Kampagne zum Gleichstellungspaket irreführend?

  • SchlichtungswerberIn: Wolfgang Mizelli
  • Schlichtungspartner: Bundesministerium für Soziales, Generationen und Konsumentenschutz
  • Zeitraum: 4. April 2006 bis 21. August 2006
  • Bundesland: Steiermark
  • Gesetzesgrundlage: BGStG
  • Einigung: Nein

Schlichtungsantrag

Die Darstellung der Lebensrealität behinderter Frauen und Männer wurde in der Kampagne zum Gleichstellungspaket ins Positive verzerrt. Diese verharmlost daher den Tatbestand „Diskriminierung“ und entspricht nicht der Realität. Zur Darstellung der tatsächlichen Lebensrealität empfehle ich neben anderen Studien auch den Bericht zur Lage behinderter Menschen 2003, herausgegeben vom BMSG.

Die Kampagne erweckt den Eindruck, dass Diskriminierungen keine gravierenden Attacken auf die persönliche Integrität behinderter Frauen und Männer darstellen, sondern quasi lässliche Sünden in der zwischenmenschlichen Beziehung sind. Behinderte Frauen und Männer, Mädchen und Buben schildern ihre tatsächliche Lebenssituation allerdings immer noch mit drei Schlagworten: Unterdrückung, soziale Ausgrenzung und Bevormundung. Sie schildern in der Regel diskriminierende Lebensbedingungen, die auch mit dem Gleichstellungspaket nicht beseitigt werden. International wird dieser Befund durch wissenschaftliche Studien aus dem interdisziplinären Fachbereich „Disability Studies“ gestützt. Dies deckt sich auch mit meinen persönlichen Erfahrungen. In dem Material der Kampagne wird allerdings der Eindruck erweckt, dass behinderte Frauen und Männer in der tatsächlichen Gesellschaft vollkommen akzeptiert wären, mit keinen Vorurteilen kämpfen müssen und die Gesellschaft grundsätzlich barrierefrei ist und der Rest von eben dem Gleichstellungspaket erledigt wird. Wenn tatsächlich alles in Ordnung wäre, bräuchte es kein Gleichstellungspaket.

Des weiteren wird der Eindruck erweckt, dass behinderte Frauen und Männer überwiegend in Berufen tätig sind, die der jeweiligen Frau und dem jeweiligen Mann ein solides Einkommen über dem Durchschnitt garantiert. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Eine beschönigende Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse erschwert es behinderten Frauen und Männer eine realistische und dennoch positive Identität mit einer Beeinträchtigung zu entwickeln und diese dann auch aufrecht zu halten. Das bedeutet eine Benachteiligung gegenüber nicht behinderten Frauen und Männern und diskriminierend. Eine beschönigende Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse erschwert es behinderten Frauen und Männer bei nichtbehinderten Frauen und Männern Verständnis für ihre Anliegen zu finden. Das bedeutet eine Benachteiligung gegenüber nicht behinderten Frauen und Männern und ist diskriminierend.

Die Kampagne bedient sich bei der Darstellung behinderter Frauen und Männer des tradierten Stereotyps „Supercrip“, das zusammen mit dem des „Evil Avangers“ und dem des „Poor Suffering Victim“ den Grundstock der allgemeinen Bildbibliothek über behinderte Frauen und Männer bildet. Alle drei Stereotype werden von behinderten Frauen und Männern als diskriminierend abgelehnt. Der Stereotyp „Supercrip“ vermittelt dabei, oberflächlich durchaus positiv, nämlich den Eindruck, dass eine Beeinträchtigung irrelevant für den jeweiligen Alltag ist und mit Kraftanstrengung überwunden werden kann. Wenn es Probleme gibt, ist das letztendlich das persönliche Verschulden der behinderten Frau oder des behinderten Mannes. Das ist aus Sicht behinderter Frauen und Männer diskriminierend und trägt dazu bei, ein feindliches Klima gegenüber diesen Personen herzustellen.

Ich selbst bin querschnittgelähmt, versuche meinen Alltag trotz fehlender und mangelnder Unterstützung zu organisieren und bin durch genau diese Informationskampagne diskriminiert.

Bild der Kampagne: Nachrichten aus der Zukunft
BMSK

Anmerkungen/Bewertung

Es wurde eine erste Übereinkunft erzielt, dem Ministerium folgende Punkte mitzuteilen:

  • Behinderte Menschen mit Erfahrung in der Darstellung behinderter Menschen in den Medien sollen in Zukunft mit einbezogen werden
  • Bei der Vergabe von Aufträgen deren Zielgruppe Menschen mit Behinderungen sind, sollen die auftragnehmenden bzw. förderungsnehmenden Organisationen umfassend barrierefrei erreichbar sein. Die betrifft die Räumlichkeiten, die Informationen und den Webauftritt.
  • Errichtung eines Rechtshilfefonds, damit Menschen mit Behinderung bei Klagen nach dem Behindertengleichstellungsrecht ein vermindertes Kostenrisiko haben.
  • Schadenersatz für die erlittene Kränkung von zu vereinbarender symbolischer Höhe an Herrn Mizelli.

Eine Antwort des BMSG soll auch im Hinblick auf die gesetzliche Frist von drei Monaten ab Antrag bis spätestens 10. Juli 2006 erfolgen.

Herr Mizelli teilt dem Bundessozialamt und dem BMSG innerhalb drei Wochen nach Erhalt der Antwort mit, ob er den Schlichtungsantrag aufrechterhält oder nicht.

Der Brief des Bundesministeriums:

Sehr geehrter Herr Mizelli!

Ich danke für Ihre Anregungen in der Schlichtungsverhandlung vom 15. Mai 2006 und darf Ihnen dazu Folgendes mitteilen:

Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ist mir ein großes Anliegen, das mit 1.1.2006 in Kraft getretene Gleichstellungspaket stellt meiner Ansicht nach einen wesentlichen Schritt in diese Richtung dar. Begleitend dazu sind aber noch Maßnahmen erforderlich, wie beispielsweise das vor kurzem im Nationalrat beschlossene Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetz, das Erleichterungen für Menschen mit Behinderungen im Bereich des Berufszuganges und der Berufsausbildung bringen wird.

Zusätzlich zu den gesetzlichen Maßnahmen erachte ich es als eine wichtige Aufgabe meines Ressorts, die Öffentlichkeit, insbesondere die betroffenen Personen, über die Inhalte des Gleichstellungspaketes zu informieren.

Prinzipiell ist zu den TV-Spots zu sagen, dass dieses Genre ganz generell immer mit idealisierten Bildern arbeitet. Die Informationskapagne des BMSG ist aufgebaut auf dem Slogan “Nachrichten aus der Zukunft”, welcher durch Berichterstattung Betroffener möglichst realistisch darstellen sollte, wie es aufgrund heute getätigter Maßnahmen morgen konkret aussehen wird. Somit handelt es sich um den Kunstgriff einer Fiktion, die skizzieren soll, wie es in der Zukunft durch die positive Wirkung des Behindertengleichstellungsgesetzes aussieht. Keinesfalls handelt es sich um eine nicht der Wirklichkeit entsprechende Darstellung des IST-Zustandes.

Zu den von ihnen genannten Punkten im Einzelnen:

Zu Punkt 1:
Die Mitwirkung von fachlich kompetenten Menschen mit Behinderungen bei entsprechenden Qualifikationen wird begrüßt und hat im gegenständlichen Fall auch bewusst stattgefunden. Die Darsteller der beiden im Schlichtungsantrag angesprochenen Spots zum Thema Behinderung (”Barbara“ und “Bernhard”) sind beide selbst Betroffene. Im Übrigen entsprach die Darstellung des gehörlosen Arztes im TV-Spot “Bernhard” inhaltlich voll und ganz den Vorstellungen des Österreichischen Gehörlosenbundes, der in die Konzeption dieses Spots miteinbezogen war und ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die gezeigten Inhalte genau der Weg seien, wo man hinwolle.

Zu Punkt 2:
Nach dem Bundesvergabegesetz kann im Vergabeverfahren insbesondere auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen Bedacht genommen werden. Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in versicherungspflichtigen Dienstverhältnissen kann daher durchaus als eines der Zuschlagskriterien Berücksichtigung finden.
Bei Förderung von Projekten werden Projektträger vertraglich angehalten werden, ihre Räumlichkeiten und Produkte (z.B. Homepage) barrierefrei zu gestalten. Insbesondere bei der Anmietung von Räumlichkeiten ist darauf Bedacht zu nehmen. Ist die Herstellung der Barrierefreiheit aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen allerdings nicht zumutbar oder nicht möglich, so ist das Projekt dennoch zu fördern, damit die mit der Förderung verfolgte Zielsetzung, nämlich die berufliche Integration von Menschen mit Behinderung, erreicht wird.

Zu Punkt 3:
Die Einrichtung eines Rechtshilfefonds bedarf einer gesetzlichen Grundlage, für diesen Fonds müssten auch jährlich entsprechende Budgetmittel zur Verfügung gestellt werden. Ihre diesbezügliche Anregung werde ich in die laufenden Diskussionen über die Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechtes gerne einbringen.

Zu Punkt 4:
Für eine Schadenersatzzahlung sehe ich im gegenständlichen Fall keine Grundlage, da – wie bereits in der Schlichtungsverhandlung ausführlich dargestellt – unserer Rechtsansicht nach ihr Schlichtungsbegehren keinen Anwendungsfall des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes darstellt.

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