Schweiz: Streitfall Glacier-Express

War die erste Verbandsbeschwerde nach dem Schweizer Behindertengleichstellungsgesetz nötig? Wahrscheinlich. War sie erfolgreich? Auf jeden Fall!

Glacier-Express-Zug
glacierexpress.ch

„Behinderte buchen ersten Erfolg“, titelte der Schweizer Tages-Anzeiger am 28. Oktober 2004 einen Bericht über das Ergebnis der ersten Verbandsbeschwerde gemäß dem Behindertengleichstellungsgesetz. Grund der Beschwerde: Der Glacier-Express.

„Mit den berühmten Schweizer Gebirgsbahnen von St. Moritz nach Zermatt oder umgekehrt, vom Piz Bernina zum Matterhorn. Eine 7 1/2- Stundenbahnfahrt über 291 Brücken, durch 91 Tunnels, über den 2033 m hohen Oberalppass. Eine Panoramafahrt durch die Hochalpen im Herzen der Schweiz“, so lautet die Selbstdarstellung auf den Internetseiten des Glacier-Express.

24 neue Panoramawagen um 60 Millionen
Der Glacier-Express ist wahrlich eine Attraktion, doch die Betreiber, die Rhätische Bahn und die Matterhorn-Gotthard-Bahn, erkannten, „dass das Wagenmaterial nicht mehr den Kundenerwartungen entspricht“ und werden daher um 60 Millionen Schweizer Franken 24 neue Panoramawagen für den Glacier-Express bauen lassen.

Dies löste bei der Selbsthilfeorganisation Procap Unmut aus, weil laut Planung zuwenig Rollstuhlplätze und eine zu kleine Rollstuhltoilette zu erwarten war. Überdies – so berichtete der Tages-Anzeiger – hatte das Bundesamt für Verkehr das Pflichtenheft und die Typenskizze für den Waggonbau bereits genehmigt.

„An den Tisch zu bringen“
Um die uneinsichtigen Bahnvertreter „an den Tisch zu bringen“, reichte die Procap eine Verbandsbeschwerde gemäß dem Schweizer Behindertengleichstellungsgesetz ein.

„Die Rhätische Bahn hat das Behindertengleichstellungsgesetz entweder nicht wirklich zur Kenntnis genommen oder sie nimmt es nicht ernst“, sagt Beat Schweingruber, Leiter der „Fachstelle Behinderte und öffentlicher Verkehr (BöV)“ gegenüber BIZEPS-INFO.

„Aus Erfahrung wissen wir, dass bei der Konstruktion von Eisenbahnwagen sehr früh ein Stadium erreicht ist, wo viele Details nicht mehr verändert werden können, ohne dass große Verzögerungen und Verteuerungen auftreten. Dann heißt es jeweils lapidar: dafür ist es jetzt zu spät, eine Korrektur wäre unverhältnismäßig“ so Schweingruber der weiters erzählt: „Noch im Verfahren versuchte sich die Rhätische Bahn mit dem Argument herauszuwinden, das Behindertengleichstellungsgesetz sei gar nicht anwendbar, weil die Fahrzeuge vor dessen Inkrafttreten bestellt worden seien.“

Vertreter der Rhätische Bahn zeigten sich überdies verwundert, dass die Behindertenorganisationen nach der Bewilligung des Bundesamts auf Konfrontation gingen. Hans Furgler von der Rhätischen Bahn verstieg sich sogar in die Behauptung: „Wir waren ja noch mitten im Planen, und bevor wir etwas auf dem Papier ausgearbeitet hatten, konnten wir die Behindertenorganisationen gar nicht beiziehen.“ Dies dürfte wohl nicht ganz der Fall gewesen sein, da sonst das Bundesamt für Verkehr weder ein Pflichtenheft noch die Typenskizze für den Waggonbau genehmigen hätte können.

Eine außergerichtliche Einigungsverhandlung mit den beiden Bahnen und dem Hersteller StadlerRail fand am Procap-Sitz in Olten statt. Nach harzigem Beginn wurde schließlich ein Durchbruch erzielt.

Verfahren: Nur vier Monate
Im Verlauf des nur vier Monate dauernden Verfahrens wurden Lösungen gefunden die sich bei den engen Platzverhältnissen der Schmalspurbahn realisieren lassen: eine besser zugängliche Rollstuhltoilette, mehr Manövrierraum auf der Plattform davor, verschiebbare bzw. rasch demontierbare Sitze in der 1. und 2. Klasse, ein paar Zentimeter breitere innere Türen in den Wagen 2. Klasse. „So mündete die anfängliche Konfrontation letztlich in eine sehr konstruktive Zusammenarbeit, worüber alle Beteiligten sich sehr erleichtert zeigten“, fasst Schweingruber im Tages-Anzeiger zusammen.

„Wir konnten uns letztlich überall gütlich einigen, ohne, dass der Glacier-Express einen einzigen Sitzplatz mehr verloren und ohne, dass unverhältnismäßige Mehrkosten angefallen wären – die Hauptsorgen der Bahnleute. Beide Seiten zeigten sich erfreut, dass nun ein besseres Produkt entsteht“, erläutert Schweingruber abschließend.

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