Schwierige Wege zur Unterstützung: Armutsbekämpfung verkommt zum Hürdenlauf – Beispiel Salzburg

Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG) zog endgültig einen Schlussstrich unter das System der bedarfsorientierten Mindestsicherung.

Wurzeln
Norbert Krammer

Seither gilt statt einer wirksamen Armutsbekämpfung das Gebot der Höchstsätze: Welcher Betrag wird maximal in sozialen Notlagen zur Verfügung gestellt. Gegenüber der Mindestsicherung haben in der Sozialhilfe fast alle Leistungsbezieher_innen mit Einkommenseinbußen zu rechnen.

Menschen mit Beeinträchtigungen trifft die neue Gesetzeslage, die mittlerweile in fast allen Bundesländern in Form von Landesgesetzen umgesetzt wurde, besonders hart. Zwar ist nun eindeutig geregelt, dass die erhöhte Familienbeihilfe nicht als Einkommen gerechnet wird – doch das ist eine der wenigen positiven Errungenschaften. Stattdessen gibt es eine Reihe neuer Hürden, deren Überwindung den Leistungsbezieher_innen einiges an Anstrengung und Beharrlichkeit abverlangt.

Beispiel zusätzliche Anrechnung von Einkünften

Das Salzburger Sozialunterstützungsgesetz sieht – ebenso wie das SH-GG – vor, dass – bis auf wenige Ausnahmen – jeder Cent, der auf das Konto eingeht, als Einkommen die Sozialunterstützung reduziert. Es können z.B. sein: Arbeitsentlohnung, Pensionsleistungen, Unterhaltszahlungen, Verkaufserlöse oder jeder Cent an Zinsen. Diese sehr weit gefasste Definition von Einkünften führt dazu, dass der Betrag des „Zuflusses“ im Bezugsmonat abgezogen wird.

Neu ist auch, dass Pensions-Sonderzahlungen (Urlaubs- oder Weihnachtsremuneration) durch das SH-GG als Einkommen angerechnet werden und zu Unterbrechungen des Anspruchs auf Sozialunterstützung führen. Daher muss zwei- bis viermal jährlich ein neuer Antrag auf Sozialunterstützung gestellt werden. Wird die Frist versäumt, gibt es nichts.

Bettina Riegler (Name geändert) ist aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigung als nicht erwerbsfähig mit über 50-prozentiger Behinderung eingestuft. Sie bezieht eine Halbwaisenpension, die aber nicht zur Abdeckung von Lebensbedarf und Wohnkosten reicht. Noch im Vorjahr erhielt Frau Riegler durchgehend eine monatliche Aufzahlung aus der Mindestsicherung. Die neue Sozialunterstützung wurde nur bis April gewährt, da im Mai die Pensionssonderzahlung einlangt, die zur Gänze als Einkommen angerechnet wird ­– ein Monat keine Unterstützung. Frau Riegler stellte jedoch gleich wieder einen Antrag, um im Juni als Aufstockerin wieder eine Zuzahlung zu erhalten. Im Herbst wird sich dieser mühsame Ablauf wiederholen.

Die Gefahr, dass Leistungen nicht rechtzeitig beantragt werden oder bei der komplexen Antragstellung Fehler unterlaufen, ist groß –  vom zusätzlichen Verwaltungsaufwand gar nicht zu reden!

Beispiel Pflegegeld

Wenn Menschen mit Pflegegeldbezug mit der pflegenden Person im gemeinsamen Haushalt leben, wird der gesamte „Zuschuss zu pflegebedürftigem Mehraufwand“ (Zweckbestimmung des Pflegegeldes) als Einkommen angerechnet, wenn sie das Pflegegeld an die pflegende Person weitergeben. Damit wird die Sozialunterstützung gekürzt. Das Land Salzburg kürzt seit Jahren die Leistung. Die Chance einer Änderung, die das SH-GG ermöglicht hätte, wurde nicht ergriffen. Gemeinsam mit Oberösterreich bleibt Salzburg ein Problem-Bundesland für pflegende Angehörige.

Claudia Hofer und ihr Sohn Sebastian (Namen geändert) leben in der Stadt Salzburg. Sebastian bezieht Pflegegeld der Stufe 3 sowie eine geringe monatliche Prämie aus der Arbeit in der Tageswerkstätte einer Behinderteneinrichtung in Höhe von € 110. Frau Hofer arbeitet halbtags in einem Büro und verdient rund € 750 monatlich. Die laufenden Ausgaben für die Wohnung liegen beim höchstzulässigen Wohnaufwand von € 715 für zwei Personen. Da nun die Wohnbeihilfe als Einkommen abgezogen wird, erhalten Mutter und Sohn gemeinsam rund € 350 Sozialunterstützung inklusive des Zuschlags für Menschen mit Behinderungen. Wird nun das Pflegegeld in Höhe von € 466,80 angerechnet, kommt es zu einer sehr komplexen Neuberechnung, die für die Mutter keine Leistung, für den Sohn theoretisch eine kleine Unterstützung vorsieht. Somit bestreiten Mutter und Sohn den Unterhalt defacto von einem Halbtagseinkommen, einer Prämie, dem Pflegegeld und der Wohnbeihilfe.

Beispiel „Behindertenbonus“

Menschen mit Beeinträchtigungen, die eine dauerhafte Einschränkung von über 50 Prozent nachweisen, haben gemäß SH-GG Anspruch auf einen Zuschlag von 18 Prozent des Richtsatzes. Die Voraussetzungen werden in Salzburg jedoch sehr eng ausgelegt. Zwingend erforderlich ist die Vorlage eines Behindertenpasses. Doch nicht alle Personen, die diese Voraussetzungen erfüllen, verfügen auch über diesen Pass. Psychisch erkrankten Menschen bleibt der Zuschlag ohnehin oft verwehrt, weil sie den geforderten Grad der Behinderung von 50 Prozent nicht nachweisen können.

Oskar Ecker (Name geändert), 54 Jahre alt, kann aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht durch Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt verdienen. Das Sozialministeriumsservice bestätigte eine mehr als 50-prozentige Behinderung und damit „Erwerbsunfähigkeit“. Herr Ecker bezieht eine Invaliditätspension mit Ausgleichszulage, benötigt aber für die Lebenshaltungskosten und Wohnkosten seit Jahren eine Aufzahlung durch die Mindestsicherung. Auch 2021 stellte Herr Ecker, vertreten durch die gerichtliche Erwachsenenvertreterin, wieder einen Antrag, nun auf Sozialunterstützung. Den monatlichen Zuschuss für Menschen mit Behinderungen („Behindertenbonus“), in Höhe von € 171 erhält Herr Ecker jedoch nicht, obwohl er alle Voraussetzungen erfüllt und dies auch schriftlich bestätigen kann. Er fühlt sich durch einen Behindertenpass diskriminiert und will ihn daher nicht beantragen. Die Behörde beharrt darauf: Ohne Behindertenpass kein Anspruch. Die Erwachsenenvertreterin hat dagegen ein Rechtsmittel eingebracht.

Weniger Anträge bedeutet: Hilfe kommt nicht an

In Salzburg lässt sich beobachten, dass die Zahl der Leistungsbezieher_innen der Sozialunterstützung gesunken ist. Mitnichten bedeutet das, dass weniger Menschen von Armut bedroht sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass aufgrund der neuen Hürden und der starken Reduktion der Leistungen, weniger Menschen Hilfe bekommen, die sie dringend benötigen würden.

Aus diesem Grund ist es unabdingbar, das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz auf Bundesebene und in Folge die Landesgesetze neu zu schreiben, um die Ziele der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung mit geeigneten Maßnahmen zu verfolgen.

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6 Kommentare

  • Wäre es nicht möglich endlich auch eine breitere sozialpolitische Plattform von Unten her aufzubauen, ohne dass die üblichen Verdächtigen wieder alles ausbremsen? Wenn einmal diese, dann eine andere Organisation zwar etwas fordert, aber kein langfristiger politischer Kampf dahinter steckt, bringen die vielen Worte auf (Presse)Konferenzen wenig. Wir bräucten eine echte Sozialbewegung. Eine solche gab es kurz 1987, das wurde dann wieder irgnedwie abgewürgt …

    Der Verein „Aktive Arbeitslose Österreich“ steht bereit, Bedingung aber ist, dass mensch auch ein bissl radikalere Forderungen stellen darf und sich nicht den großen Stakeholdern unterordnen muss.

    Im paternalistischen Österreich ist zu viel politische Eigenständigkeit ja nicht gefragt …

  • Ich bekomme den Behindertenbonus auch nicht, obwohl ich eine festgestellte 50%-ige Beeinträchtigung habe. Der Grund: Ich beziehe schon eine Leistung (betreutes Wohnen) vom Staat und habe es daher anscheinend nicht nötig (dabei haben viele mit Beeinträchtigung erhöhte Lebenshaltungskosten aufgrund von Therapien, Behelfen, etc.)! Ich finde es pervers, wie immer wieder nach neue Wegen gesucht wird, Menschen, denen es eh schon schlecht geht und nicht viel haben, zu schikanieren und diskriminieren.

    • Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz enthält viele Lücken und Tücken. So auch die Festlegung, dass „gleichwertige“ Leistungen beim Behindertenbonus angerechnet werden müssen. Das Land Oberösterreich legt dies sehr weit aus, aus anderen Bundesländern habe ich das noch nicht so gehört.
      Es ist also einerseits die Verantwortung des Bundes für die Fehler, Ungenauigkeiten und fehlenden Unterstützungsleistungen im Grundsatzgesetz. Und es ist die Verantwortung des Landes für das Ausführungsgesetz. Hier wäre ein Spielraum vorhanden, der aber nicht immer und nicht überall genutzt wird.

  • Weiß unser „neuer“ Sozialminister von diesen Bestimmungen und Auswirkungen? Ich denke nicht. Es ist unbeschreiblich, wie Österreich mit seinen Bürger*innen umgeht, die auf Sozialhilfe-Unterstützung angewiesen sind!

    • Liebe Klaudia, im Sozialministerium sind die Probleme bekannt. Ob dies auf Minister Mückstein persönlich auch zutrifft, kann ich nicht sagen. Es würde aber auch nicht schaden, im eine Mail zu schicken. Sozusagen ergänzend zu den Stellungnahmen und Forderungen der Institutionen.