Skandal! Skandal. Skandal?

Sind die dramatischen Vorfälle im Wiener Pflegeheim Lainz, das sich (un)verschämt "Geriatriezentrum am Wienerwald" nennt, wirklich so ein "Skandal", der plötzlich und unerwartet über das Wiener Gesundheitswesen hereingebrochen ist?

Das ist zum Kotzen!
unbekannt

Leider nein. Den Verantwortlichen sind die Zustände seit Jahren bekannt. Jetzt tauchen sie wieder auf, die jahrelang in diversen Schubladen des Wiener Magistrats abgelegten Konzepte zur Verbesserung der Altenpflege. Doch die Gemeinde wird sicher eine weitere Kommission einsetzen, um neue Konzepte erarbeiten zu lassen.

Ein bewährtes Rezept, das nicht nur der seinerzeitige Gesundheits- und jetzige Finanzstadtrat Rieder nach dem letzten Pflegeskandal angewendet hat.

Warum also soll Frau Stadträtin Dr. Pittermann zurücktreten? Ihr Vorgänger hat es ja auch nicht getan. Und die zuständigen Beamten sind ebenso pragmatisiert, wie die Verantwortlichen in den sogenannten Gesundheitseinrichtungen, die sich als „Götter in Weiß“ verstehen und glauben, tun und vor allem lassen zu können, was sie wollen.

So weigert sich z.B. der Leiter des jetzt wieder ins Gerede gekommenen Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH), Univ.Prof. Dr. Krepler, seit Jahren beharrlich, mit Mitgliedern einer Arbeitsgruppe zu reden, die eine Dokumentation über die „Behindertentauglichkeit“ der Wiener Gesundheitseinrichtungen erstellt. Die Interventionen bei der politischen Vorgesetzten dieses „Gottes in Weiß“ haben nichts genützt. Trotz mehrmaligem Ersuchen des Stadtratbüros an die Leitung des AKH kam ein Gespräch nicht zustande. Die Dokumentation schon. 

Doch wie meinte der längst aus der Politik ausgeschiedene ehemalige Gesundheitsstadtrat Stacher in einem privaten Gespräch in den 70er Jahren? „Wenn meine Beamten nicht wollen, bin ich machtlos …“.

Warum also sollte Frau Stadträtin Dr. Pittermann dem Druck der Opposition und der Medien nachgeben und gerade jetzt zurücktreten? Die Kriterien für ihren Rücktritt hat sie ja längst bekannt gegeben: Am 13. Oktober 2001, also vor genau zwei Jahren, berichtete der ORF: „Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann schließt aus, dass auf dem Rücken der Patienten gespart wird. Für pflegebedürftige Wienerinnen und Wiener werde es auch 2003 keine Verschlechterungen geben, denn dann würde sie zurücktreten.“

Und Verschlechterungen hat es wahrscheinlich auch keine gegeben. Alles ist gleich schlecht wie früher, nur jetzt ist es nicht nur den Heimbewohnern, deren Angehörigen und dem Pflegepersonal inklusive deren Vorgesetzten bekannt, sondern auch der breiten Öffentlichkeit.

Bekannt sein dürften die Zustände auch Justizminister Böhmdorfer. Weshalb sonst versucht er seit langem, das Heimvertragsgesetz durchzubringen? Doch gegen das im Raum stehende Argument, na, dann sperren wir halt die Heime zu, und ihr habt die Insassen auf der Straße, ist offensichtlich auch er machtlos.

Darüber hinaus fällt es sozialdemokratischen Politikern in einer Stadt wie Wien, in der ein Julius Tandler gewirkt hat, anscheinend sehr schwer, zuzugeben, dass das berühmte Wiener Sozial- und Gesundheitswesen, das Tandler in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgebaut hat, doch schon etwas reformbedürftig ist.

Im Gedenken an den 1869 in Tschechien geborenen Julius Tandler, ist die Forderung, Pflegekräfte aus den „Reformstaaten“ zu holen, vielleicht gar nicht so abwegig.

Nicht nur diese, sondern auch unzählige andere Forderungen, Konzepte und Vorschläge werden in der nächsten Zeit an die Politik herangetragen werden. Über die Medien, von Arbeitsgruppen, von Vereinen u.v.a., diese Forderungen haben nur eines gemeinsam: Sie kosten Geld, das weder der Finanzminister noch die Landes-Finanzreferenten ausgeben wollen oder können, denn sparen müssen auch die Länder und Gemeinden. Logische Konsequenz: Kürzung oder zumindest „Einfrieren“ der Ausgaben auch für Alten- und Pflegeheime.

Die Weigerung des Bundes, das Pflegegeld zu valorisieren, brachte besonders in diesem Bereich massive Kürzungen, bei gleichzeitiger Explosion der Kosten, sowohl auf dem Gebiet der mobilen Dienste als auch in den Pflegeeinrichtungen. Die Kosten in den Heimen sind heute durchaus mit den Preisen von Luxushotels vergleichbar. Aber es gibt auch leistbare Unterkünfte, etwa in der ***Kategorie.

Und hier gibt es recht interessante Denkanstöße: Am 19. September fand im Hotel Michlhof im Burgenland, das vom Österreichischen Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte (ÖHTB) geführt wird, ein Workshop zum Thema „Betreuter Urlaub“ statt.

Die Idee dahinter ist, dass Personen mit Hilfsbedarf in einem „normalen“ Hotel Urlaub machen und sich die persönliche Hilfe, die sie benötigen, (Aufstehen, Anziehen, Körperpflege etc.) stundenweise zukaufen können. Für medizinisch notwendige Leistungen können örtliche Einrichtungen wie das Rote Kreuz, Sozialstationen und selbstverständlich der Gemeindearzt herangezogen werden. 

All diese Überlegungen können jedoch nur dann Realität werden, wenn nicht weitere Verschlechterungen im Pensionssystem Platz greifen und das Pflegegeld endlich dem realistischen Bedarf angepasst wird. Ansonsten bleiben als Alternative letztendlich noch mehr und noch größere Pflegeheime mit der realistischen Aussicht auf weitere Skandale, wahrscheinlich nicht nur in Wien.

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