Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, das am 01.01.2006 in Kraft getreten ist, sieht als Rechtsfolge von Diskriminierungen einen Schadenersatzanspruch vor, der zivilgerichtlich durchzusetzen ist.
Zuvor allerdings muss die diskriminierte Person die Schlichtungsstelle beim Bundessozialamt einschalten und versuchen mit dem Schlichtungspartner eine gütliche Einigung zu erzielen. Erst dann kann die diskriminierte Person beim Zivilgericht einen materiellen oder immateriellen Schadenersatz einklagen. Es gibt leider keinen Beseitigungsanspruch!
Der Verein Selbstbestimmt Leben Innsbruck begleitete fast alle bisher durchgeführten Schlichtungsverfahren im Bundesland Tirol.
„Trotz der Schwachstellen des Behindertengleichstellungspaketes lohnt es sich im Rahmen von Schlichtungsverfahren Diskriminierungen von Menschen mit Behinderung zu bekämpfen“, ist Mag. Paso Zengin, Jurist und zuständiger Mitarbeiter für Fragen nach dem Behindertengleichstellungsrecht vom Verein SLI, überzeugt.
Besonders erfreulich sind die Ergebnisse der zwei jüngsten Schlichtungsverfahren, bei denen nicht nur eine Einzelfalllösung, sondern eine generelle Verbesserung in den betreffenden Bereichen erreicht werden konnte.
Neue Richtlinie für Schulassistenz in Tirol – Ein Schritt in Richtung inklusiver Bildung
Am 1. September 2010 ist in Tirol eine neue Richtlinie für Schulassistenz in Kraft getreten. Die maximale Stundenzahl von 13,3 Stunden pro Woche wurde auf 23 Wochenstunden erhöht. Der Stundenlohn für Schulassistenten wurde um 2,07 auf 15,77 erhöht. Diese Verbesserung wurde auf Grund eines Schlichtungsverfahrens nach dem Behindertengleichstellungsgesetz erreicht.
Eine Mutter, deren Kind im vergangenen Schuljahr in Innsbruck eingeschult wurde, hatte beim Land Tirol für ihren behinderten Sohn um 35 Wochenstunden Unterstützung in der Volksschule angesucht. Der Schüler besucht im Rahmen eines Schulversuchs die Ganztagsklasse. Das Land bewilligte mit dem Hinweis auf die Deckelung der Leistung für den Besuch der Regelvolksschule 13,3 Unterstützungsstunden pro Woche.
Darin sah die Mutter für sich und ihren Sohn eine Diskriminierung im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes. Sie stellte mit Unterstützung und Begleitung von SLI beim Bundessozialamt einen Schlichtungsantrag. Darin brachte sie vor, dass die Deckelung von 13,3 Assistenzstunden in der Woche für die Regelvolksschule den Besuch der Sonderschule erheblich begünstige. Damit werde die gesetzliche Wahlfreiheit für behinderte SchülerInnen zwischen Regelschulen und Sonderschulen ad absurdum geführt.
Im Auftrag vom Landesrat Reheis wurde darauf hin eine neue Richtlinie erarbeitet und von der Landesregierung beschlossen. Eine bedarfsgerechte Unterstützung in Ganztagsklassen ist damit immer noch nicht möglich. Die Regelungen sind aber ein weiterer wichtiger Schritt Richtung inklusiver Bildung. Ein besonderer Erfolg ist es, dass die Regelung nicht nur die Schlichtungswerberin betrifft, sondern positive Auswirkungen auf alle SchülerInnen mit einem höheren Unterstützungsbedarf hat.
Freifahrt für Begleitpersonen von behinderten Menschen im öffentlichen Verkehr – Schlichtungsverfahren beim Bundessozialamt führte zur Änderung der Tarifbestimmungen
Ab 1. September werden Begleitpersonen von Menschen mit Behinderung mit einem Behinderungsgrad von mindestens 70% auf allen Linien des Verkehrsverbundes Tirol VVT in der Region sowie in der Kernzone Innsbruck gratis befördert.
Eine Frau und ein Mann – beide auf einen Rollstuhl angewiesen – brachten Anfang des Jahres mit Unterstützung von SLI einen Schlichtungsantrag beim Bundessozialamt ein. Gegenüber den Schlichtungspartnern VVT und den Innsbrucker Verkehrsbetrieben (IVB) brachten sie vor, dass sie zwar als Personen mit Behinderung den ermäßigten Fahrpreis zahlen, aber zusätzlich für ihre Assistenten als Begleitpersonen den vollen Fahrpreis zahlen müssen. Das sei eine Diskriminierung im Vergleich zu Fahrgästen, die nicht auf eine Begleitperson angewiesen sind.
Die Geschäftsführer beider Organisationen fanden die Argumente überzeugend und sagten eine Änderung und Vereinheitlichung der Tarifbestimmungen zu.
Der VVT und die IVB gaben bekannt, dass in der Region die ÖBB-Vorteilscard Spezial als Nachweis anerkannt wird und in der Stadt Innsbruck genügt ein Behinderungsgrad von 70%.
Mit dieser Regelung wurden die Forderungen der Schlichtungswerber voll und ganz erfüllt.