Blickkontakt wollte es im Februar 2003 genau wissen und fragte Bund und Länder, inwieweit das Recht auf Vorlesen oder elektronische Zurverfügungstellung von Akteninhalten auch gewährt wird. Hier die Reaktionen.
Wie wir ja bereits im Februar berichtet haben, haben hochgradig sehbehinderte oder blinde Verfahrensbeteiligte seit der Erlassung des § 17a des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) mit Wirkung ab August 1999 das Recht, den Inhalt von Akten – z. B. auch eines Gutachtens, Bescheides, Aktenvermerks, einer Niederschrift etc. – auf Verlangen vorgelesen zu bekommen bzw. auch elektronisch – z. B. per Email oder auf Diskette – zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die Kosten trägt dabei die jeweilige Gebietskörperschaft – Bund, Land oder Gemeinde.
Diese verfahrensrechtliche Bestimmung gilt in allen Verwaltungsverfahren, in denen das AVG wenigstens subsidiär anzuwenden ist (z. B. Bundespflegegeldgesetz– auch Landespflegegeldgesetze –, Bundesbehindertengesetz – auch Landesbehindertengesetze –, Behinderteneinstellungsgesetz, Kriegsopferversorgungs-, Opferfürsorge-, Impfschadengesetz, Sozialhilfegesetze …); aber auch für die Verfahren bei den Sozialversicherungsträgern – z. B. Pensions- und Rentenverfahren – ist aufgrund der Verweisungsnorm des § 357 Abs. 1 des allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) der § 17a AVG anzuwenden und ebenso im Verwaltungsstrafverfahren (§ 24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG).
Für die Finanzverfahren, das Finanzstrafverfahren und das Abgabenexekutionsverfahren regeln § 90 Abs. 1 Bundesabgabenordnung, § 79 Abs. 1 Finanzstrafgesetz und § 25 Abs. 2 Abgabenexekutionsordnung vergleichbare Rechte auf Vorlesen und elektronische Zurverfügungstellung von Akteninhalten wie § 17a AVG.
Aus der alltäglichen Erfahrung konnten die ExpertInnen des Vereines Blickkontakt jedoch feststellen, dass kaum ein blinder oder hochgradig sehbehinderter Mensch über dieses Recht bescheid weiß und auch von den Behörden darüber so gut wie nie belehrt wird; es wird daher auch so gut wie nicht in Anspruch genommen. Deshalb trat Blickkontakt im Februar 2003 schriftlich an den Bund und die Länder heran, um die Behörden zu ersuchen, sehbehinderte und blinde Verfahrensbeteiligte von Amts wegen darüber zu belehren und dieses Service anzubieten.
Hier die bislang erfolgten Reaktionen:
Das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz teilte mit, dass man den Wünschen des Vereines Blickkontakt gerne entspreche. Die nachgeordneten Dienststellen des BMSG seien nochmals auf dieses Recht hingewiesen worden und insbesondere die Pflegegeldentscheidungsträger, die zur Vollziehung des Bundespflegegeldgesetzes zuständig sind, wurden mit Erlass des BMSG vom 22. Juli 2003, GZ 43.010/57-4/03, wie folgt instruiert:
„Personen, bei denen bereits bei der Begutachtung eine offenkundige schwere Sehbeeinträchtigung oder Blindheit festgestellt werden kann, sind danach zu befragen, ob sie schriftliche Erledigungen (Bescheid/Mitteilung, Informationsblätter etc.) elektronisch zur Verfügung gestellt bekommen wollen, und ob sie diese per E-Mail oder via Diskette erhalten möchten.
Zutreffendenfalls wäre dies – auch unter Angabe der E-Mail-Adresse – im Akt zu vermerken. Der/die jeweilige Referent/in hätte die elektronische Zurverfügungstellung dann zu veranlassen (Übermittlung per E-Mail oder per Post auf Diskette).
Der Vollständigkeit halber sei auch darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen elektronisch zur Verfügung gestellten Dokumenten lediglich um Kopien handelt; insbesondere für den Beginn des Laufes von Fristen, wie etwa der Klagsfrist, bleibt daher nach ho Ansicht die Zustellung des Schriftstückes (z.B. Bescheid) im Wege der Post ausschlaggebend.“
Das Vorlesen wird hingegen laut dem Erlass des BMSG nur auf ausdrückliches Verlangen der Beteiligten angeboten, da im Pflegegeldverfahren ja grundsätzlich kein Parteiengehör existiert.
Reaktionen gab es auch seitens der Bundesländer Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg und Wien. Einigermaßen erstaunlich war die Stellungnahme des Amtes der Burgenländischen Landesregierung, wenngleich sie weitestgehend die Erfahrungen der behinderten ExpertInnen des Vereines Blickkontakt bestätigte:
„Das Amt der Burgenländischen Landesregierung hat Ihr Schreiben zum Anlass genommen, mit anderen Bundesländern in dieser Frage in Kontakt zu treten. Dabei hat sich gezeigt, dass von den Sozialbehörden dieser Bundesländer keine besonderen Vorkehrungen oder Maßnahmen im Sinne der Forderungen des Vereines „Blickkontakt“ getroffen wurden und aus derzeitiger Sicht dafür auch keine Notwendigkeit gesehen werde. Auch im Verwaltungsbereich des Burgenlandes hat es diesbezüglich in der Vergangenheit offensichtlich keinen Bedarf gegeben, zumal ein Verlangen, den Inhalt von Akten oder Aktenteilen durch Verlesung oder nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten in sonst geeigneter Weise zur Kenntnis zu bringen, seitens blinder oder hochgradig sehbehinderter Beteiligter bisher nicht gestellt worden ist. Es ist eher anzunehmen, dass die Beteiligten im Bedarfsfalle auf andere, einfacher zu handhabende Alternativen (etwa Vorlesen durch Angehörige, Bekannte u.a.) zurückgreifen.“
Nun mit Letzterem hat das Amt der Burgenländischen Landesregierung zweifelsfrei recht, doch sehbehinderte und blinde Menschen müssen sich mit viel Aufwand zumeist selbst helfen, weil die Betroffenen von diesem Recht des Vorlesens oder elektronisch Zurverfügungstellens nichts wissen und auch nicht von der Behörde belehrt werden.
Etwas anders siehtdas das Amt der Wiener Landesregierung, wenn es da unter anderem heißt:
„Die von Ihnen angesprochenen Maßnahmen – Übermittlung von Schriftstücken mittels Email bzw. Diskette – sind bereits geltender Standard im Verkehr mit blinden und hochgradig sehbehinderten Kund/innen. Dieses Service wird von der Gemeinde Wien darüber hinaus kostenlos (z. B. werden Disketten seitens der Dienststellen zur Verfügung gestellt) angeboten.
Nach Rücksprache mit den Dienststellen hat sich aber auch ergeben, dass dieses Angebot von den Betroffenen kaum in Anspruch genommen wird, da sich die Kund/innen anlässlich der Kontaktaufnahme mit der Behörde (z. B. bei schriftlicher Antragstellung) nicht als blind bzw. sehbehindert deklarieren.“
Seitens der Gemeinde Wien wird laut dieser Stellungnahme derzeit die Schaltung einer entsprechenden Information im Internet vorbereitet.
Das Amt der Vorarlberger Landesregierung hingegen griff die Verbesserungsvorschläge des Vereines Blickkontakt weitestgehend auf und meinte:
„Ihr Anliegen aufgreifend, haben wir sämtliche Rechtsabteilungen des Amtes der Landesregierung sowie die Bezirkshauptmannschaften ausdrücklich auf die Bestimmung des § 17a AVG hingewiesen. Weiters haben wir zur Umsetzung der genannten Bestimmung vorgeschlagen wie folgt:
- Die Behörde informiert hochgradig sehbehinderte und blinde Beteiligte im Zuge des Verfahrens im Rahmen der Manuduktionspflicht darüber, dass es die Möglichkeit des Vorlesens bzw. der elektronischen Zurverfügungstellung von Schriftstücken (z.B. durch Übermittlung per E-Mail oder mittels Diskette) gibt.
- Die Behörde befragt die Beteiligten, ob und in welcher Form sie den Inhalt der genannten Schriftstücke zur Kenntnis gebracht bekommen wollen.
- Auf Verlangen der Beteiligten sind die genannten Schriftstücke auch elektronisch (per E-Mail oder mit Diskette) zu übermitteln.“
So weit die wesentlichsten Stellungnahmen.
Tipp:
Wenn Sie von Ihrem Recht auf Vorlesen oder elektronische Zurverfügungstellung von Akteninhalten oder behördlichen Schriftstücken wirklich etwas haben wollen, werden Sie wohl dennoch gut beraten sein, das ausdrücklich bei der Behörde – am besten schriftlich – zu verlangen.
Übrigens, noch eine kurze Anmerkung:
Auch für das gerichtliche Verfahren sieht § 79a des Gerichtsorganisationsgesetzes ein solches Recht auf Vorlesen oder elektronische Zurverfügungstellung von Akteninhalten vor.