Der vorliegende Gesetzesentwurf zur Regelung der Ausbildung und der Berufsausübung im Bereich der Hilfe für behinderte Menschen ist aus unserer Sicht schlicht diskriminierend.
Wir bekommen wieder einmal etwas vorgesetzt, ohne bei der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs in irgend einer Weise gefragt oder einbezogen worden zu sein. Nichtbehinderte ExpertInnen entscheiden wieder einmal darüber, welches Personal mit welcher Qualifikation geeignet ist, für welche behinderten Menschen zu arbeiten. Das ist Diskriminierung. Das ist Bevormundung. Das ist Missachtung unseres ExpertInnenwissens.
In der Deklaration von Madrid, die die derzeitigen Mindeststandards einer Politik in Sachen „Behinderung“ festschreibt, wird ausdrücklich festgehalten, dass Angelegenheiten, die behinderte Menschen betreffen, auch nur gemeinsam mit behinderten Menschen erarbeitet werden dürfen (die Deklaration von Madrid ist als PDF – Datei auf der Homepage der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation zu finden).
Da dies hier nicht geschehen ist, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung behinderter Menschen aber oberste Maximen der Politik in Sachen „Behinderung“ sein müssen, ist dies nicht nur extrem schlechter Stil, sondern müsste eigentlich der Vergangenheit angehören.
Dazu kommt noch, dass der Entwurf keinerlei Rücksicht auf den tatsächlichen Bedarf behinderter Menschen mit Assistenzbedarf nimmt. Betreuung, Pflege, Medizin dominieren die Lehrinhalte, was in der Konsequenz bedeutet, dass wir wieder von Heimhilfen und FachbetreuerInnen abhängig gemacht und damit entmündigt werden. Auch wenn irgendwo lapidar angemerkt wird, dass Selbstbestimmung zu den Lehrinhalten gehört, im Curriculum findet sich das nicht mehr. Wir befürchten, dass es bloß als gutklingendes Schlagwort hineingerutscht ist. Würde der Begriff ernstgenommen, sähe der Entwurf anders aus.
Dem Geist des Gesetzesentwurfs entspricht es, dass persönliche Assistenz in keiner Weise berücksichtigt ist. Es ist offensichtlich nicht bekannt, dass persönliche AssistentInnen unter Anleitung behinderter Menschen arbeiten und damit eine Qualifizierung entsprechend der Sozialbetreuungsberufe bei persönlicher Assistenz nicht zwingend notwendig ist. Auch Eltern von Kindern mit Behinderung haben meist nicht die entsprechende Qualifizierung. Angehörigkeit (bei Kindern) und/oder Anleitung durch behinderte Menschen sind für persönliche Assistenz leitend. Dazu braucht es natürlich reguläre Unterstützungs- und Ausbildungsformen für behinderte Menschen im Sinne des international bekannten Prinzips des „peer counseling“. Nichts davon ist in dem Gesetzesentwurf enthalten. Die Folge muss eine schwerwiegende Einschränkung schon existierender Praxis von persönlicher Assistenz sein, zukünftige Perspektiven der Selbstbestimmung (deren Ausdruck die Hilfe über persönliche Assistenz ist) werden verhindert.
Dazu kommt noch, dass Menschen mit Behinderung die Ausübung eines Sozialbetreuungsberufes untersagt wird (Artikel 4 (4) der Bund-Länder Vereinbarung), was eine weitere eklatante Diskriminierung darstellt.
Wir haben es langsam satt, dass wichtige Entscheidungen permanent über unsere Köpfe hinweg getroffen werden. Wir lehnen diesen Entwurf daher ab. Die angestrebten Berufe werden uns unser Leben wieder schwer machen, wenn dieser Entwurf genauso umgesetzt wird, wie er vorliegt. Wir benötigen Ausbildungen und Berufe, die uns Unterstützung und Begleitung bieten, aber keine fremdbestimmte Pflege. Und wir benötigen die systematische Unterstützung behinderter Menschen in ihrer Selbstbestimmung und Anleitungskompetenz.
Wir fordern eine Neuverhandlung dieses Gesetzesentwurfes unter zentraler Beteiligung von Organisationen behinderter Menschen und VertreterInnen unseres Vereines. Wir behinderte Menschen sind nämlich die ExpertInnen, wenn es um unseren Hilfsbedarf geht, niemand sonst.