „Integrationskindern“ regelmäßig in einem Zimmer Namens „Integration“ unterrichtet und nahm dadurch sowohl in seiner kognitiven als auch in seiner persönlichen Entwicklung Schaden.

Bereits in der 4. Klasse Volksschule begannen mein Mann und ich, mit der Schulleitung, den Lehrern, den Lehrerinnen und der Behörde in Kontakt zu treten, damit die für eine weiterführende, qualitätsvolle Integration erforderlichen Voraussetzungen in der Hauptschule geschaffen werden können. Unser Sohn hat sonderpädagogischen Förderbedarf, wurde aber bisher, unter Berücksichtigung seiner Bedürfnisse, nach dem Regelschullehrplan unterrichtet, im Gegenstand Deutsch um ein Jahr zurückgestuft.

Als wir bei einem Besuch in der Hauptschule die Existenz eines Integrationszimmers entdeckten, versuchten wir Eltern gemeinsam mit der Therapeutin unseres Sohnes, den Lehrern, den Lehrerinnen und dem Direktor zu vermitteln, dass ein gesonderter Unterricht außerhalb des Klassenverbandes der Entwicklung nicht förderlich ist.

Der „Integrationsraum“ bedeutete für unseren Sohn Stigmatisierung und Etikettierung, die bei ihm zu einer Verringerung des Selbstwertgefühls sowie zu massiven Rückschritten in seiner sprachlichen Entwicklung führten. Er traute sich bald nichts mehr zu und trat mit seiner Umwelt kaum mehr in Kontakt.

Diese Demütigung ließ er sich in der Schule gegenüber den Klassenkameraden nicht anmerken, um seine „Position“ nicht zu verschlechtern. Die LehrerInnen sprachen von ihm als armen, im allgemeinen Unterricht völlig überforderten Schüler.

Immer wieder bemühten wir uns, den Kontakt zu den Lehrern und Lehrerinnen herzustellen und sie über die fatale Situation zu informieren. Auch seine Therapeutin nahm sich für ein Gespräch Zeit und bot ihre fachliche Unterstützung an. Es wurde uns Ende Oktober vergangenen Jahres versprochen, dass alles in Ordnung käme.

Da sich bis Februar 2006 an der Unterrichtsstrukur- und -form nichts veränderte – unser Sohn wurde weiterhin regelmäßig aus dem Klassenverband genommen und extra unterrichtet, in gemeinsamen Unterrichtsphasen seine Behinderung meist nicht oder unzureichend berücksichtigt – sahen wir Eltern es als unsere Verantwortung, unseren Sohn aus der Schule heraus zu nehmen.

Seit er die Lernwerkstätte – wo alle Kinder in der Gemeinschaft kindgerecht unterrichtet werden – besucht, nimmt er wieder aktiv am Unterrichtsgeschehen teil und tritt auch außerhalb der Schule mit seiner Umwelt aktiv in Kontakt. Er hat innerhalb kürzester Zeit enorme Lern- und Entwicklungsfortschritte erzielt. Erst jetzt ist uns das gesamte Ausmaß der schweren Benachteiligung durch mangelndes Wahrnehmen seiner Bedürfnisse sowie die schädigende Wirkung der ständigen Stigmatisierung durch Aussonderung bewusst!

Dass wir Eltern nun dies privat finanzieren müssen € 330,– 10 mal im Jahr, obwohl der, den individuellen Bedürfnissen von Kindern mit Behinderung mitberücksichtigende, Unterricht im Auftrag der Regelschule wäre, ist eigentlich nicht einzusehen (siehe z.B. SCHUG §17 „Der Lehrer hat….“, SCHUG §18, 3: „Die Zusammenfassung in Schülergruppen kann bei einem gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf entfallen“, HS-Lehrplan – Didaktische Grundsätze – „Integration“ sowie „Förderung durch Differenzierung und Individualisierung“ usw.). Ich mache im Rahmen dieses Schlichtungsantrages diese Mehrkosten sowie immateriellen Schaden (Kränkung) geltend.

'Aussonderung in einem 'Integrationsraum'
BIZEPS

Schlichtungsvereinbarung

  • Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur erstattet Familie Muster die Ausgaben für die “Lernwerkstatt” in der Höhe von 3300 Euro. Die unverzügliche Überweisung wird noch diese Woche veranlasst.
  • Das Bundesministerium wird anregen, dass der “Integrationsraum” (wie dieser derzeit in Schulen beschriftet ist) umbenannt wird (Gemeindekompetenz!)
  • Die anwesenden Personen legen Wert darauf festzustellen, dass sie durch das heute stattgefundene Schlichtungsgespräch sensibilisiert wurden für die Bedürfnisse behinderter Schüler und Schülerinnen sowie deren Eltern.
Erlass zum Gleichstellungsgesetz vom BMBWK
BIZEPS

Anmerkungen/Bewertung

Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur unterstützte bei der Schlichtung den zuständigen Schlichtungspartner, der durch den Bezirksschulinspektor vertreten war.

In einem Erlass (GZ 12.938/0001-111/2/2006) vom 10. November 2006 hielt das Ministerium dann fest: “Im Besonderen wird ersucht, die Benennung von Räumlichkeiten (Klassenzimmern) auf möglicher Weise diskriminierende Bezeichnungen (wie z.B. “Integrationsraum”) hin zu überprüfen und entsprechende Türschilder oder sonstige Aufzeichnungen bzw. Wegweiser u.a. zu beseitigen und durch nicht diskriminierende Benennungen zu ersetzen.”

Aber es ist auch auf weitere Dinge Bedacht zu nehmen. “Es mögen (auch künftig) gezielt Maßnahmen gesetzt werden, um Lehr- und Verwaltungspersonal im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren. Es muss zur Kenntnis und in das Bewusstsein von Verwaltungsorganen gelangen, dass auch scheinbar harmlose und in keinerlei böser Absicht getroffene Aussagen bzw. gesetzte Handlungen von Menschen mit Behinderungen subjektiv als Diskriminierung empfunden und bekämpft werden können”, erläutert das BMBWK im Erlass.

Bewertung durch Erika Muster

Ich empfand es positiv, dass es die Möglichkeit gibt, eine Person des Vertrauens mit zu nehmen und war erfreut, dass sich das Bildungsministerium mit dem Thema schulische, soziale Integration von behinderten Kindern in der Praxis auseinandersetzen musste. Negativ ist, dass Mütter und Väter sich durch den Paragraphendschungel kämpfen müssen, damit ihre Mädchen und Burschen nicht diskriminiert werden.

Mit der Schadensersatzabgeltung keine Aussonderung, Stigmatisierung und Menschenrechtsverletzung abgegolten werden. Das Ergebnis ist leider nicht nachhaltig, weil es keine Gesetzesänderung gibt.

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