Die Richtlinie des Rates der Europäischen Union 2000/78/EG vom 27. November 2000 soll Abhilfe schaffen.
Ja, es ist leider immer noch eine unfassbare Realität, dass behinderte Menschen in Österreich lediglich wegen ihrer Behinderung vom Zugang zu verschiedensten Berufen ausgeschlossen werden:
- hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen mit einem abgeschlossenen Lehramtsstudium für Germanistik, Geschickte, Romanistik … werden nicht als LehrerIn (etwa in einer AHS) zugelassen;
- hochgradig sehbehinderte und blinde JuristInnen werden nicht als RichteramtsanwärterInnen und damit nicht als RichterInnen oder StaatsanwältInnen zugelassen;
- körper- und lernbehinderte Menschen werden – je nach Bundesland – nicht als MitarbeiterInnen in Kinderbetreuungseinrichtungen oder Kindertagesheimen zugelassen;
- behinderte Menschen werden – je nach Bundesland – nicht für die Ausbildung zur Volks- oder HauptschullehrerIn zugelassen …
Der Grund dafür liegt zumeist in einer Rechtsvorschrift, die für die Ausübung eines solchen Berufes eine „körperliche und/oder geistige Eignung“ verlangt. Wer als körperlich und geistig geeignet anzusehen ist, entscheiden jedoch so gut wie immer nichtbehinderte Menschen mit den unterschiedlichsten Vorstellungen von der Lebensrealität behinderter Menschen. Erst jüngst hat der Fall einer blinden JuristIn aus Kärnten, die Richteramtsanwärterin werden wollte und mangels „körperlicher Eignung“ nicht durfte, für Aufsehen gesorgt.
Nun soll jedoch mit derartigen haarsträubenden Diskriminierungen aufgeräumt werden; die Richtlinie des Rates der Europäischen Union 2000/78/EG vom 27. November 2000 betreffend die Festlegung eines allgemeinen Rahmens zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verfolgt den Zweck, auch Diskriminierungen wegen einer Behinderung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den EU-Mitgliedstaaten zu bekämpfen.
Verboten ist sowohl die unmittelbare wie die mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung; insbesondere gelten eine weniger günstige Behandlung einer behinderten Person gegenüber einer nichtbehinderten Person in einer vergleichbaren Situation (Benachteiligung), ansich neutrale Rechtsvorschriften, die Personen mit einer bestimmten Behinderung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, unerwünschte Verhaltensweisen, die bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden behinderten Person verletzt wird (etwa durch Belästigungen im Sinne von Einschüchterungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen) und die Anweisung zur Diskriminierung einer behinderten Person als solche unmittelbare oder mittelbare Diskriminierungen.
Diese Gleichbehandlungsrichtlinie gilt für nahezu alle öffentlichen und privaten Stellen und den öffentlichen Dienst und bezieht sich auf die Bedingungen, einschließlich die Auswahlkriterien, die Einstellungsbedingungen für den Zugang zu selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit – unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position – und umfasst auch den beruflichen Aufstieg. Daneben ist die Gleichbehandlung auch hinsichtlich des Zuganges zu allen Formen und Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung, die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen – einschließlich Entlassungsbedingungen und Arbeitsentgelt -, die Mitgliedschaft zu und Mitwirkung in einer Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerorganisation – einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen dieser Organisation – umfasst.
Um nun die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind nach Artikel 5 der Richtlinie angemessene Vorkehrungen zu treffen; das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um dem Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist jedoch dann nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird. Solche Maßnahmen wären im Falle Österreichs etwa die Finanzierung von Arbeitsplatzausstattungen, Arbeitsassistenz, Arbeitsfahrtendiensten im Wege des Ausgleichtaxfonds, der Sozialversicherungsträger und der Behindertenhilfe der Länder sowie Lohnkostenzuschüsse des Bundessozialamtes. Eine positive Diskriminierung – also Bevorzugung behinderter Menschen – zum Ausgleich der Nachteile ist zwar nicht zwingend vorgesehen, jedoch durchaus zulässig.
Aber auch diskriminierende Rechtsvorschriften sind der Richtlinie entsprechend zu beseitigen.
Nach der Richtlinie ist aber hinsichtlich der Wahrung dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes großes Gewicht auf ein geeignetes Rechtsschutzsystem zu legen. Dabei haben die Mitgliedstaaten nach Artikel 9 der Richtlinie Vorkehrungen zu treffen, dass Personen, die sich durch die Nichteinhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten verletzt erachten, ihre Ansprüche nach der Richtlinie auf dem Gerichts- und/oderVerwaltungsweg geltend machen können. Ein Schlichtungsverfahren ist zwar nicht zwingend vorgeschrieben, kann aber ebenso vorgesehen werden. Auch eine Verbandsklage – etwa durch Vereine oder Interessensvertretungen – ist zwingend in den Mitgliedstaaten für diese Diskriminierungsverfahren vorzusehen. Nach Artikel 10 der Richtlinie gilt in diesen Diskriminierungsverfahren auch eine Beweislastumkehr, das heißt, dass der Beklagte zu beweisen hat, dass keine Diskriminierung wegen einer Behinderung vorliegt.
Selbstverständlich könnten aus der Einleitung eines solchen Verfahrens gegen einen Arbeitgeber auch berufliche Probleme für den behinderten Beschwerdeführer entstehen. Deshalb müssen die Mitgliedstaaten nach Artikel 11 der Richtlinie auch Vorkehrungen dafür treffen, dass die BeschwerdeführerInnen nicht anlässlich eines Diskriminierungsverfahrens entlassen oder gekündigt werden können.
Die Mitgliedstaaten tragen nach Artikel 12 der Richtlinie aber auch dafür Sorge, dass die gemäß der Richtlinie getroffenen Maßnahmen sowie die bereits geltenden einschlägigen Vorschriften allen Betroffenen in geeigneter Form – z. B. am Arbeitsplatz oder im Hoheitsgebiet – bekanntgemacht werden. Dies bedeutet, dass künftig der Zugang zu diesen Informationen wohl auch für behinderte ArbeitnehmerInnen – etwa in Braille, auf Datenträger, in easy to read … – sicherzustellen ist. Auch Informationskampagnen der öffentlichen Stellen, etwa zuständigen Ministerien, Landesbehörden etc. werden daraus resultieren.
Die Mitgliedstaaten legen nach Artikel 17 der Richtlinie die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen (etwa österreichischen) Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Bei diesen Sanktionen kann es sich etwa um Verhaltensgebote (etwa Unterlassung der Diskriminierung), Strafen aber auch Schadenersatz (allenfalls auch immaterieller Schäden, etwa Kränkungen) handeln.
So weit, so gut, doch enthält die Richtlinie auch einige Hinkebeine:
- die Mitgliedstaaten können zunächst vorsehen, dass diese Richtlinie hinsichtlich der Diskriminierung wegen einer Behinderung oder des Alters nicht für die Streitkräfte gilt;
- die Mitgliedstaaten können nach Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie auch vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das etwa in Zusammenhang mit einer Behinderung steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche oder entscheidende berufliche Anforderung darstellt, soweit es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Gerade diese Klausel könnte hinsichtlich der Berufsverbote aber ein Problem darstellen, da das Argument der öffentlichen Stellen ja stets die wesentliche berufliche Anforderung hinsichtlich der „körperlichen und/oder geistigen Eignung“ war und ist. Ob dieses Argument jedoch vor dem Hintergrund, dass es in anderen EU-Mitgliedstaaten schon seit vielen Jahren widerlegt wird, aufrecht zu halten sein wird, bleibt abzuwarten.
- Und das letzte Hinkebein ist, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Maßnahmen zur Gleichbehandlung behinderter Menschen auch eine Verlängerung der Umsetzungsfrist von längstens drei Jahren ab dem 2. Dezember 2003 beantragen können. Hier kann man nur hoffen, dass Österreich sich und uns eine derart peinliche Aktion im Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung erspart.
Die Erwartungen der Interessensvertretungen der behinderten Menschen an die Effekte dieser Richtlinie sind natürlich hoch. Vielleicht wird es künftig nicht mehr erforderlich sein, dass Proteste wegen einer beruflichen Diskriminierung, wie etwa jüngst durch den Verein Blickkontakt oder die Steirische Behindertenhilfe wegen der Nichtzulassung einer blinden Juristin als Richteramtsanwärterin, überflüssig werden.