Sonderpädagogische Förderung: Freiwilliges 11. und 12. Schuljahr darf vom Schulerhalter nur mit nachvollziehbarer Begründung abgelehnt werden

Bloßer Hinweis auf „Platzmangel“ genügt nicht

Verfassungsgerichtshof Österreich
Verfassungsgerichtshof

Schülerinnen und Schüler, die infolge einer Behinderung sonderpädagogische Förderung benötigen, dürfen ein 11. oder 12. Schuljahr an allgemeinbildenden Pflichtschulen nur dann besuchen, wenn auch der jeweilige Schulerhalter zustimmt (§ 32 Abs. 2 Schulunterrichtsgesetz).

Diese Regelung verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Determinierungsgebot. Die Absolvierung des 11. und 12. Schuljahres ist grundsätzlich zu ermöglichen. Im Falle der Verweigerung der Zustimmung des Schulerhalters (Land, Gemeinde oder Gemeindeverband) hat dieser seine Entscheidung nachvollziehbar zu begründen.

Der bloße Hinweis, dass ein Schulbesuch aus Platzgründen nicht möglich sei, genügt nicht. Diese Begründung hat die zuständige Bildungsdirektion (Schulbehörde) in einen Bescheid aufzunehmen. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf können diesen Bescheid dann vor dem Verwaltungsgericht bekämpfen.  

Anlass des Verfahrens am VfGH war die Beschwerde eines 18-jährigen Niederösterreichers gegen einen Bescheid der Bildungsdirektion für Niederösterreich. Diese hatte seinen Antrag auf Bewilligung eines freiwilligen 12. Schuljahres abgewiesen, weil die Gemeinde eine negative Stellungnahme („aus Platzgründen nicht möglich“) abgegeben hatte.

Das mit der Beschwerde befasste Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hielt es für verfassungswidrig, dass nicht nur die zuständige Bildungsdirektion zustimmen muss, sondern auch der Schulerhalter.

Die Zustimmung des Schulerhalters ist vorgesehen, um sicherzustellen, dass dieser seine Verpflichtungen – Bereitstellung von Lehrmitteln, Personal, Räumen usw. – im Hinblick auf einen qualitätsvollen Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler erfüllen kann. Der Schulerhalter ist im Rahmen der ihm zukommenden Aufgaben grundsätzlich auch verpflichtet, Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf den Besuch der allgemeinbildenden Pflichtschule in einem 11. und 12. Schuljahr zu ermöglichen.

Er hat dabei – wie die Schulbehörde – vor dem Hintergrund des Art. 6 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern zu gewährleisten, dass den besonderen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf Rechnung getragen wird.

Die Zustimmung zum weiteren Schulbesuch darf daher nur versagt werden, wenn im Einzelfall nachgewiesen ist, dass es dem Schulerhalter auf Grund der ihm sonst obliegenden Aufgaben nicht möglich sein wird, seinen diesbezüglichen Verpflichtungen nachzukommen.

Die Bildungsdirektion muss, wie bereits dargelegt, die Begründung der Verweigerung der Zustimmung in ihren (negativen) Bescheid aufnehmen.

Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf können solche Bescheide auf dem Rechtsweg bekämpfen und ihren Schulbesuch gegebenenfalls auch ohne Zustimmung des Schulerhalters durchsetzen.

Ausgehend von diesem Verständnis der Rechtslage treffen die vom BVwG vorgebrachten Bedenken gegen die aktuelle Regelung nicht zu.

Der VfGH hat daher den Antrag des BVwG auf Aufhebung des § 32 Abs. 2 Schulunterrichtsgesetz abgewiesen.

Siehe: VfGH-Erkenntnis G 259/2023 vom 13. März 2024 (PDF, 0.7 MB), RIS

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Ein Kommentar

  • Dazu hörenswert das Interview mit Tobias Buchner im Ö1-Mittagsjournal am 5.4. (bei dem er von der Moderatorin hartnäckig als Herr Brunner angesprochen wurde):
    Weiter Hürden für längeren Schulbesuch für Schüler:innen mit SPF
    https://oe1.orf.at/player/20240405/755371/1712313177000