Selbstbestimmt entscheiden statt Zwang zum Cochlea-Implantat

Stellungnahme des Österreichischen Gehörlosenbundes aus aktuellem Anlass zur einseitigen Beeinflussung von Eltern gehörloser Kinder zum Cochlea-Implantat (CI)

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Österrreichischer Gehörlosenbund

Die Antidiskriminierungsstelle des ÖGLB dokumentierte jüngst zwei Fälle der einseitigen Beeinflussung von Eltern gehörloser Kinder. Hier soll Druck ausgeübt worden sein, um eine Einwilligung in die chirurgische Implantation eines Cochlea-Implantats (CI) zu erwirken.

Androhung der Einschaltung des Jugendamtes

In einem aktuellen Fall teilte eine Sozialarbeiterin eines Wiener Krankenhauses der Mutter eines gehörlosen Kindes schriftlich und unmissverständlich mit, dass das Krankenhaus eine Meldung beim Jugendamt vornehmen werde, solle sie das CI weiterhin ablehnen.

Nach dem Beratungsgespräch durch einen Beauftragten der Antidiskriminierungsstelle des ÖGLB hat Frau K. ein Ansuchen auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens mit Krankenhaus gemäß Wiener Antidiskriminierungsgesetz bei der Stelle zur Bekämpfung von Diskriminierungen eingebracht. Bei der Schlichtungsverhandlung im Jänner dieses Jahres wurde eine Einigung zwischen Frau K. und der Oberärztin der HNO-Abteilung des Krankenhauses geschlossen. Das Krankenhaus hat eine schriftliche Erklärung abzugeben, dass die ablehnende Haltung gegenüber eines CI von Frau K. akzeptiert wird und das Jugendamt nicht eingeschaltet wird.

Menschenrechte und Vielfalt

Österreich hat als einer der ersten Staaten die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert (BGBl. III 155/2008). Der Österreichische Gehörlosenbund bezieht sich hier vor allem auf Artikel 3, in dem von der Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit die Rede ist.

In jedem Fall steht das Wohlbefinden des Kindes im Vordergrund. Das körperliche, geistige und seelische Wohlergehen des gehörlosen Kindes kann sowohl mit CI, als auch ohne CI gewährleistet sein. Eltern muss es freistehen, sich für oder gegen eine CI-Versorgung ihres gehörlosen Kindes zu entscheiden. Ebenso ist zu gewährleisten, dass Eltern unabhängig von ihrer Entscheidung entsprechende Unterstützung vom Staat erhalten. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit und selbstbestimmte Familienplanung ist in zahlreichen internationalen Vereinbarungen und Menschenrechtsabkommen festgeschrieben. Die Androhung der Einschaltung des Jugendamtes ist hochgradig unsensibel und verletzt klar das Recht auf Autonomie.

Recht auf Selbstbestimmung

Der ÖGLB fordert die vollständige Anerkennung des Rechts gehörloser und schwerhöriger Menschen, auf sprachliche und kulturelle Selbstbestimmung. Dazu gehört eine umfassende und neutrale Beratung, welche in gleicher Weise die medizinische Sichtweise der HNO-Ärzteschaft, die soziokulturelle Sichtweise der gehörlosen Menschen, sowie das Erlernen der Sprachen Deutsch und Österreichische Gebärdensprache und die Gebärdensprachgemeinschaft einbezieht. Gehörlose Menschen haben ein Recht darauf, ihre Kultur zu leben und weiterzugeben und daher das Recht, gehörlos zu sein und gehörlosen Nachwuchs zu haben.

Der ÖGLB fordert, dass beteiligte Eltern im Bewusstsein der Chancen und Risiken einer CIImplantation eine eigenständige Entscheidung treffen können. Die getroffene Entscheidung ist ohne Einschränkung zu respektieren. Wir wenden uns gegen jeden Versuch der HNO-Abteilungen durch einseitige Beratung Einfluss auf die Eltern zu nehmen. Jede derartige Praxis von Androhung und versuchter Nötigung ist von Krankenhäusern und HNO-Abteilungen zu unterlassen und von den Verantwortlichen sofort zu unterbinden.

Die Stellungnahme im Volltext.

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