Der Tiroler Monitoringausschuss fördert, schützt und überwacht die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Tirol. Am 26. September 2024 hielt er im Landhaus in Innsbruck seine 16. öffentliche Sitzung ab.
Im Fokus stand das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die „Deinstitutionalisierung“.
„Deinstitutionalisierung umfasst einen strukturierten Prozess hin zu selbstbestimmtem und inklusivem Wohnen – und erfordert ein großes Umdenken. Dabei ist es entscheidend, vor allem die persönlichen Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen einzubeziehen, aber auch jene der vielen engagierten Menschen, die in der Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen arbeiten“, betont Isolde Kafka, Vorsitzende des Tiroler Monitoringausschusses.
Auch in Tirol gibt es hier noch Optimierungspotential, wie im Rahmen der Sitzung von Markus Schefer, der von der UN-Staatenprüfung Österreichs berichtete, ebenso hervorgehoben wurde wie von Monika Rauchberger und Petra Flieger, die zur Studie „Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderungen in Tirol“ referierten.
Seitens des Landes Tirol will man, wie die VertreterInnen berichteten, sowohl in der Behindertenhilfe als auch in der Pflege die mobilen Leistungen weiter ausbauen und verstärkt auf neue Formen des Wohnens setzen.
Die Grundlagen dafür schaffen der Tiroler Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (TAP) sowie der Strukturplan Pflege 2023-2033.
Landesgesetze in Einklang mit menschenrechtlichem Modell von Behinderung bringen
Im Sommer 2023 fand in Genf die kombinierte zweite und dritte Staatenprüfung Österreichs des Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen statt.
Der Schweizer Wissenschaftler Markus Schefer ist seit fünf Jahren Mitglied im UNO-Ausschuss über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
„Es ist wichtig, dass auch die österreichischen Bundesländer ihre Verantwortung bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention übernehmen und ihre Landesgesetze in Einklang mit dem menschenrechtlichen Modell von Behinderung bringen“, berichtet Schefer von der UN-Staatenprüfung.
Dies gelte in besonderer Weise für Gesetze zur Teilhabe und zu barrierefreiem Wohnen. „Ein wichtiger Schritt dahingehend wäre die Überprüfung und Anpassung aller Landesgesetze, die wichtig für eine tatsächliche Deinstitutionalisierung sind, wie zum Beispiel die Tiroler Bauordnung oder das Tiroler Teilhabegesetz“, so der Experte.
Vom Heim in die eigene Wohnung – von Fremd- zu Selbstbestimmung
Die freiberufliche Sozialwissenschaftlerin Petra Flieger veröffentlichte im Vorjahr im Auftrag des Tiroler Monitoringausschusses eine Studie zum selbstbestimmten Wohnen für Menschen mit Behinderungen in Tirol.
Sie stellte fest, dass „für Menschen mit Behinderungen bei der Gestaltung ihres Alltags vielfach bedarfsgerechte und individuelle Unterstützung fehlt. Gerade Personen mit hohem Unterstützungsbedarf erleben hier viel Fremdbestimmung.“
Problematisch sei auch die Verknüpfung von Wohnraum und Unterstützungsleistungen. Monika Rauchberger, Mitglied des Tiroler Monitoringausschusses, unterstrich diese Ergebnisse durch ihren Erfahrungsbericht.
Sie verbrachte viele Jahre in Heimen und anderen Wohneinrichtungen. Nach einem langen Prozess der Deinstitutionalisierung lebt sie nun mit Persönlicher Assistenz in einer Wohnung und betont:
In meiner eigenen behindertengerechten Wohnung habe ich den Unterschied zwischen Persönlicher Assistenz und Betreuung kennen gelernt. Es macht einen großen Unterschied, ob die Betreuerinnen und Betreuer wegen ihrem Dienstplan sagen, was ich wann zu tun habe oder ob ich dies mit Hilfe meiner Persönlichen Assistenz selbst bestimmen kann.
Mobile Leistungen in Behindertenhilfe und Pflege priorisieren
Im Tiroler Teilhabegesetz ist der Grundsatz „mobile vor stationäre Leistungen“ festgeschrieben. Um die Deinstitutionalisierung weiter voranzubringen, will das Land mobile Unterstützungsmaßnahmen weiter ausbauen.
Vorreiter ist Tirol beim Modell der „Persönlichen Assistenz“: AssistentInnen unterstützen Menschen mit Behinderungen bei allen Tätigkeiten, die sie aufgrund ihrer Behinderung nicht selbst ausführen können. 2023 nahmen 550 Personen die „Persönliche Assistenz im Freizeitbereich“ in Anspruch. Österreichweit waren es laut dem Österreichischen Behindertenrat rund 2.000 Personen.
Daneben soll verstärkt auf innovative und inklusive Wohnkonzepte gesetzt werden, wie etwa Wohnen in Kleingruppen oder Verbünden mit ausschließlich mobilen Leistungen. Neue Wohnangebote werden kritisch geprüft, um sicherzustellen, dass die eingesetzten Mittel eine selbstbestimmte Lebensführung von Menschen mit Behinderungen unterstützen. Herausfordernd bleibt laut Land Tirol dabei der Mangel an verfügbarem Wohnraum und qualifiziertem Personal in der Behindertenhilfe.
Auch in der Pflege sollen verstärkt mobile vor stationären Leistungen angedacht werden. Neben knapp 6.000 Plätzen in Alten- und Pflegeheimen gibt es in Tirol etwa 1.700 Personen mit einer 24-Stunden-Betreuung, 1.300 Personen in der Tagespflege und 15.000 Personen, die Leistungen der Mobilen Dienste in Anspruch nehmen.
Nicht nur die mobile Pflege und teilstationäre Angebote sollen weiter ausgebaut werden, sondern auch digitale Leistungen. Bei stationären Einrichtungen werde darauf Wert gelegt, dass diese möglichst kleinstrukturiert in Wohngruppen geführt werden. Weitere Verbesserungen sind beim Care- und Case-Management geplant.
Weitere Informationen
Im Rahmen eines partizipativen Prozesses erarbeitete der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Leitlinien zur Deinstitutionalisierung. Sie sind in deutscher Übersetzung hier abrufbar. Mehr Informationen zur öffentlichen Sitzung sowie zum Tiroler Monitoringausschuss finden sich unter www.tirol.gv.at/monitoringausschuss.
Siehe: Protokolle und Nachlese, Österreichischer Behindertenrat