Sonderpädagogische Diagnostik: fragwürdig, beschädigend, verzichtbar

Der Filmbeitrag des WDR „ Für dumm erklärt – Nenads zweite Chance“ beleuchtet die fatalen Folgen sonderpädagogischer Fehldiagnosen. Handelt es sich lediglich um einen schockierenden Einzelfall? Oder muss das gesamte System der als unverzichtbar geltenden sonderpädagogischen Diagnostik auf den Prüfstand?

Stempel: Behinderung
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Nenad kam mit seinen Eltern als Bürgerkriegsflüchtling und Angehöriger der Roma-Minderheit von Serbien nach Deutschland. Bei seiner Einschulung war er ein verängstigtes Kind, das über keinerlei Deutschkenntnisse verfügte.

Aufgrund eines IQ-Tests wurde er von Sonderpädagogen als „geistig behindert“ diagnostiziert und musste elf Jahre eine Sonderschule für geistige Entwicklung besuchen. Nur mit Hilfe von außen gelang ihm der Eintritt in ein Berufskolleg, wo er derzeit mit guten Erfolgsaussichten den Realschulabschluss anstrebt.

Er will das Land NRW auf Amtspflichtverletzung und Schadenersatz verklagen, weil er aufgrund der falschen Diagnose jahrelang um sein Recht auf Bildung gebracht wurde. Im Film sagt er mit Blick auf die verlorenen Jahre an der Sonderschule: „Sie haben mir mein Leben kaputt gemacht.“ 

Seine dringenden Bitten, auf eine für ihn geeignete Schule wechseln zu dürfen, wurden ignoriert. Stattdessen wurde sein Förderbedarf jährlich fortgeschrieben. Ein neuer IQ-Test hat ihm bescheinigt, dass er das Potenzial eines durchschnittlich intelligenten Menschen hat. 

Die Mär von der Unverzichtbarkeit sonderpädagogischer Diagnostik 

Bis heute ist es der wissenschaftlichen Sonderpädagogik gelungen, ihre Diagnostik als „unverzichtbare Kernkompetenz“ im Bewusstsein der Bildungspolitik und der Öffentlichkeit zu verankern. 

Dementsprechend tragen die Fortbildungskonzepte für inklusive Schulentwicklung in allen Bundesländern fast ausschließlich eine sonderpädagogische Handschrift. Darin werden den Sonderpädagogen die Diagnostik und die Beratung der allgemeinen Pädagogen als neues Aufgabenfeld in der „inklusiven“ Schule zugewiesen.

Die taufrisch aufgelegte Broschüre des nordrhein-westfälischen Schulministeriums über „Sonderpädagogische Förderschwerpunkte in NRW“ aus ausschließlich sonderpädagogischer Sicht liefert einen typischen Beweis für die sonderpädagogische Definitionsmacht in der Schulpolitik. 

Prof. Dagmar Hänsel hat in der Zeitschrift „SchulVerwaltung NRW“ (11/2012) einen Fall angeprangert, der fast identisch ist mit dem von Nenad. Die Fehldiagnose „geistig- und schwerstbehindert“ wurde von der Sonderschule Jahr für Jahr fortgeschrieben, bis mit Hänsels Unterstützung der Wechsel zur Hauptschule gelang. Inzwischen hat der junge Mann erfolgreich seine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau abgeschlossen. Nur ein weiterer Einzelfall? 

Mit Nenads Klage gegen das Land NRW wird der Blick auf unhaltbare sonderpädagogische Zustände freigegeben – in NRW und über NRW hinaus. Im Kern geht es um die Frage, welche Rolle die Sonderpädagogik in unserem Bildungssystem zukünftig spielen soll.   

Einzelfall oder falsches System? 

Schon seit den 1970er Jahren gibt es begründete wissenschaftliche Kritik an der Sinnhaftigkeit sonderpädagogischer Diagnostik. Wissenschaftler wie Ulf Preuss-Lausitz, Alfred Sander und Reimer Kornmann haben wiederholt empirisch nachgewiesen, dass die mittels sonderpädagogischer Diagnostik als „lernbehindert“ etikettierten Sonderschülerinnen und -schüler  –  die weitaus größte Gruppe unter den Schülern mit sonderpädagogisch festgestelltem Förderbedarf  –  nicht eindeutig abgegrenzt werden können von schulschwachen Schülerinnen und Schülern der allgemeinen Schulen.

Da eine „Lernbehinderung“ kein objektivierbarer Sachverhalt sei, sei ein diagnostischer Abgrenzungsversuch mit der Zuweisung zur Sonderschule ein ebenso widersinniges Unternehmen wie die Sonderschule für Lernbehinderte selbst. 

Angesichts des nachgewiesenen extrem engen Zusammenhangs von  sozioökonomischer Benachteiligung und diagnostizierter „Lernbehinderung“ hat Prof. Hans Wocken in seiner sarkastischen Kritik an der Sonderpädagogik vorgeschlagen, die Sonderpädagogik solle anstelle von Intelligenztests doch gleich den Zollstock als Messinstrument für „Lernbehinderung“ einsetzen, da die Anzahl der Bücher in den elterlichen Wohnungen ein verlässlicher Prädikator für eine solche Diagnose sei. 

Migrantenkinder überrepräsentiert

Prof. Lisa Pfahl hat in ihrer Diskursanalyse zu „Lernbehinderung“ 2011 festgestellt, dass die Sonderpädagogik uns bis heute eine aussagekräftige wissenschaftliche Definition von „Lernbehinderung“ schuldig bleibt. Unter dem Label „lernbehindert“ fasse die Sonderpädagogik alle Kinder zusammen, die „nach unten“ abweichen und an den Regelschulen nicht ausreichend gefördert werden.

„Lernbehinderung“ werde  ausschließlich relational als negative Abweichung von der Durchschnittsleistung der Kinder der betreffenden Klasse, Schule oder eines Altersjahrgangs bestimmt. Sie werde immer mit individuellen Defiziten begründet. Damit lasse sich auch erklären, warum Migrantenkinder mit Problemen in der deutschen Sprache im Verhältnis zu herkunftsdeutschen Schülerinnen und Schülern in Sonderschulen überrepräsentiert sind. 

In den von Pfahl untersuchten Bildungsbiografien von Sonderschülerinnen und -schülern zeigt sich in Übereinstimmung mit anderen Studien, dass mit der Zuschreibung der Kategorie der „Behinderung“ ein Verlust des Selbstwertgefühls einhergeht, der zu lebenslangen einschränkenden „Selbsttechniken der Behinderung“ führt.

Daher plädiert sie nachdrücklich dafür, die behinderungsspezifische Etikettierung und Klassifizierung von Kindern im Rahmen der individuellen Feststellungsdiagnostik zu beenden und die Sonderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen aufzulösen. 

In historischer Perspektive hat Prof. Dagmar Hänsel nicht nur die vielfältigen Verstrickungen der Sonderpädagogik mit der nationalsozialistischen Politik detailliert nachgezeichnet. Sie hat auch nachwirkende Kontinuitäten in den bestehenden sonderpädagogischen Strukturen analysiert. Sie hat u.a. sichtbar gemacht, dass die Konstruktion der „Lernbehinderung“ an die fragwürdigen Grundlagen anknüpft, die vor und im Nationalsozialismus von der Hilfsschulpädagogik gelegt wurden.     

Sonderpädagogische Diagnostik als Etikettierungsschwindel 

Wocken hat in jüngster Zeit nachgewiesen, dass der Anstieg der Inklusionsquoten nicht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention mit rückläufigen Schülerzahlen in den Sonderschulen einhergeht. Er ist auf „sonderpädagogische Metamorphosen“ zurückzuführen, so Wocken.

Vermehrt würden Kinder in den Grundschulen, die früher dort als schwache Schülerinnen und Schüler geführt wurden, heute mittels sonderpädagogischer Diagnostik als Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf identifiziert und zu „Inklusionskindern“ gemacht. 

Diese Praxis ist für die Grundschulen nützlich, da sie sich damit eine zusätzliche  sonderpädagogische Ressource erschließen. Die Sonderschulen können sich mit dem Anstieg der sonderpädagogischen Förderquoten als Parallelsystem erhalten und die Kultusministerien benutzen die boomenden Inklusionsquoten als Beweismittel für ihre gelingende Inklusionspolitik.

Lediglich für die betroffenen Schülerinnen und Schüler ist und bleibt die Etikettierung und Kategorisierung als „behindert“ stigmabehaftet und diese werden sie in der Regel auch nicht wieder los. 

Einmal Sonderschule, immer Sonderschule

Der Landesrechnungshof NRW hat 2013 in seinem Bericht an den Landtag „über den Schulbetrieb an öffentlichen Förderschulen“ auf den längst bekannten Sachverhalt kritisch hingewiesen, dass die Förderschulen in der Rückführung ihrer Schülerinnen und Schüler versagen. Am Beispiel von Nenad wird auf erschreckende Weise deutlich, dass die Institution Sonderschule kein Eigeninteresse hat, die als „behindert“ diagnostizierten Kinder wieder an die allgemeine Schule abzugeben.

Die vorgeschriebene jährliche Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs durch Sonderpädagogen ist daher ein höchst unwirksames Mittel, einmal gefasste sonderpädagogische Entscheidungen im Sinne einer Rückführung zu korrigieren. 

Dagegen sind sonderpädagogische Korrekturen im Interesse der Sonderschulen  durchaus an der Tagesordnung. So hat der Landesrechnungshof in dem besagten  Prüfbericht mit einem gewissen Misstrauen konstatiert, dass Schülerinnen und Schüler mit einem festgestellten Förderbedarf Lernen häufig zu einem späteren Zeitpunkt zu Schülerinnen und Schülern mit emotionalem und sozialem Förderbedarf umetikettiert werden.

Das Misstrauen ist durchaus berechtigt, zieht doch der Wechsel zwischen diesen beiden Förderschwerpunkten einen erhöhten Lehrerstellenbedarf nach sich und bringt der betreffenden Sonderschule mehr Ressourcen ein. 

Während erfreulicherweise die Förderquoten im Bereich Lernen seit 2008 sinken und damit weniger Kinder mit dem zweifelhaften Etikett „lernbehindert“ klassifiziert werden, steigen die Anteile der Kinder mit festgestelltem Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Emotionale und soziale Entwicklung sowie Geistige Entwicklung auffällig an.

Bei kritischen Beobachtern legt diese Entwicklung den Verdacht nahe, dass Schülerinnen und Schüler, denen früher von der Sonderpädagogik eine „Lernbehinderung“ zugeschrieben wurde, jetzt vermehrt zu den Förderschwerpunkten Geistige Entwicklung oder Emotionale und soziale Entwicklung umgeleitet werden. 

Alter Wein in neuen Schläuchen: RTI als Retter sonderpädagogischer Diagnostik 

Die wissenschaftliche Sonderpädagogik hat für sich längst erkannt, dass der Glaube an die absolute Verlässlichkeit sonderpädagogischer Diagnostik angesichts der vielen „Ungereimtheiten“ gestärkt werden muss.

Wie will sie beispielsweise erklären, dass die Förderquoten in den Bundesländern höchst unterschiedlich ausfallen und sogar innerhalb eines Bundeslandes und einer Region extrem voneinander abweichen? 

Mit dem in den USA entwickelten Programm RTI (Response to Intervention) verspricht die Sonderpädagogik der Bildungspolitik ein evidenzbasiertes, d.h. wissenschaftlich erprobtes Diagnoseinstrument, das zudem mit einem Präventionsprogramm für Kinder mit Lern- und Verhaltensproblemen verbunden ist.

Auf der Basis standardisierter Testdiagnostik soll bei den frühzeitig ermittelten „Risikokindern“ eine intensivierte Förderung mit standardisierten Förderprogrammen vorgenommen werden. Diese werden in einer engmaschigen Lernverlaufsdiagnostik auf ihre Wirksamkeit überprüft und können je nach Bedarf gesteigert werden. 

Das RTI-Modell, so die Kritiker, ist darauf  angelegt, sich selbst zu bestätigen. Da die Instrumente der Diagnostik und Förderung für sich beanspruchen, „evidenzbasiert“ zu sein, kann es nur am Kind liegen, wenn die Förderung nicht entsprechend wirkt. Respondiert das Kind in der gewünschten Weise, dann hat RTI gewirkt.

Wenn es trotz intensivster Förderung keine Lernfortschritte macht, dann hat es einen zweifelsfrei erwiesenen sonderpädagogischen Förderbedarf. 

Für die Kritiker untergräbt RTI die Inklusion, da unter dem Vorzeichen von Inklusion lediglich eine modernisierte Variante der traditionellen medizinisch-defektologischen  Diagnostik zur Anwendung kommt. Es handelt sich um alten Wein in neuen Schläuchen.

Mit der früh einsetzenden, regelmäßigen Vermessung aller Kinder durch sonderpädagogische Tests und der Vermessung der Effekte von Förderprogrammen seien Stationen markiert, die in letzter Konsequenz in die individuelle Diagnose „Behinderung“ einmünden, wenn die Kinder nicht erfolgreich „respondieren“.   

Plädoyer für eine inklusive Diagnostik in der inklusiven Schule 

Für Inklusionsbefürworter kann das Ziel der Diagnostik in einem inklusiven Klassenzimmer nicht mehr darin bestehen, „Fehlentwicklungen“ bei Kindern  frühzeitig zu identifizieren und die Kinder entsprechend zu kategorisieren, zu klassifizieren und damit auszugrenzen oder auszusondern.

Inklusion misst Kinder nicht an einem Normalitätsverständnis, das vorschreibt, was Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt zu können haben. „Das Prinzip der grundlegenden humanen Anerkennung setzt das Konstrukt des schlechten Schülers außer Kraft“, so die Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel.

In der inklusiven Schule wird eine inklusive Diagnostik dringend gebraucht, die die individuellen pädagogischen Angebote und sonstigen Rahmenbedingungen  begründet, die ein Kind für seine gleichberechtigte Teilhabe am Lernen und Leben in der schulischen Gemeinschaft benötigt.

Diese Diagnostik geht davon aus, dass jedes Kind das Recht hat, dass in der Begleitung seines Lernprozesses die Barrieren aufgedeckt, vermindert und abgebaut werden, die sein Lernen behindern oder verhindern. Jedes Kind hat das Recht auf individuelle Unterstützung seiner Lernwege, unabhängig davon, auf welcher Stufe es kompetent ist. 

Diese verantwortungsvolle Aufgabe kann nur in Kooperation und Dialog mit den am Lernprozess beteiligten Akteuren und mit Einbindung und Unterstützung unterschiedlicher pädagogischer Professionen und Experten gelingen. Dazu gibt es verschiedene Vorschläge. Dabei muss gesichert sein, dass die Lernenden immer eine Stimme haben. Nenad hatte sie nicht. 

Es kann also unter dem Vorzeichen von Inklusion nicht darum gehen, die sonderpädagogische Diagnostik ausgeklügelt zu verfeinern, sie durch standardisierte Programme und Verfahren zu vereinheitlichen und durch verbesserte  Kontrollmechanismen weniger „fehleranfällig“ zu machen, um sie damit weiterhin pädagogisch und bildungspolitisch als Spezialdisziplin für Diagnostik zu legitimieren.

Sonderpädagogische Diagnostik ist theoretisch und praktisch mit ihrer Verankerung in der Sonderpädagogik und den damit verbundenen aussondernden Strukturen ungeeignet, inklusive Lernprozesse zu unterstützen. Sie ist verzichtbar.

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6 Kommentare

  • Diese Aussagen sind voll und ganz zu bestätigen. Ein Zweitklässler in Wien hatte im ersten Schuljahr immer wieder gesundheitliche, aber eigentlich keine Lernprobleme, die Eltern stammen aus Ungarn, arbeiten aber in Wien. Das Kind wurde letztendlich von der Schulbehörde in widerlichen Auseinandersetzungen zum Sonderschüler gestempelt. Die Eltern pendeln jetzt von einer grenznahen Stadt in Ungarn täglich nach Wien, das Kind ist dort eingeschult und als Klassenbester in Deutsch zu einem Wettbewerb eingeladen worden, eigentlich in allen Belangen ein sehr gut begabtes Kind, dem von unfähigem Personal seine Zukunft ruiniert worden wäre.
    Wenige Lehrer beherrschen entwicklungsdynamisch orientiertes Beobachten der Handlungen von Kindern, um zu erkennen, mit welchen Fähigkeiten sie sich mit den angebotenen Inhalten auseinandersetzen und ob diese überhaupt passend für sie sind.
    Dafür arbeiten wir derzeit an der Pädagogischen Hochschule in Wien ein web basiertes Beobachtunsginstrumentarium aus, welches ermöglicht, die Handlungsschritte einer Person in deteaillierten Schritten in allen acht psychischen Funktionen zu beschreiben und somit auch festzustellen mit welchen operativen Schritten der/die Lernende sich in dieser Lernsituation aktiviert. Genauere Auskunft bei Interesse:
    hneira 2002@gmx.at

  • Die Verwendung von psychologischen Tests sollte nur der/die dafür Ausgbildete durchführen, das sind nun Mal PsychologInnen.

  • Der Beitrag spricht mir aus der Seele! Für Nenad tut es mir leid. Er wird hoffentlich jetzt im beabsichtigten Verfahren gegen die falsche Diagnostik gehört.

  • Excellent!!!
    vielen Dank !!!

  • Von der Sonderschule in die Werkstatt für Behinderten Menschen und nicht auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt

  • Das Beispiel von Nenad zeigt eine Grundsatzproblematik der Diagnostik (aber auch der Forschung dazu) auf: Gelingt ein angemessener kommunikativer Zugang zum Kind oder nicht? Ich muss das eigentlich noch schärfer formulieren: Wer garantiert, dass die kommunikativen Versuche der Diagnostiker_innen beim Kind ausreichend gut/deutlich ankommen und wer garantiert, dass die Rückmeldungen des Kindes seinen Entwicklungsstand vollständig wiedergeben?
    Dass die gesprochene Muttersprache des Kindes nicht ausreichend berücksichtigt wird, ist natürlich ein grober Fehler. Als teilweise systematischen Fehler finden wir das bei gebärdensprachorientierten Kindern: Da es viele Diagnostiker_innen gibt, die davon absolut nichts verstehen, werden viele schwer hörbehinderte bzw. gehörlose Kinder ganz falsch, d.h. ganz schlecht beurteilt und – falls sie Pech haben, für ihr ganezs Leben auf „keine Sprache, daher grenzdebil“ heruntergestuft. Diesen Fehler finden wir auch in der Forschung (jetzt hoffentlich seltener als früher): Gibt das Kind auf gesprochene Fragen keine Antwort, ist es eben nicht intelligent genug oder es wird aus der Untersuchung ausgeschlossen, weil es kein für die Forscher_innen zugängliches Datenmaterial liefert.
    Dieselben Fehldiagnosen aufgrund mangelnder oder unangemessener Kommunikation von seiten der Diagnostiker_innen gibt es auch bei spastischen Kindern: Da gibt es dann die Diagnose: „wird nie eine Sprache erlernen“. In Wirklichkeit heißt das vielleicht: „wird selbst nicht sprechen können“. Gibt man einem solchen Kind technische Hilfsmittel für seine Rückmeldung (z.B. geeignete Computer), stellt man oft fest: Das Kind versteht ja und wir haben es nur nicht gemerkt, weil wir ihm nicht die geeignete Kommunikationsmethode zur Verfügung gestellt haben. Es kann also eine Sprache erlernen.
    Je „technischer “ Diagnoseverfahren ablaufen (d.h. mit standardisierten Verfahren ohne weiteres Eingehen auf das Kind), desto größer ist die Gefahr, dass Kinder völlig fehlbeurteilt werden. Die Eltern sollten also immer darauf dringen, dass die Diagnsotik nur im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung in der für das Kind gewohnten Umgebung und als Gesamtbeobachtung des sozialen und kommunikativen Verhaltens stattfindet.