„So schaut’s us! – 2015″

Tragödie in 7 Akten - Projekt vom Dachverband der österreichischen Selbstbestimmt-Leben-Bewegung (SLIÖ)

Tragödie in 7 Akten: So schaut’s aus! - 2015
BIZEPS

Am 3. Dezember 2015 – am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung lud der Dachverband der österreichischen Selbstbestimmt Leben-Bewegung (SLIÖ) zu einer Kunst-Aktion vor das Bundeskanzleramt ein.

Dargebracht wurde eine Tragödie in 7 Akten unter dem Titel „So schaut’s aus! – 2015“. (Fotos)

„In allen Bereichen des Lebens sind behinderte Menschen in Österreich von Diskriminierung betroffen, vor allem bei Bildung, Mobilität, Recht, Wohnen, Kultur, Arbeit und Barrierefreiheit“, hieß es dazu in der Einladung.

Video: „So schaut’s us! – 2015“

Text (Transkript)

Akt 1: „So schaut’s aus in der Bildung“

„In den Schulen sollen Bedingungen geschaffen werden, die auch behinderten Kindern die Möglichkeit geben, am Unterricht teilzunehmen. Dies erfordert den Abbau baulicher Barrieren und die Einführung neuer pädagogischer Konzepte, die an der Individualisierung des Unterrichts orientiert sind. Soziales und kognitives Lernen muss zum Nutzen der Behinderten und Nichtbehinderten miteinander verbunden werden …

Da der Grad der beruflichen und sozialen Integration beim behinderten Menschen besonders von seinen Bildungsmöglichkeiten abhängt, fordern wir die praktische Durchsetzung der Chancengleichheit im obigen Sinn ….“ Das waren die Forderungen der Selbstbestimmt-Leben-Gruppen in Österreich im Jahr 1980! Die Forderungen stimmen bis heute ungebrochen!

So gesehen wird Österreich die Gleichstellung im Bereich Bildung 2095 erreicht haben.

Akt 2: „So schaut’s aus beim Wohnen“

Noch immer wohnt ein Großteil der behinderten Menschen in Österreich in besonderen Wohnformen. Ab 18 Uhr im Pyjama, keine Rahmenbedingungen für selbstbestimmtes Leben, für Beziehungen oder Partnerschaften, keine Rahmenbedingungen für Elternschaft, nicht einmal die freie Arztwahl ist möglich.

Viele behinderte Menschen in Institutionen sind von unterschiedlichen Formen von Gewalt betroffen oder bedroht. Nicht zuletzt durch die Arbeit der Kommissionen der Volksanwaltschaft werden diese gewaltvollen Strukturen immer sichtbarer. Trotzdem wird weiterhin in einen Ausbau von stationären Einrichtungen investiert. Auch wenn das gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt, auch wenn die Lösungen auf der Hand liegen:

Es braucht einen Rechtsanspruch auf bedarfsgerechte Persönliche Assistenz für behinderte Menschen in allen Lebensbereichen, barrierefreie Wohnungen und Rahmenbedingungen für einen gleichberechtigten Zugang zu allen Bereichen der Gesellschaft.

Persönliche Assistenz ist ein Menschenrecht und kein Privileg. Persönliche Assistenz bedeutet gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft.

So gesehen wird Österreich die Gleichstellung im Bereich Wohnen 2095 erreicht haben.

Akt 3: „So schaut’s aus bei der Arbeit“

Die Arbeitslosenzahlen steigen insgesamt, aber Menschen mit Behinderungen sind immer um ein Vielfaches mehr von Arbeitslosigkeit betroffen und bedroht. Bisherige Angebote in Sachen Integration am sog. Ersten Arbeitsmarkt haben nicht nachhaltig gegriffen.

Arbeitsmarktpolitische Entwicklungen, die als positive Steuerungen gedacht sind, entpuppen sich als kontraproduktiv. Noch immer arbeiten tausende Personen mit unterschiedlichen Behinderungen in sogenannten integrativen Betrieben. Dort bekommen erwachsene Menschen nur ein Taschengeld ausbezahlt und sind auch sozialrechtlich nicht abgesichert …

Der Kündigungsschutz muss ausnahmslos wieder eingeführt werden!

Die Ausgleichstaxe muss empfindlich erhöht werden! Und zwar auf die Höhe eines kollektivvertraglichen Arbeitsverhältnisses.

Auf der anderen Seite müssen für Betriebe, welche die Einstellungsquote übererfüllen, finanzielle Anreize geschaffen werden!

So gesehen wird Österreich die Gleichstellung im Bereich Arbeit 2095 erreicht haben.

Akt 4: „So schaut’s aus mit der Mobilität“

Im Straßenverkehr gibt es keine einzige Regelung, die zur Wahrnehmung von Kraftfahrzeugen das Mehr-Sinne-Prinzip verpflichtend vorschreibt. Es gibt immer mehr Elektrofahrzeuge. Ein Segen für die Umwelt – eine Gefahr für viele. Menschen mit Sinneseinschränkungen können im Umgebungslärm geräuscharme Elektro- oder Hybridfahrzeuge nicht erkennen oder hören.

Kinder, Jugendliche und ältere Menschen können sie kaum wahrnehmen, Menschen mit Mobilitätseinschränkungen können nicht schnell genug auf unerwartet auftauchende Fahrzeuge reagieren. Wir fordern österreichweit Barrierefreiheit für alle Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Personennahverkehr statt Sonder-Fahrdienste!

Für die Straßenverkehrsordnung fordern wir, ein gesetzlich verpflichtendes Mehrsinne-Prinzip, um bei Sinneseinschränkung oder Sinnesausfall die Wahrnehmbarkeit zumindest über einen Sinn für alle Menschen zu gewährleisten.

So gesehen wird Österreich die Gleichstellung im Bereich Mobilität 2062 erreicht haben.

Akt 5: „So schaut’s aus mit der Barrierefreiheit“

In 28 Tagen tritt das Behindertengleichstellungsgesetz in vollem Umfang in Kraft. In den meisten Bundesländern ist in der Barrierefreiheit ein Rückfall auf den Stand der 80er Jahre passiert.

Werden Menschen mit Behinderung ab 2016 endlich eine barrierefreie Umwelt für alle erleben? Werden sie an der Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben können? In jedes Geschäft gehen und in jedem Lokal essen können? Eine barrierefreie Toilette ohne zu suchen immer und überall finden? Taktile Leitsysteme, die blinde Menschen leiten? Selbstverständliche Gebärdendolmetschung für gehörlose Menschen? Wohl nicht!

Erst gegen Ende der Übergangsfrist scheinen die Politik und die Wirtschaft langsam aufzuwachen. Schnell wurden Initiativen gestartet, so dass alle BürgerInnen das Gefühl haben, für Menschen mit Behinderung werde eh schon so viel gemacht. Dass aber mehr als acht Jahre ein Dornröschenschlaf gepflegt wurde, wird verschwiegen.

Barrierefreiheit ist ein Menschenrecht, das österreichweit eher als Belastung und als Gnadenakt gesehen wird. Dabei dient Barrierefreiheit allen. Und nun muss sich dieses Menschenrecht auch noch gegen Registrierkassenpflichten und Ähnliches behaupten. Wer wird da wohl siegen? In jedem Fall geht es zu Lasten von rund 1,5 Millionen Menschen mit Behinderung in Österreich.

So gesehen wird Österreich die Gleichstellung im Bereich Barrierefreiheit 2075 erreicht haben.

Akt 6: „So schaut’s aus mit der Kunst und Kultur“

Österreich ist kein Kulturland für alle Menschen. Die staatliche Kulturförderung finanziert Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen.

Es gibt kein Gesetz, das dem Bund oder den Bundesländern verbietet, Kulturstätten mit Förder-Millionen zu sponsern, die behinderte Menschen ausschließen.

Nur ein kleiner Teil der Konzertsäle, Theater, Kabaretts, Museen oder Kinos ist für alle zugänglich. Die meisten sind noch nicht barrierefrei oder für mehrere Sinne geeignet.

Auch wenn vor kurzem im Reinhardseminar die Aufnahmekriterien geändert wurden, sind Ausbildungsmöglichkeiten wie barrierefreie Probemöglichkeiten für behinderte Kunststudentinnen und -studenten eine Ausnahme. Den unterrichtenden Professorinnen und Professoren ist die Ausbildung für behinderte Kunstschaffende praktisch unbekannt.

Österreich muss sehr viel ändern, um das internationale Niveau in Kunst- und Kultur zu erreichen.

So gesehen wird Österreich die Gleichstellung im Bereich Kultur 2075 erreicht haben.

Akt 7: „So schaut’s aus mit dem Recht“

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein Vertrag, in dem unsere Rechte festgeschrieben wurden. Österreich hat den Vertrag unterschrieben, will ihn aber nicht einhalten

Dies zeigt sich beispielsweise in Fragen der Inklusion, der Partizipation aber auch der De-Institutionalisierung – all das, will Österreich nicht umsetzen. Menschen mit Behinderungen können nicht in allen Bereichen mitwirken, müssen immer noch in Heimen leben.

Im österreichischen Behindertengleichstellungsgesetz gibt es nur einen Schadenersatz bei Diskriminierung, aber keine Möglichkeit sie zu verhindern. Gleichstellung kann aber nur funktionieren, wenn Barrierefreiheit rechtlich durchgesetzt werden kann.Wir benötigen daher im Gesetz einen Anspruch auf Unterlassung von Diskriminierungen und Beseitigung von Barrieren.

So gesehen wird Österreich die Gleichstellung im Bereich Recht 2075 erreicht haben.

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