Schwerpunkt: Arbeit

Allen Fortschritt verdanken wir den Unzufriedenen. Zufriedene lieben keine Veränderung.

Am Arbeitsplatz
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Wenn wir diesen Spruch von Salvadore Quasimodo auf die Novelle zum Behinderteneinstellungsgesetz anwenden, wird eines klar: Die Regierung und im besonderen das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist zufrieden – trotz sehr stark steigender Arbeitslosenzahlen bei behinderten Menschen.

Am 19. August 1997 verabschiedete die Bundesregierung ein Sonderprogramm zur Jugendbeschäftigung. Würden für Bundeskanzler Klima und Vizekanzler Schüssel behinderte Menschen denselben Stellenwert besitzen wie Jugendliche, hätte die Regierung schon längst einen Krisengipfel abhalten müssen, der die hohe Arbeitslosenrate unter behinderten Menschen zum Thema hat.

Stattdessen soll das Behinderteneinstellungsgesetz wieder einmal novelliert werden: 1996 waren im Jahresdurchschnitt 34.056 behinderte Menschen als arbeitslos vorgemerkt. Das sind um exakt 3.988 Betroffene mehr als ein Jahr zuvor.

1995 war die Arbeitslosenrate bei den sogenannten begünstigten Behinderten genau doppelt so hoch wie die allgemeine. Gleichzeitig waren ca. 28.000 der sogenannten „Pflichtstellen“, auf denen behinderte Arbeitnehmer eingestellt werden müßten, nicht besetzt.

Vor diesem dramatischen Hintergrund stellen die vom Sozialministerium vorgeschlagenen Maßnahmen einen kläglichen und vor allem äußerst unzureichenden Versuch dar, an der prekären Situation etwas Entscheidendes zu verändern:

  • Entfall der Ausnahmeregelung für Gebietskörperschaften und bestimmte Wirtschaftszweige bei der Anzahl der Beschäftigten (von 40 auf 25 Personen) – schon längst überfällig weil gleichheitswidrig.
  • flächendeckender Einsatz der Arbeitsassistenz sowie weiters Präventivmaßnahmen bei gesundheitsschädigenden Tätigkeiten, zeitgemäße Kriterien bei der Einschätzung des Grades der Behinderung und eine geringfügige Verbesserung der sehr schwachen Position der sogenannten Behindertenvertrauenspersonen. Gestrichen werden soll die bisherige Prämie für die Übererfüllung der Beschäftigungspflicht – eine mehr als umstrittene Maßnahme.

Und das war’s auch schon. Wenn das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BMAGS) in seinen Schriften behauptet, es räume der beruflichen Integration behinderter Menschen einen „besonderen Stellenwert“ ein, dann mag dies zutreffen.

Einen HOHEN Stellenwert kann die berufliche Integration im Ministerium aber kaum haben, denn sonst würde es endlich jene notwendigen Maßnahmen vorschlagen, die eine entscheidende Wende in der Arbeitsmarktpolitik für behinderte ArbeitnehmerInnen herbeiführen könnten:

  • Anhebung der Ausgleichstaxe auf den branchenüblichen Durchschnittslohn: Die „Strafe“ muß dem Unternehmer richtig weh tun; jetzt ist sie ein besseres Trinkgeld.
  • Senkung der Pflichtzahl nach deutschem Vorbild (6 Behinderte pro 100 MitarbeiterInnen; derzeit in Österreich nicht einmal 4 pro 100).
  • Keine Freikaufsmöglichkeit für Gebietskörperschaften: Die öffentliche Hand muß mit gutem Beispiel vorangehen, dann gerät die Privatwirtschaft unter Zugzwang. Bis dies erreicht sein wird, muß die Ausgleichstaxe vom jeweils verursachenden Ministerium und nicht – so wie bisher – vom Bundeskanzleramt bezahlt werden. In einer Anfragebeantwortung vom 18. Jänner 1995 stellte der damalige Sozialminister Hesoun fest, daß er eine ressortbezogene Begleichung der Ausgleichstaxe (Bezahlung durch das jeweilige Ministerium) stets gefordert habe. Dieser Vorschlag sei u. a. auch vom Bundeskanzleramt positiv aufgenommen worden und „es bedarf daher nunmehr entsprechender rechtlicher und organisatorischer Vorkehrungen.“ Das sagte der Minister zu Jahresbeginn 1995. Seither sind zwei weitere Minister ins Land gezogen, aber der Vorschlag wurde noch immer nicht realisiert.
  • Bevorzugung behinderter Menschen bei der Einstellung gegenüber anderen Bewerbern bei ansonsten gleicher Qualifikation. Dieser und der nachfolgende Punkt haben so lange Gültigkeit, bis die Arbeitslosenrate unter behinderten Menschen gleich hoch ist wie die bei Nichtbehinderten.
  • Bevorzugung von Unternehmen, die ihre Beschäftigungspflicht übererfüllen, bei öffentlichen Förderungen als auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.
  • Verpflichtung zur barrierrefreien Ausgestaltung aller Unternehmen ab einer bestimmten Anzahl von Beschäftigten (etwa analog zur Regelung für die Einstellungspflicht), wobei die Verpflichtung unabhängig von der Tatsache, ob ein behinderter Arbeitnehmer eingestellt ist, oder ein Arbeitsverhältnis angestrebt wird, in Kraft tritt und die notwendigen Maßnahmen u. a. aus Mitteln des Ausgleichstaxfonds sowie aus Eigenmitteln des Unternehmens finanziert werden sollen.
  • Berücksichtigung der Tatsache, daß die Einstellungspflicht nach diesem Gesetz nur rund 15 % aller Betriebe betrifft, da unsere Wirtschaft überwiegend aus Klein- und Mittelbetrieben besteht.
  • Verstärkte Information der Betriebe über Förderungsmöglichkeiten wie Adaptierung des Arbeitsplatzes oder Lohnkostenzuschüsse sowie über Leistungsfähigkeit und Bedürfnisse behinderter Menschen
  • Verbesserte Ausbildung behinderter Menschen: die bestehenden Angebote müssen für Behinderte durchlässig gemacht werden, es müssen zukunftsträchtige Berufe forciert werden, eine ausreichend lange Berufsorientierung muß möglich sein, die bestehenden baulichen und sonstigen Barrieren in den Ausbildungsstätten müssen schleunigst beseitigt werden.
  • Der bestehende Kündigungsschutz, der sich in der Praxis mehrheitlich als ein Einstellungshindernis erweist, muß diskutiert und reformiert werden. Eine Abschaffung für neue Arbeitsverträge sollte ins Auge gefaßt werden, wobei in bestehende Dienstverhältnisse nicht eingegriffen werden dürfte. Im Zusammenhang damit sollte es längere Probezeiten bzw. die Möglichkeit von Praktika geben.
  • Das gegenwärtige System ist zu wenig flexibel, es herrscht zum Teil ein weltfremdes Schwarzweißdenken vor, welches den Betroffenen auf den Kopf fällt: Ein Beispiel dafür ist die Situation von behinderten Menschen, welche eine Leistung aus der Sozialhilfe und Familienbeihilfe beziehen. Diesem Personenkreis sollte es ermöglicht werden, einen Teil der Sozialhilfeleistungen oder zumindest den Anspruch darauf zu behalten, wenn sie eine Teilzeitbeschäftigung aufnehmen oder zeitweise arbeiten. Diesem Personenkreis ist aufgrund seiner starken Behinderung eine regelmäßige Ganztagsbeschäftigung nicht möglich.

Viele dieser Maßnahmen könnten im Rahmen des Behinderteneinstellungsgesetzes realisiert werden, manche bedürften einer ressortübergreifenden Vorgangsweise (etwa mit dem Schulbereich, dem Wirtschaftsminister, den Ländern oder den Sozialpartnern), aber alle könnten verwirklicht werden, wenn der Wille dazu vorhanden ist. Und für das BMAGS böte sich die Chance, das BEinstG zu einem Vorläufer eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes zu machen.

Was dieses Land braucht, sind mutige und zukunftsweisende Reformen und keine kleinkarierte Systemkosmetik. Die extrem hohe und rasant ansteigende Arbeitslosigkeit behinderter Menschen ist ein sozialpolitischer Skandal. Der Bund und die Länder sind aufgerufen, endlich ein umfassendes System von Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Regierungsparteien sind aufgerufen, ihrer politischen und moralischen Verantwortung nachzukommen und zu handeln. Und zwar rasch und noch ehe sich der Eindruck verfestigt, die Lage der behinderten Menschen sei ihnen gleichgültig.

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