In der Presse erschien am 21. August 2015 ein Artikel von Univ. Prof. Dr. Ulrich Körtner (deutsch-österreichischer evangelischer Theologe und Medizinethiker) über das Thema Inklusion von an Demenz erkrankten Menschen. Ein Kommentar.
Schon im Untertitel wirft Prof. Körtner eine provokante Frage auf: „Ist ihre Inklusion eine sinnvolle gesellschaftliche Vision oder doch nur eine ideologisch aufgeladene Illusion, die den Betroffenen mehr schadet als dient?“
Er führt infolge drei Bedenken gegen Inklusion an.
Vorurteil: Inklusion kostet
Zum Ersten verweist er, dass „auch die Idee der Inklusion in den Sog von Kostendämpfungsdebatten gerät“ und „Geld kostet“. Inklusionsexperten setzen diesem häufigen Vorurteil immer wieder entgegen: Mittel- und langfristig zahlt sich Inklusion sehr wohl aus. Es kommt hier nicht nur zu Einsparungen für die öffentliche Hand. Es kommt zu einem deutlichen Plus an Lebensqualität für behinderte, alte oder chronisch kranke Menschen.
Es geht nicht darum, große stationäre Fürsorge-Einrichtungen, an die bekanntlich sehr viele Arbeitsplätze gebunden sind, krampfhaft aufrecht zu erhalten. Vielmehr geht es um modifizierte Berufsbilder, wo alte, kranke und behinderte Menschen in ihrem selbstbestimmten Alltag so lange wie möglich unterstützt werden.
Hartnäckige Menschenverachtung
Weitere Bedenken drückt Prof. Körtner mit folgendem Zitat aus: „Denn es geht“, wie der Diakonie-Experte Günter Wienberg schreibt, „eben nicht nur um die sympathische junge Frau mit einem Down-Syndrom oder den netten Studenten, der nach einem Sportunfall querschnittsgelähmt ist. Sondern es geht auch um Menschen mit mehrfachen Behinderungen, um chronisch Suchtkranke und psychisch kranke Menschen, die auffällig sind und stören.“
Eine solche Formulierung ist ein offener Schlag in das Gesicht von behinderten Menschen. Soll es in Zukunft vielleicht ein Zwei-Klassensystem geben a là „gute“ und „schlechte“ behinderte Menschen? Sollen Kriterien wie „auffällig“ und „störend“ vielleicht dazu herangezogen werden, um Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu gewähren, abzuerkennen oder sie in Ghettos bzw. hinter Mauern wegzusperren?
„Inklusion“ falsch verstanden
Prof. Körtner warnt vor einem „Inklusionszwang“ und merkt hierzu an: „Manche wünschen oder benötigen eher Schutz und Fürsorge als vielfältige Teilhabemöglichkeiten.“
Natürlich steht der Wunsch der betroffenen Person an erster Stelle. Dennoch kommt es mir bei einer solchen Argumentation vor, als schrecke man vor einer inklusiven Gesellschaft immer noch zurück und sei froh, eine Ausrede zu haben. Mögliche Schritte zur Inklusion werden dabei oft schon im Keim erstickt.
Der Hinweis von Prof. Körtner, dass „niemand in vollem Umfang … inkludiert ist“, wirkt zumindest auf mich zynisch. Denn wir sprechen hier von grundlegendsten Menschenrechten, die behinderten, kranken und alten Menschen Tag für Tag nicht gewährt werden.
Zum Beispiel zu essen, zu trinken oder die Toilette zu benützen, wann man möchte. Siehe dazu den aktuellen Bericht der Österreichischen Volksanwaltschaft an den Nationalrat und den Bundesrat aus 2014, Bd. II Präventive Menschenrechtskontrolle.
Es dreht sich immer wieder im Kreis
Erst jetzt kommt Prof. Körtner zum eigentlichen Thema seines Artikels: Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Zwar klingen hier die Aussagen etwas gemäßigter. Es werden Argumente unterschiedlicher Gruppen gegenübergestellt. Ein klares und eindeutiges Statement sucht man jedoch vergebens.
Prof. Körtner betont vor allem, die Notwendigkeit einer Demenzstrategie und das Aufbringen entsprechender finanzieller Mittel. Er spricht sich für „eine Vielfalt von Angeboten“ und kehrt wieder zum Anfang seines Artikels zurück. Der Begriff „Inklusion“ müsse „differenziert und kritisch gebraucht werden“.
Wer wirklich auffällt und stört
Nicht nur mir fallen solche Artikel oder Aussagen in verschiedenen Kontexten immer wieder auf. Sie stören mich und können auf andere sehr verstörend wirken.
Warum? Weil sie mit Ängsten und Vorurteilen behaftet und mitunter auch menschenverachtend sind. Weil solche Ansichten leider weiter verbreitet sind, als man denkt. Weil sie fast immer die Betroffenen selbst nicht zu Wort kommen lassen. Und weil Menschen, die solche Ansichten haben, oft in einer Multiplikatoren-Rolle sind. Sprich einen nicht unwesentlichen Einfluss haben auf bestimmte Menschen- und Berufsgruppen sowie auf Entscheidungsträger.
Menschen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung werden den Weg, den die UN-Behindertenrechtskonvention vorzeichnet jedoch unbeirrt weitergehen. Begleitet von unseren Mantren: „Nicht über uns ohne uns.“ und „Es ist normal, verschieden zu sein“.