Schulische Integration – die Zeiten werden härter

Im Bereich der schulischen Integration konnten in den letzten Jahren einige wesentliche Fortschritte erzielt werden.

Gehrer als Integrationsgegnerin
Feyerer-Fleischanderl, Margit

Doch mit der konservativen Unterrichtsministerin Gehrer (ÖVP) bekommen Integrationsgegner wieder Aufwind.

Beispiel 1: Niederösterreich

Eltern müssen um die Aufnahme eines behinderten Kindes betteln, berichten die Salzburger Nachrichten am 27. Juni 1997 Zwar hat der Nationalrat am 28. November 1996 mit der 17. SchOG-Novelle und ihren Begleitgesetzen die gesetzlichen Grundlagen für den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern auch in der Hauptschule und AHS-Unterstufe beschlossen. Die Rahmenbedingungen muß jedes Bundesland selbst regeln.

Und hier fällt NÖ – ein konservativ regiertes Bundesland, in dem der konservative Personalvertreter Helm mit dem Slogan „Pro Sonderschule“ warb – negativ auf. Bemängelt wird, daß der gemeinsame Unterricht künftig nur dann stattfindet, wenn mindestens fünf Kinder mit sonderpädagoischen Förderbedarf zusammenkommen. Sind es weniger, dürfen sie nur dann in eine Klasse unterrichtet werden, wenn auch Bezirksschulrat und Schulforum damit einverstanden sind.

Das Gesetz sieht also vor, daß Eltern anderer Kinder und andere LehrerInnen, die das behinderte Kind gar nicht kennen, darüber abstimmen, ob das Kind im nächsten Jahr an diese Schule kommen darf. Die Kulturministerin Gehrer hätte eigentlich gegen diese – vom Bundesgesetz abweichende – Bestimmung Einspruch erheben können; sie hat es aber nicht getan und so diesen unwürdigen Zustand geduldet.

So sieht es in der Praxis aus: In einer Tullner Schule wurde diese menschenunwürdige Praxis bereits vor einigen Tagen angewandt und so hat es sich abgespielt: Die Eltern des behinderten Kindes werden bei der Versammlung hinausgeschickt. Es findet eine geheime Wahl über das behinderte Kind statt. Den Eltern wird später mitgeteilt, daß sie das Ergebnis im September erfahren werden. In Niederösterreich bangen viele Eltern behinderter Kinder, um die (schulische) Zukunft ihres Kindes.

Beispiel 2: MR Dr. Heinz Gruber

Angesichts der von der Integrationsbewegung geäußerten Kritik an dem Verständnis von Integration schrieb MR Dr. Heinz Gruber (Unterrichtsministerium) in einem Leserbrief an „Betrifft-Integration“ 2/97:

„… gehört auch das Zugeständnis, daß es Grenzen der Finanzierbarkeit und Machbarkeit gibt und ein Übermaß an positiven Diskriminierungen (z. B. bevorzugter Zugang an AHS gegenüber nichtbehinderten Schülern) jenen Nährboden schafft, der mit großer Wahrscheinlichkeit zur Ablehnung integrativer Anliegen in der Gesamtbevölkerung führen würde.“ Angesichts der Tatsache, daß es zur Aufgabe des Unterrichtsministeriums gehört, diese Maßnahmen der Bevölkerung zu erklären, eine bemerkenswerte Aussage.

Doch dies ist noch nicht alles. Gruber versteigt sich später sogar noch in folgenden Angriff: „So gesehen sollte auch die Möglichkeit des hausgemachten Anteils einer ’neuen Behindertenfeindlichkeit‘, von der immer wieder berichtet wird, kritisch reflektiert werden.“

Konkret wirft MR Gruber den Eltern der Integrationsbewegung vor, durch deren Eintreten für behinderte Kinder einen möglichen Anteil an der neuen Behindertenfeindlichkeit zu haben. So ein krasser Fehltritt eines ihrer Beamten müßte Ministerin Gehrer zu einer Entschuldigung bewegen. Müßte – hat aber bisher nicht.

Beispiel 3: Abschiebung ins Ausland

Unter großem öffentlichen Aufsehen – die Kronenzeitung und die Tiroler Tageszeitung bericheten ausführlich – war der Schulbesuch der 15 jährigen gehörlosen Anja Retter an der Frauenfachschule Reutte im Vorjahr erstritten worden.

Die unter medialen Druck geratene Ministerin Gehrer erlaubte ein einjähriges Pilotprojekt. Damals demonstrierte die Elterninitiative TAFIE und PolitikerInnen – unter ihnen die Abgeordnete Haidlmayr (GRÜNE) und Schaffenrath (LIF) – gegen die Aussonderung.

Ein Jahr später: Anjas Schulleistungen sind nicht ausreichend. Ein Aufstieg in die nächste Klasse sei unverantwortbar. So sieht es zumindest der Pressesprecher des Tiroler Landesschulrates.

Landtagsabgeordneter Bernhard Ernst (GRÜNE) bezeichnet die neuerlichen Vorgänge rund um Anja „als in der Tiroler Schulgeschichte einzigartigen Skandal“. So kritisiert er primär, daß die Schulleistungen Anjas per Presseaussendung an die Öffentlichkeit gelangten und spricht von „Unwahrheiten und Lügen in bezug auf Anjas Entwicklung“.

Ernst verlangt von Ministerin Gehrer eine Stellungnahme, denn er “ möchte die schulischen Leistungen meiner Kinder nicht aus den Medien erfahren“. Es wird derzeit von rechtlicher Seite geprüft, ob ein Datenschutzvergehen oder ein Mediendelikt vorliegt.

Für den Pressesprecher des Tiroler Landesschulrats Dr. Thomas Plankensteiner wäre ein Weiterverbleib an der Schule unverantwortlich: „Es geht um die Zukunft des Kindes.“ Der Landesschulrat will nun sogar einen Schulbesuch einer Sonderschule in München finanzieren.

Abgesehen davon, daß sie kein Kind ist, muß gesagt werden, daß sie in der Klasse bleiben will. Auch ihr Klassenvorstand verwehrt sich strikt gegen eine Ferndiagnose des Landesschulratssprechers. Auch anerkannte Gehörlosenpädagogen sowie Anjas Mutter sprechen sich für den Verbleib an der Fachschule in Reutte aus.

Wird Ministerin Gehrer die Integration verweigern und nun Anja Retter gegen ihren Willen in eine Sonderschule nach Deutschland abschieben? Angesicht der derzeitigen Schulpolitik von Ministerin Gehrer muß dies befürchtet werden.

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