Selbstbestimmt Leben mit Persönlicher Assistenz

Eingekuschelt in meine Decke liege ich noch im Bett. Aufwachen, Ankommen, Augenaufschlag und ein freundliches Lächeln meiner Frühdienst-Assistentin strahlt mich an.

Von A wie Abhängigkeit ...
Scharl, Magdalena

Jetzt beginnt der Tag und das gemeinsame Tun. Meine Persönliche Assistentin hat ihren Dienst begonnen und ich will „aufstehen“. Ich lebe seit meiner Geburt mit spinaler Muskelatrophie, was bedeutet, dass ich für alle täglichen Verrichtungen persönliche Assistenz benötige. Also heißt dies für meine Persönliche Assistenz mich aus dem Bett auf die Toilette heben, dann in die Badewanne.

Während ich mir die Zähne mit meiner elektrischen Zahnbürste putze, das geht gerade noch wenn mein Arm richtig platziert ist und nicht abrutschen kann, wird inzwischen die Wohnung auf Vorderfrau gebracht: Staubsaugen, Betten machen, Glastisch putzen, Geschirrspüler ein- oder ausräumen, Kleidung vorbereiten, Frühstück richten. Währenddessen überlege ich mir, wie mein heutiger Tag aussehen soll, was ich alles brauche und tun möchte. Als ich noch berufstätig war, und dies waren immerhin 17 lange Jahre, verlief das Morgenprogramm nicht so stressfrei und ich hatte Mühe, pünktlich jeden Morgen im Büro zu sein. Jetzt verläuft alles ruhiger und wir beide können uns etwas mehr Zeit lassen.

Nun beginnt der Teil, der die Formulierung „Persönliche Assistenz“ für mich haarscharf trifft. Das Persönliche, Intime wird in die Tat umgesetzt. Alle kleinen und großen Handreichungen, die üblicherweise jeder Mensch für sich alleine erledigt, machen wir zu zweit. Das erfordert viel Vertrauen, Offenheit und Mut, Dinge an- und auszusprechen, wofür es manchmal schwer Worte zu finden gibt. Ich habe die Worte dafür gefunden, und so leite ich in klaren Sätzen meine Persönliche Assistenz an wie sie das Duschgel auftragen, mich einseifen, meine Haare waschen, Beine epilieren (das natürlich nicht täglich), Gesicht reinigen, aus der Wanne heben, mich abtrocknen, eincremen, anziehen und in den E-Rollstuhl setzen soll.

Dieses Hineinsetzen in den Rollstuhl erfordert Geduld auf beiden Seiten und dauert 10 Minuten bis ich eine Sitzposition gefunden habe, welche für die nächsten Stunden schmerzfrei aushaltbar ist. Dann wird noch frisiert, geschminkt, ein Spritzer Parfum auf die Haare, Ringe, Uhr und zum Schluss die Schuhe angezogen. Jetzt bin ich fertig für den Tag. Inzwischen sind 2 Stunden vergangen. Zum Tisch rolle ich selbst, wo eine Kerze brennt, meine Tasse Tee mit Milch bereit steht und mir meine persönliche Assistenz eine Zigarette anzündet (ja, mein Laster, eines der wenigen).

Seit 21 Jahre lebe ich in dieser Form mit Persönlicher Assistenz, die ich mir seit Beginn an selbständig organisiere. Sie ermöglicht mir trotz einem sehr hohen Assistenzbedarf selbstbestimmt und eigenverantwortlich in meiner Wohnung zu leben. Ich habe meinen Dienstplan in 4 Dienste pro Tag eingeteilt (Früh, Mittag, Abend, Nacht), die derzeit von 8 persönlichen Assistentinnen geleistet werden.

Ich verstehe mich als Arbeitgeberin und Expertin in eigener Sache und so liegt es an mir, zu entscheiden, wer, wann, wo, und vor allem wie mir assistiert wird. Ich suche meine Persönlichen Assistentinnen selbst aus, schule sie ein und leite sie an. Ich bin verantwortlich für Dienstpläne, Teambesprechungen, Abrechnungen und verfüge somit über die 5 Grundkompetenzen Persönlicher Assistenz: Personal-, Anleitungs-, Raum-, Organisations- und Finanzkompetenz.

In einem zähen Behördenkampf, den ich seit 1983 führe, gelang es mir, die dafür nötige Finanzierung (Pflegegeldstufe 7 plus Sozialhilfe) aufzustellen. Leider sind die Leistungen des Sozialamtes immer nur für 1 Jahr gesichert, obwohl sich an meinem Zustand nichts ändern wird – im Gegenteil, er schreitet langsam voran. Somit bange ich am Ende eines jeden Jahres um die Weitergewährung der finanziellen Mittel, um meine Assistenz gesichert zu wissen. Da es um mein Leben geht, habe ich mich auch nicht gescheut schon einmal vor Gericht zu kämpfen und mein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben einzufordern.

Persönliche Assistenz ist für mich das Zauberwort für Unabhängigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Nur durch sie ist es mir machbar und lebbar, trotz meiner inzwischen völligen Bewegungslosigkeit, mein Leben nach meinen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten und meine gesetzten Ziele zu realisieren. Welche Ziele und Wünsche dies sind, muss jeder für sich selbst definieren. Für mich war es Wohnung, Arbeit, Assistenz, Partnerschaft. Ich bin stolz und sehr dankbar, dass ich vieles davon verwirklichen konnte.

Weihnachten naht und da darf man sich eigentlich etwas wünschen. Somit wünsche ich mir, dass Menschen mit Behinderungen endlich das Recht darauf bekommen, ein selbstbestimmtes Leben mit Persönlicher Assistenz führen zu können und die Finanzierung dessen, kein Kämpfen mehr für den einzelnen Betroffenen darstellt.

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