Die Thurgauer Gemeinde Amriswil wollte verhindern, dass eine junge Frau mit Lernschwierigkeiten eingebürgert wird. Das Bundesgericht revidierte die Gemeindeentscheidung.

„Geistig behinderten Personen darf die Einbürgerung nicht mit der Begründung verwehrt werden, dass sie gar nicht verstehen würden, worum es geht“, berichtet „20minuten“ über einen Entscheid des Bundesgericht und ergänzt: „Werde eine Einbürgerung mit dieser Begründung verweigert, schliesse dies all diejenigen Behinderten von der Erteilung des Bürgerrechts aus, denen es diesbezüglich an Urteilsfähigkeit fehle.“
Vergleichbare Situationen
Es geht um eine 20jährigen Frau, die seit ihrem fünften Lebensjahr in der Schweiz lebt und gut integriert ist. „Zu prüfen sei vielmehr, ob eine urteilsfähige Person in einer ähnlichen Lebenssituation mit vergleichbarem Lebenshintergrund auch ein Einbürgerungsgesuch gestellt hätte“, ist dem Bericht weiters zu entnehmen. Das dem so ist, zeigt sich daran, dass ihre Geschwister bereits eingebürgert sind.
Caroline Hess-Klein, Leiterin der Fachstelle Egalité Handicap, sagt: „Das ist ein extremer Fall, aber ein Stück Schweizer Alltag.“ Sie freut sich, dass der Richterspruch so klar ausgefallen ist. „Das Bundesgericht erinnert an die Verpflichtung, niemanden aufgrund einer Behinderung zu diskriminieren – weder direkt noch indirekt“, ist der Presseaussendung der Fachstelle zu entnehmen.
„Die Sache geht nun zu einem neuen Entscheid zurück an die Gemeindeversammlung von Amriswil. Sie wird der jungen Frau das Bürgerrecht einräumen müssen, sofern sich die Sachlage laut Bundesgericht in der Zwischenzeit nicht entscheidend verändert hat“, heißt es bei „20minuten“ abschließend.
Österreich: Verfassungsgerichtshof entschied vor kurzem ähnlich
Erst kürzlich hob der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung im Staatsbürgerschaftsgesetz auf, die eine Staatsbürgerschaft nur bei hinreichend gesichertem Lebensunterhalt ermöglichte. Dies sei – so hielt das Gericht fest – verfassungswidrig, weil es eine unsachliche Benachteiligung behinderter Menschen bedeute, die nur erschwerten oder gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben.
Seit 1. März 2013 darf diese Bestimmung nicht mehr angewendet werden.