Neues Servicezentrum nicht barrierefrei

  • SchlichtungswerberIn: Martin Ladstätter
  • Unterstützt von: Mag. Andrea Ludwig
  • Schlichtungspartner: Bundeskanzleramt
  • Zeitraum: 9. März 2009 bis 12. November 2009
  • Bundesland: Wien
  • Gesetzesgrundlage: BGStG
  • Einigung: Nein
  • Klage: Ja

Schlichtungsantrag

Am 3. Dezember 2008 war ich in der Innenstadt tätig und am Weg zur U-Bahn kam ich vom Michaelaplatz beim Servicezentrum HELP.gv.at (1014 Wien, Ballhausplatz 1, Eingang Schauflergasse) vorbei.

Ich habe in den letzten Jahren HELP.gv.at immer wieder im Bereich barrierefreies Internet beraten. Da ich weder bei der Eröffnung am Nationalfeiertag noch in den Wochen danach in der Gegend war, wollte ich die Gelegenheit nutzen mir das groß angekündigte Zentrum und seine Leistungen in Ruhe näher anzusehen. „Das Servicezentrumteam berät Sie gerne zu E-Government Themen, informiert Sie über Einsatzmöglichkeiten der Bürgerkarte und verfügbare E-Government Anwendungen“, heißt es auf der Homepage des Bundeskanzleramtes.

Aber es werden auch eine Reihe von kostenpflichten Leistungen angeboten. Beispielsweise: „Im Servicezentrum HELP.gv.at können Sie Kartenlesegeräte zum Selbstkostenpreis von 7,26 Euro kaufen.“ bzw. „Eine kostenpflichtige Leistung ist der Zugang zu elektronischen Registern und Datenbanken wie dem Firmenbuch oder dem Gewerberegister. Die Servicezentrum-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter erstellen gerne Abfragen aus amtlichen Registern für Sie.

Eingang nicht barrierefrei

Zu meiner großen Überraschung musste ich feststellen, dass sich beim Eingang des Servicezentrum HELP.gv.at Stufen befinden (zuerst eine und wenig später gleich zwei weitere).

Für mich als Nutzer eines Elektrorollstuhles war es daher nicht möglich, die Beratungsstelle durch diesen Eingang zu erreichen.

Ich habe dann jemanden hineingeschickt und das sehr freundliche Personal des Servicezentrums HELP.gv.at entschuldigte sich vielmals, weil der Eingang nicht benutzbar ist.

Das Personal begleitete mich dann die Schauflergasse in Richtung Ballhausplatz, durch einen Eingang beim Ballhausplatz 1, über einen Innenhof mit Kopfsteinpflaster, zu einer unbeschrifteten und unauffälligen Tür an der Hofecke und dann zu einer versperrten Tür, die nur für das Personal zu öffnen war.

Da die Person aber vergaß, ihre – ich glaube es war eine Magnetkarte – mitzunehmen, musste sie den ganzen Weg wieder retour gehen und kam nach einigen Minuten wieder, während ich in der Kälte wartete.

Ich erreichte so, ziemlich mühselig und frustriert, doch noch das Servicezentrum HELP.gv.at, welches auch ein als barrierefrei gekennzeichnetes WC hat und wurde freundlich beraten. Beim Verlassen habe ich dann die Fotos gemacht, weil ich diese diskriminierende Behandlung in Bezug auf die Zugänglichkeit nicht hinnehmen werde – teilte ich mit – und man gab mir auf meinen Wunsch hin die Telefonnummer eines Verantwortlichen.

Noch am selben Tag konnte ich mit dem stellvertretenden Sektionsleiter des Bürgerservice des Bundeskanzlers telefonieren, doch er sei – so erläuterte er mir– nicht für die Räumlichkeiten zuständig und nannte mir den Leiter der Sektion I (Präsidium) des Bundeskanzleramtes als Verantwortlichen.

Nach einigen Tagen erfolgte am 15. Dezember 2008 der Rückruf des Sektionsleiters, um den ich gebeten hatte. Ich versuche ihm zu erklären, warum ich der Meinung bin, dass diese neue Stelle unter diesen Gegebenheiten den falschen Standort hat. Dieser Argumentation wollte er nicht folgen und war sehr unwillig. Mit dem Satz „Ich habe recht und die Sache ist für mich damit erledigt.“ beendete er das Telefonat.

Der nichtöffentliche und versperrte Hintereingang kann keinen barrierefreien Eingang ersetzten, argumentierte ich. Dies ließ er nicht gelten, weil es „eh einen üblichen Weg durch den Hof gäbe“. Das ist aber die Unwahrheit, wie man dem Bild leicht entnehmen kann.

Ich war sehr schockiert, dass das Bundeskanzleramt im Jahr 2008 an einem sichtlich nicht barrierefrei zugänglichen Ort mit nicht unwesentlichen Steuermitteln eine Beratungsstelle installiert. Ich habe jedes Verständnis dafür, dass alte Bausubstanz nicht von heute auf morgen barrierefrei umgebaut werden kann.

Aber hier handelt es sich meiner Meinung nach nicht um eine Frage des barrierefreien Bauens, sondern um organisatorische Fehlleistungen, wenn man eine NEUE öffentliche Beratungsstelle an einem nicht barrierefreien Ort installiert.

Barrierefrei sind bauliche Anlagen für behinderte Menschen, wenn sie

# in der allgemein üblichen Weise,
# ohne besondere Erschwernis und
# grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar

sind, hält dazu etwas das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz fest, welches schon im Jahr 2005 beschlossen wurde und mit 1.1.2006 in Kraft getreten ist.

Ich fühle mich durch die Vorgangsweise des Bundeskanzleramtes bei der Auswahl des Standortes diskriminiert und empfinde auch die Handlungsweise des Verantwortlichen als unangemessen.

Zugangssituation Servicestelle help.gv.at
BIZEPS

Anmerkungen/Bewertung

Das Bundeskanzleramt wurde in Vorbereitung der Klage nochmals angefragt. Es kam plötzlich doch noch Bewegung in die Angelegenheit. Darauf wurde an das Bundeskanzleramt am 17. Mai 2010 geschrieben:

“in der Hoffnung, trotz des gescheiterten Schlichtungsverfahrens dennoch außergerichtlich eine gemeinsame Lösung für den Zugang des Servicezentrums HELP.gv.at zu finden, wende ich mich an Sie.

Anlassfall, wie Sie sicher wissen, war mein Besuch des Servicezentrums HELP.gv.at am 3. Dezember 2008, bei dem ich feststellen musste, dass für mich als Nutzer eines elektrischen Rollstuhls der Zugang (Schauflergasse) wegen dort befindlicher Stufen nicht möglich ist.

Ich sandte eine Person hinein um Hilfe zu holen und wurde dann vom Personal des Servicezentrums in Richtung Ballhausplatz, durch einen Eingang beim Ballhausplatz 1, über einen Innenhof mit Kopfsteinplaster, zu einer unbeschrifteten Tür an der Hofecke und dann zu einer versperrten Tür mit der Kennzeichnung „KEIN EINGANG – Zutritt nur für Bedienstete“.

Das Personal hatte jedoch vergessen die notwendige Magnetkarte mitzunehmen und musste den ganzen Weg zurück gehen, während ich draußen in der Kälte warten musste.

Dieser Zugang war mir damit am 3. Dezember 2008 nicht in der allgemein üblichen Weise, nur mit besonderer Erschwernis und ausschließlich mit fremder Hilfe möglich. Der nicht barrierefreie Zugang ist sohin eine mittelbare Diskriminierung im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes.

Laut Ihren Angaben ist die Falttüre Wäscherstiege nun während der Öffnungszeiten des Zentrums offen und es wird keine Magnetkarte mehr benötigt. Zudem sollte die Beschriftung an der Tür geändert werden auf „Zugang zum Service-Zentrum“.

Damit ich aber die Eingangssituation akzeptieren kann, fordere ich auf, folgende weitere zumutbare Maßnahmen durchzuführen:

1. selbsttätig öffnende Tür im Innenbereich des Eingangs Wäscherstiege, so wie sie auch den Personen zur Verfügung steht, die den Hauptzugang des Service-Zentrums nutzen können
2. durchgängige Beschilderung / Kennzeichnung bis zum Eingang Wäscherstiege und dann weiter im Innenbereich des Gebäudes bis zum Service-Zentrum
3. Ersetzen der Bezeichnung „barrierefrei Zugang“ sowohl im Internet als auch auf der Beschilderung vor Ort durch z.B. „stufenloser Zugang“
4. Kennzeichnung und Hinweis auf die Klingel beim Haupteingang in der Schauflergasse
5. schriftliches Entschuldigungsschreiben

Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass meine Forderungen ein Minimum dessen darstellen, was erforderlich wäre, um das Service-Zentrum barrierefrei zugänglich zu machen. Der Bau einer Rampe, die Beseitigung bzw. die Erneuerung des holperigen Kopfsteinpflasters oder auch die Übersiedlung des erst 2008 eröffneten Service-Zentrums wären erforderlich, um annähernd Barrierefreiheit herzustellen. Nicht zuletzt ist auch der wesentliche Umweg, den Personen zurücklegen müssen, denen die Nutzung des Haupteinganges versagt ist, in die Überlegungen mit einzubeziehen.

Sollten meine Forderungen Ihrerseits erfüllt werden, bin ich im Gegenzug bereit, auf alle mir zustehenden Ansprüche gegen das Bundeskanzleramt zu verzichten.

Für Ihr geschätztes Antwortschreiben erlaube ich mir eine Frist von 4 Wochen vorzumerken. Seitens der Umsetzung meiner Forderungen denke ich, dass hier ein zeitlicher Horizont bis Ende Juni 2010 angemessen ist.”

Am 22. April 2010 antwortete das Bundeskanzleramt:
“Das Bundeskanzleramt bedauert die Unannehmlichkeiten, die sie bei Ihrem Besuch im Servicezentrum HELP.gv.at am 3. Dezember 2008 beim stufenlosen Zugang hatten und teilt zu Ihrem Schreiben vom 17. März 2010 mit, dass die Zugangssituation unter Berücksichtigung Ihrer Fünf-Punkteregelung entsprechend nachgerüstet wird.

Bewertung durch Martin Ladstätter

Ich bin sehr enttäuscht von dem Vorgehen des Bundeskanzleramtes. Zuerst eröffnet man nach Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes eine Beratungsstelle, die nicht barrierefrei zugänglich ist. In der Schlichtungsverhandlung sieht man dann das Versäumnis ein und zum Schluss beendet man diese Diskriminierung dann doch nicht und definiert plötzlich selbst, was barrierefrei ist.

Ich werde genau prüfen lassen, ob ich nun nicht klagen werden. Ich erwarte mir vom Bundeskanzleramt – so wie von jedem anderen auch – sich das das Behindertengleichstellungsgesetz zu halten.

Klage

  • Zeitraum: 22.03.2011 bis 05.07.2012
  • Unterstützt von: Mag. Andrea Ludwig
  • Ziel: Schadenersatz 720 Euro

Urteil

Die Klage wurde in 1. Instanz abgelehnt, die Berufung des Urteils vom 03.01.2012 wurde ebenfalls abgelehnt.

Aus dem Urteil vom 05. Juli 2012: “ Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit € 156,68 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Entscheidungsgründe:

„Die Bestimmungen hinsichtlich baulicher Barrieren, die aufgrund einer vor dem 1. Jänner 2006 erteilten Baubewilligung errichtet wurden, bis zum 31.12.2015 nur insoweit anzuwenden, als eine bauliche Barriere rechtswidrig errichtet worden sei, also etwa der Bauordnung widerspreche (was hier nicht einmal behauptet worden sei).“

Des Weiteren: „Erst ab 1.Jänner 2016 werde es bei allen „alten“ Bauwerken, unabhängig von der Höhe des Aufwandes zur Beseitigung der Barrieren, möglich sein, Diskriminierungen aufgrund baulicher Barrieren geltend zu machen“.

Juristische Bewertung

Das Gericht stellt im Urteil allein auf den Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung ab und kommt dadurch zu dem Schluss, dass hier die Übergangsbestimmungen des § 19 BGStG anzuwenden sind.

Dem muss entgegnet werden, dass richtigerweise auf den Zeitpunkt der Einrichtung der Beratungsstelle im Jahr 2008 abzustellen ist und keinen Übergangsbestimmungen zum Tragen kommen. Das Bundeskanzleramt hätte barrierefreie Räumlichkeiten anmieten müssen, was auch rein praktisch für das BKA möglich gewesen wäre.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich