Sehr geehrter ORF!

Ich richte einen offenen Brief an Sie, weil die Angelegenheit, die ich mit Ihnen zu verhandeln habe, von öffentlichem Interesse ist. Ich spreche von Ihrem Verhalten gegenüber behinderten Menschen.

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BIZEPS

Seit Jahren benehmen Sie sich uns gegenüber in einer Art und Weise, die nur als schwere und fortgesetzte Verhöhnung bezeichnet werden kann, sie spielen Schicksal. Sofern behinderte Menschen in Ihren Sendungen überhaupt vorkommen, erscheinen sie als jammervolle Kreaturen, beladen mit Leid und Unmündigkeit.
Sie brüsten sich mit Spendenrekorden für Licht ins Dunkel, aber Sie ignorieren, daß der Schaden, den diese Sendung der Selbstachtung behinderter Menschen zufügt, schwer wiegt. Behinderte führen Sie als bastelnde Halbmenschen vor, die gerührt sind, wenn Prominente ihnen Zwanzigschillingscheine in die gelähmten Händchen drücken.

Bei der abschließenden Galaversteigerung halten Sie die Anwesenheit der Mitleidsobjekte überhaupt für verzichtbar. Wenn der Vater eines geistig behinderten Kindes, nachdem er einen Nachttopf von Niki Lauda ersteigert hat, in Tränen ausbricht, dann ist klar: Behinderte sind zum Weinen. Mit jedem Schilling, der im Namen behinderter Menschen gespendet wird, wird die Chance, daß wir eines Tages gleichberechtigt leben können, geringer.

Sie wollen uns einreden, die Welt bestehe aus liebeskranken Förstern, streichelnden Ärzten und intelligenten Schäferhunden. Haben Sie gewußt, daß Schäfer als Partnerhunde für Behinderte vollkommen ungeeignet sind? Unter den Hunden steht der Schäfer weit rechts, zwischen law and order und „Unsere Ehre heißt Treue“. Und Sie sind auf die Verbeugung vor dem Hundefaschismus auch noch stolz. Im Kaisermühlenblues hält sich ein geistig behinderter Mensch für eine Tramway. Das finden Sie lustig, Frau Zechner? In Vera Russwurms Schicksalsplauderei wird einem zehnjährigen Buben, der Motocross fährt, der querschnittgelähmte Kinigadner, ein ehemaliger Motocross-Champion, als lebendes abschreckendes Beispiel vorgeführt.

Behinderte als Abschreckungswaffe. Das finden Sie witzig, Herr Zeiler? Weiß man im ORF nicht, daß die UNO-Charta zur Darstellung behinderter Menschen die übersteigernde Darstellung von Behinderung als Diskriminierung einstuft? Oder will man es nicht wissen?

Sie akzeptieren uns nur in der Form des Monsters, und es ist nur konsequent, daß man in Ihren Sendungen vom Leben dieser gefesselten Wesen nichts erfährt, diese bedauernswerten Kreaturen haben ja gar kein Leben, sondern nur ein Schicksal, das von Ihnen ins Visier genommen wird. Wenn ein irregeleiteter behinderter Mann in Holland glaubt, vor laufender Kamera sterben zu müssen, dann sind Sie zur Stelle, dann gibt es keine Schamgrenze, die Sie nicht unterbieten, um für die Tötung behinderter Menschen zu werben.

Dem Leben behinderter Menschen verschließen Sie die Studios, den Tod aber rücken Sie bereitwillig ins Bild: Wir haben nicht vergessen, daß es der ORF war, der als erste deutschsprachige Anstalt dem Euthanasietrommler Singer eine Tribüne geboten hat, jenem Mann, der die Ermordung behinderter Kinder propagiert, damit für die Normalen mehr Lebensraum bleibt.

Dennoch wollte ich einen letzten Versuch unternehmen, Sie zur Einkehr zu bewegen. Mit der Unterstützung eines behinderten Kollegen erarbeitete ich ein Exposée für eine Fernsehserie: Rolls rolls oder die Wiederkehr der vier Musketiere. Selbstverständlich handelt die Geschichte von behinderten Menschen, und zwar ausschließlich. Ein Stoff, frei von pädagogischen und moralischen Absichten, geschrieben von behinderten Menschen, um den Nichtbehinderten zu zeigen, wie das wirkliche Leben der Wesen ausschaut, für die halb Österreich zu Weihnachten Geld spendet.

Als ich Ihre Antwort in Händen hielt, traute ich meinen Augen nicht. Mit allem hatte ich gerechnet, nicht aber damit, daß Sie Ihren Sehern Behinderte nicht zumuten, weil eine Quotenniederlage die Folge wäre. Behinderte Menschen eine Quotenniederlage!

In den USA gelten behinderte Menschen als die Quotenbringer schlechthin, in Australien konkurrieren drei Serien mit behinderten Hauptdarstellern um die fettesten Werbekuchen und das polnische Fernsehen geht in vorbildlicher Weise auf behinderte Menschen ein. Täglich erzählen mir wildfremde Menschen die unglaublichsten Geschichten von behinderten Eltern, Geschwistern.

Warum kommen diese Menschen im ORF nur als Objekte karitativer Notzucht vor? Die meisten Ihrer Seher haben doch ständigen Kontakt mit Behinderten. Wenn Sie schon dümmer sein wollen als Ihre Seher, warum müssen Sie dazu auch noch so feige sein? Sie haben sich auf Ihrer Küniglburg verbarrikadiert und leben in einer Traumwelt. Dabei läge Ihnen die Welt buchstäblich zu Füßen, Sie müßten nur einmal ins Tal hinabsteigen und sich unter den Menschen umsehen.

Dann würden Sie verstehen, daß behinderte Menschen keine Quotenniederlage sind, dann würden Sie wissen, daß ein Land, in dem behinderte Bürger gleichberechtigt leben, davor gefeit ist, in einer neuen Barbarei zu versinken.

Sie aber ziehen es vor, Schicksal zu spielen. Wir haben keine Wünsche mehr an Sie. Machen Sie, was Sie wollen, setzen Sie Herrn Schiejok als Schicksal zu Frau Russwurm, ketten Sie Herrn Portisch an Kommissar Rex, zwingen Sie Herrn Oberhauser zum Bauchtanz, das hebt die Quote. Vor uns, den Quotenniederlagen, sollen Sie sich nicht mehr fürchten. Fürchten sollten Sie nur, daß eines Tages, wenn Sie die Scheinwerfer einschalten, große Dunkelheit um Sie sein wird. Und daß niemand da ist, der Ihnen Licht bringt.

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