Unterschiedliche Standpunkte bei öffentlichem Expertenhearing
Der Sozialausschuss des Nationalrats hat heute die Beratungen über die neue Mindestsicherung aufgenommen. Insgesamt acht ExpertInnen standen den Abgeordneten bei einem öffentlichen Hearing für Fragen zu Verfügung, bevor die Diskussion im Kreis der Ausschussmitglieder fortgesetzt wurde.
Das von der Regierung vorgelegte Sozialhilfe-Grundsatz-Gesetz, das eine einheitliche Mindestsicherung in Österreich gewährleisten soll, wurde dabei sehr unterschiedlich bewertet. Die Opposition befürchtet einen Anstieg der Armutsgefährdung und höhere Kosten für die Bundesländer, die Regierungsfraktionen sehen dagegen mehr Gerechtigkeit bei den Leistungen. Integrations- und Arbeitsbereitschaft würden stärker honoriert.
Gemäß dem Regierungsentwurf (514 d.B. ) müssen vor allem Mehrkindfamilien, Asylberechtigte mit schlechten Deutschkenntnissen und Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus mit einer deutlichen Kürzung der Geldleistungen rechnen. Aber auch ÖsterreicherInnen und EU-BürgerInnen ohne Pflichtschulabschluss bzw. mit mangelhaften Sprachkenntnissen droht künftig eine um 35% reduzierte Sozialhilfe.
Als Höchstgrenze für Leistungen legt das Grundsatzgesetz den Netto-Ausgleichszulagenrichtsatz fest (2019: 885,47 €), für Paare sind maximal 140% des Ausgangsbetrags (1.239,66) vorgesehen. Eine 13. bzw. 14. Zahlung im Jahr wird ausdrücklich ausgeschlossen (nähere Details siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 268/2019 ).
ExpertInnen uneins über neue Sozialhilfe
Eingeladen zum Hearing waren Elisabeth Bruckmüller, Fachreferentin für sozialpolitische Grundsatzfragen im Kabinett von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, der Politikwissenschaftler und Soziologe Nikolaus Dimmel (Universität Salzburg), die Sozialwissenschaftlerin Karin Heitzmann (Wirtschaftsuniversität Wien), Wolfgang Mazal, Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, der Ökonom Wolfgang Nagl (Agenda Austria), Walter Pfeil, Leiter des Fachbereichs Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Salzburg, der Rechtsanwalt und Verfassungsexperte Michael Schilchegger sowie der Direktor des oberösterreichischen Landtags Wolfgang Steiner.
Bruckmüller: Sozialhilfe soll Wiedereinstieg in Arbeitsmarkt fördern, Zuzug ins Sozialsystem einschränken
Das geplante Sozialhilfe-Grundsatzgesetz mit Höchst- statt Mindestsätzen sei ein Meilenstein bei der Weiterentwicklung der Mindestsicherung, unterstrich Sozialreferentin Bruckmüller den Handlungsbedarf in diesem Feld. In den letzten Jahren sei nicht nur die Zahl der MindestsicherungsbezieherInnen stark angestiegen, auch die Bezugsdauer habe sich deutlich verlängert, wobei Wien im Bundesländervergleich am schlechtesten abschneide.
Die Regierung wolle nun im Rahmen der Sozialhilfe vermehrt die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt fördern und durch verstärkte Sachleistungen die Treffsicherheit der Hilfen erhöhen. Zusätzlich bezogene Familienleistungen beziehungsweise der Lohnabstand zu einem durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt fänden stärkere Berücksichtigung. Gleichzeitig sichere man das Eigentum der BezieherInnen vor behördlichem Zugriff besser ab, nannte Bruckmüller die im Entwurf vorgesehene dreijährige „Schonfrist“ für Wohnungseigentum und die Erhöhung des „Schonvermögens“ auf 5.300 €.
Die Verknüpfung der Sozialhilfe an Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse und stärkere Arbeitsanreize solle letztendlich den „Zuzug aus dem Ausland in das österreichische Sozialsystem weniger attraktiv“ machen, so die Expertin aus dem Sozialministerium. Immerhin verfüge derzeit die Hälfte der MindestsicherungsbezieherInnen nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft, allein in Wien seien 47.000 BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung Asyl- bzw. subsidiär Schutzberechtigte.
Dimmel sieht Leistungskürzungen auf Kosten von benachteiligten Gruppen
Als Rechtssoziologe sprach Nikolaus Dimmel dem Gesetzesvorschlag der Regierung ab, Armutsvermeidung zum Ziel zu haben, wie dies bisher bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung gemäß Artikel 12 der Bundesverfassung der Fall war. Im Gegenteil würden die „Leistungskürzungen“ infolge der Deckelung die Zahl armutsgefährdeter Personen vergrößern. Auf Bundesländer und Gemeinden als vollziehende Organe komme wiederum ein größerer Kostendruck zu, prophezeite Dimmel mit Hinweis auf die gesetzlich vorgesehenen „Leistungsadaptionen vor Ort“, etwa in Bezug auf die Wohnkosten. Die Leistungsunterschiede zwischen den Ländern verstärkten sich dadurch.
Die Vorschläge, Sachleistungen bei der Sozialhilfe zu steigern und die Kinderzuschläge zu staffeln, widersprechen aus Sicht Dimmels völkerrechtlichen Verpflichtungen, die der Republik mit der UN-Behindertenrechts- und der UN-Kinderrechtskonvention auferlegt wurden. Weitere Gruppen, die von der neuen Sozialhilfe benachteiligt würden, seien vorzeitig Haftentlassene, für die der Entwurf den Leistungsanspruch bis zum Ende der eigentlichen Haftdauer untersage, und Obdachlose.
Da Letztere meist keinen dauernden Aufenthaltsort hätten, bestehe für sie ein „absoluter Leistungsausschluss“. Zur öffentlichen Diskussion, ob gespendete Beträge künftig von der Sozialhilfe abgezogen werden, sagte der Soziologe, die Leistungen Dritter sollten nur dann anrechenbar sein, wenn sie dauerhaft erfolgen. Für „einzelne Spenden“ dürfe dies aber nicht gelten.
Heitzmann warnt vor mehr Kinderarmut und Arbeitslosigkeit
Eine stärkere „Polarisierung“ der Lebenslagen von Menschen mit und ohne bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) macht Sozialpolitik-Professorin Heitzmann aus, falls das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz in der angekündigten Form kommt. Schon jetzt weise die Statistik Austria auf beträchtliche Einschränkungen von BMS-Haushalten im Vergleich zu Haushalten ohne Sozialhilfe hin, besonders wenn Kinder mitbetroffen sind.
„Ein Fokus auf die Kinder ist eigentlich ein Gebot der Stunde“, mahnte Heitzmann und sie warnte, durch eine Reduktion der Sozialhilfeleistungen für Kinder trete eine „Verfestigung der Armut“ ein.
Die Zielsetzung, mit der Sozialhilfe die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zu unterstützen, begrüßte Heitzmann zwar grundsätzlich. Sie bemängelte jedoch, die „multiple Problemlage“ der BMS-BezieherInnen werde dabei übersehen. Rund 57% der BezieherInnen im erwerbsfähigen Alter seien entweder nicht arbeitsfähig oder gezwungen, ihr geringes Einkommen mit der Mindestsicherung aufzustocken.
Vorgaben einer raschen Arbeitsmarktintegration könnten für die Betroffenen das Risiko der Arbeitslosigkeit erhöhen, zumal der Großteil von ihnen höchstens über einen Pflichtschulabschluss verfüge. Vorrangig gelte es daher, für eine bessere Qualifizierung der Menschen zu sorgen, riet die Soziologin. Dieser Ansatz erfordere allerdings Zeit.
Mazal: Grundsatzgesetz sorgt für mehr Solidarität
Arbeits- und Sozialrechtsprofessor Mazal brach erneut eine Lanze für das vorgeschlagene Grundsatzgesetz. Die bisherigen Regelungen zur Armutsbekämpfung hätten nämlich nicht zum erhofften Erfolg geführt. Dank zahlreicher „kann-Bestimmungen“ im neuen Sozialhilfegesetz erhielten die Bundesländer mehr Spielraum für „sachgerechte Lösungen“, beschrieb er am Beispiel des individuellen Case Managements. Den unterschiedlichen Lebensverhältnissen in Österreich, die vom Wohnen bis zum Arbeitsmarkt reichten, trage man im Vertrauen auf die Sachkompetenz der Länder damit Rechnung.
Die Ablehnung von Sachleistungen zur Bedarfsbefriedigung konnte Mazal nicht nachvollziehen. Schon im Sinne der Solidarität in einer Gesellschaft sei es wichtig, dass die Sozialhilfe ein Erwerbseinkommen nicht übersteigt. Ansonsten stoße man auf Unverständnis in der Bevölkerung.
An den verpflichtenden Deutschkenntnissen zum Leistungserhalt sei ebenso wenig auszusetzen, findet der Jurist. Nicht nur für den Eintritt in den Arbeitsmarkt sei der Spracherwerb entscheidend, sondern auch für die generelle gesellschaftliche Partizipation. Bundesländer und Integrationsfonds würden mit entsprechenden Angeboten dafür Sorge tragen.
Nagl: Ziel der Vereinheitlichung wird nicht erreicht
Wolfgang Nagl begrüßte bundeseinheitliche Regelungen im Bereich der Sozialhilfe als grundsätzlich richtig, schränkte jedoch ein, dieses Ziel werde durch den vorliegenden Entwurf nicht erreicht. So haben ungeachtet der Höchstgrenzen die Länder nach wie vor großen Handlungsspielraum bei der Ausgestaltung, was gegen das Prinzip verstoße, dass jeder Mensch gleich viel Sozialhilfe erhalten solle.
Die Sachleistungen wiederum gehen gerade im Wohnungsbereich nach Meinung Nagls nicht weit genug. Die gestaffelten Kinderzuschläge schließlich würden ein falsches Signal setzen und den Eindruck vermitteln, dass man bei den Kindern sparen könne. Hier wäre der Weg über höhere Sachleistungen ein besserer gewesen.
Was die Arbeitsanreize betrifft, wertete Nagl die Zuverdienstmöglichkeit als positiv, kritisierte aber deren zeitliche Begrenzung. Bei den Vermögensfreigrenzen plädierte er für eine Berücksichtigung des Lebensalters und der Arbeitsleistung. Bedenken meldete Nagl auch gegen eine Koppelung der Sozialhilfe an die Sprachkenntnisse an, wobei er meinte, es sollten vielmehr Anreize gesetzt werden, die Sprache zu erlernen.
Pfeil meldet verfassungsrechtliche Bedenken an
Auch Walter Pfeil gab zu bedenken, das Ziel der bundesweiten Vereinheitlichung der Sozialhilfe könne mit diesem Gesetz nicht erreicht werden. Dort, wo es Flexibilität für die Länder gibt, handle es sich um Spielräume nach unten, stellte er in diesem Zusammenhang kritisch fest. Problematisch ist der Entwurf für Pfeil aber auch bezüglich der Verfassungskonformität. Mit dem nun vorgesehenen Beitrag zur Unterstützung des Lebensunterhalts wolle man offensichtlich die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs unterlaufen, zumal nun nicht mehr auf die Menschenwürde und die Existenzsicherung abgestellt wird.
Die Bestimmungen betreffend Integration haben laut Pfeil überdies nichts mit dem Armenwesen zu tun, wie dies in Sachen Sozialhilfe kompetenzrechtlich gefordert wäre. Der ausschlaggebende Gesichtspunkt der Sozialhilfe sollte jedenfalls die soziale Bedürftigkeit sein. Wenn das Gesetz nun Deckelungen und einen Qualifizierungsbonus vorsieht, sei dies ein Verstoß sowohl gegen Verfassungsrecht als auch gegen Unionsrecht.
Für Pfeil ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Freibetrag mit zwölf Monaten begrenzt wird. Working Poor würden damit ausgeschlossen, warnte er.
Schilchegger: Grundsatzgesetz ist verfassungskonform
Das Gesetz sei nicht verfassungswidrig, unterstrich hingegen Michael Schilchegger. Es gebe weder in der Verfassung noch im Unionsrecht soziale Grundrechte, die einen bestimmten Mindeststandard fordern, argumentierte er. Das Sachlichkeitsgebot wiederum biete einen hohen Gestaltungsspielraum, dem zufolge nur Verstöße gegen die sachliche Rechtfertigung verfassungswidrig wären.
Schilchegger erinnerte, dass die bedarfsorientierte Mindestsicherung auch bisher schon unter Vorbehalten geleistet wurde, und meinte, der vorliegende Entwurf schaffe nun höhere Systemgerechtigkeit.
Zu den kompetenzrechtlichen Bedenken stellte er klar, das Armenwesen umfasse auch die Regelungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes. Auch Obdachlose würden nicht von der Sozialhilfe ausgeschlossen, zumal das Meldegesetz für diese Gruppe die Möglichkeit einer Hauptwohnsitzbestätigung vorsieht. Was Leistungsobergrenzen betrifft, verwies Schilchegger auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs, der diese für zulässig erklärt habe.
Steiner sieht Grundsatzgesetz als taugliche Basis für die Ausführungsgesetze der Länder
Wolfgang Steiner begrüßte die Vereinheitlichung der Leistungen in der Sozialhilfe sowie die Übernahme von Best-Practice-Modellen bestimmter Bundesländer. Die Länder werden ihre Verantwortung wahrnehmen und verfassungsrechtlich einwandfreie und vollzugstaugliche Lösungen vorsehen, versicherte er. Das neue System werde inhaltlich für die Betroffenen, insbesondere für AlleinerzieherInnen und Menschen mit Beeinträchtigung Verbesserungen bringen.
Klar ist für Steiner allerdings, dass der Vollzug ebenso wie die Systemumstellung gerade auch für die Länder eine Herausforderung bedeuten werden. Die Ausführungsgesetze müssen jedenfalls so gestaltet sein, dass die Vollziehung nicht unverhältnismäßig teuer wird, mahnte er. Beim Kontrollsystem erwartet sich Steiner unterschiedliche Ansätze in den Ländern, wobei er zu bedenken gab, manche Umstände, etwa die Kriterien der Alleinerziehereigenschaft, werden nur mit großem Aufwand zu überprüfen sein.
Dazu komme noch, dass es für die ordnungsgemäße Vollziehung und Kontrolle faktischer Notwendigkeiten, insbesondere entsprechender IT-Systeme, bedürfe. Insgesamt stellt der Entwurf nach Einschätzung Steiners aber eine taugliche Basis für die Ausführungsgesetze der Länder dar.
ÖVP sieht zahlreiche Verbesserungen für die Betroffenen
ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger ortete zahlreiche Verbesserungen für die Betroffenen und begrüßte die 885 € als einheitlichen Ausgangsbetrag für Einzelpersonen. Bei einer Familie mit drei Kindern stehen überdies rund 1000 € pro Monat zur Verfügung. Die Staffelung der Mindestsicherung ergibt mehr als 300 € monatlich pro Kind, bestätigte auch sein Fraktionskollege Klaus Fürlinger, der zudem ebenso wie Wöginger den Spracherwerb als fundamental für die Integration erachtete.
Kira Grünberg wies auf Nachbesserungen für Menschen mit Behinderung hin und nannte etwa den Zuschlag zur Mindestsicherung, aber auch Ausnahmen von der Haushaltsdeckelung und vom Nachweis des Spracherwerbs. Das Grundsatzgesetz ermögliche praxisgerechte Differenzierungen auf Länderebene und biete ein Sprungbrett zurück in die Arbeitswelt, unterstrich Michael Hammer.
SPÖ warnt vor Verschärfung der Armut
Das Gesetz definiere Höchstgrenzen anstelle von Mindestgrenzen, kritisierte hingegen Alois Stöger. Nurten Yılmaz ortete zudem einen Verstoß gegen die völkerrechtliche Verpflichtung, wonach Personen, denen internationaler Schutz gewährt wird, bei der Sozialhilfe eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt werden müssen.
Nach Ansicht von Birgit Silvia Sandler wiederum ist der Begriff der Menschen mit Behinderung zu eng gefasst und decke psychische Beeinträchtigungen nicht ab. Gabriele Heinisch-Hosek wandte sich gegen die Anrechnung der Wohnbeihilfe auf den Lebensunterhalt, während Selma Yildirim die Verfassungskonformität des Vermögenszugriffs anzweifelte. Josef Muchitsch schließlich gab zu bedenken, durch die Senkung der Richtwerte werde die Armut zusätzlich verschärft.
FPÖ: Gesetz schafft mehr Gerechtigkeit
Dagmar Belakowitsch erwartet sich von dem Gesetz mehr Gerechtigkeit, gebe es doch Menschen, die mit ihrem Erwerbseinkommen weit weniger Geld erhalten als BezieherInnen von Mindestsicherung. Die Sozialsprecherin der FPÖ begrüßte vor allem den Wiedereinsteigerbonus und betonte, Ziel müsse es sein, Menschen möglichst früh wieder in die Arbeit einzugliedern.
NEOS sehen noch offene Kostenfragen durch Neuregelung
Aus Sicht von NEOS-Abgeordnetem Gerald Loacker ist das Argument einer kostengünstigeren Abwicklung der Sozialhilfe durch das neue Grundsatzgesetz nur vorgeschoben. Das eigentliche Ziel, das hier verfolgt werde, sei ein politisches, indem man Ressentiments gegen AusländerInnen und Asylsuchenden bediene.
Loacker sieht eine Reihe von Kostenfaktoren, die auf die Länder bei der Umsetzung des Grundsatzgesetzes zukommen, und die noch nicht beziffert sind. Als Beispiele nannte er etwa die Beurteilung von Sprachkenntnissen, die über „persönliche Vorsprache“ bei den Behörden möglich sein soll, und beim geforderten EDV-Kontrollsystem.
Der Österreichische Integrationsfonds werde ebenfalls zusätzliche Mittel benötigen, um die erforderlichen Sprachprüfungen durchführen zu können. Unklar ist aus seiner Sicht auch, wie die Länder Personen, die Mietrückstände haben, helfen sollen, wenn die Unterstützung für Wohnungen nur mittels Sachleistungen möglich ist.
Liste JETZT kritisiert Abgehen von Zielen der Armutsbekämpfung
Ebenso sieht die Abgeordnete der Liste JETZT Daniela Holzinger-Vogtenhuber eine Reihe von offenen Fragen, die durch das neue Grundsatzgesetz aufgeworfen werden. Grundsätzlich befürchtet sie ein Abgehen von bisher verfolgten Zielen der Armutsbekämpfung. Die Umwandlung von bisherigen Geldleistungen in eine Sachleistung für sprachliche Qualifizierung hält sie für problematisch.
Hier werde eine fehlende Qualifizierung herangezogen, um eine finanzielle Schlechterstellung zu begründen, meinte sie. Auch die Übernahme von Mietkosten könnte dazu führen, dass jemand als EmpfängerIn von Sozialhilfe „geoutet“ wird und dadurch schlechtere Chancen am Wohnungsmarkt hat. Ebenfalls sei die Befürchtung noch immer nicht vom Tisch, dass Menschen mit Behinderung finanzielle Nachteile haben könnten.
ExpertInnen: Unterschiedliche Einschätzungen von Vor- und Nachteilen der neuen gesetzlichen Regelungen
In der das Hearing abschließenden Antwortrunde der ExpertInnen zeigten sich nochmals die unterschiedlichen Zugänge zum behandelten Gesetz und die davon zu erwartenden Vor- und Nachteile.
Für Elisabeth Bruckmüller sind die Regelungen, die auf raschen Spracherwerb abzielen, sinnvoll, weil Sprache der wichtigste Schlüssel zur Integration ist. Die Härtefallklausel ist aus ihrer Sicht hinreichend, um angesprochene Fragen, wie etwa die Bezahlung von Mietrückständen oder die Anrechenbarkeit von Spenden, zufriedenstellend zu lösen. Die Wohnkostenpauschale helfe Menschen dabei, eine Wohnung zu finden, da die VermieterInnen mehr Sicherheit erhalten, dass die Miete bezahlt wird, meinte Bruckmüller.
Aus Sicht von Nikolaus Dimmel bringt das Gesetz einige wenige positive Neuerungen, aber eine Reihe von Verschlechterungen gegenüber dem Jetztzustand. Wenn der Abstand von Sozialhilfe und Mindestlohn als zu gering erachtet wird, sollte eher der Mindestlohn steigen. Ein „Sozialhilfetourismus“ ist aus seiner Sicht kein real nachweisbarer Faktor, für Wanderungsbewegungen seien andere Gründe als die Höhe der Sozialhilfe maßgeblich. In der Frage des leistbaren Wohnens gehe es um ein komplexes Strukturproblem, das nicht über die Sozialhilfe allein zu lösen sei, meinte der Experte. Nach Einschätzung von Dimmel ist zudem eine Schlechterstellung für verschiedene Gruppen mit Beeinträchtigungen zu erwarten, etwa für Menschen mit psychischen Problemen.
Die Schaffung einer Grundlage für eine Sozialhilfestatistik beurteilte Karin Heitzmann ebenso wie Dimmel als einen der wenigen positiven Punkte des Gesetzes. Aus ihrer Sicht ist tendenziell eine Verfestigung von Armut zu erwarten. Die starke Fokussierung auf die Arbeitsmarktintegration ist für sie durchaus zu hinterfragen. Für viele Menschen sei Arbeitslosigkeit nicht unbedingt das erste Problem. Oft gebe es andere Faktoren, die eine Lösung brauchen, bevor Arbeitsmarktintegration gelingen kann. Die Festlegung, was als Sicherung des Lebensbedarfs gelten kann, fehle im Gesetz, eine solche Vorgabe müsste aus ihrer Sicht über einen politischen Diskurs und durch den Gesetzgeber erfolgen.
Sozialrechtsexperte Wolfgang Mazal hielt es nicht für sinnvoll, die Frage der Armutsbekämpfung allein an der Sozialhilfe festzumachen. Hierzu gebe es auch andere Instrumente, die mithelfen sollen, Menschen aus der Armut zu führen. Was die Frage der Anrechenbarkeit von Spenden betrifft, so erwarte er keine Änderungen zu der bisher gängigen Praxis des Umgangs damit. Hinsichtlich der Festlegung einer Untergrenze für den Lebensbedarf meinte Mazal, dass hier durchaus eine Lücke auch im Verfassungsrecht bestehe, über die man diskutieren könne. Jetzt bestehende Regelungen lassen aber aus seiner Sicht nicht erwarten, dass die Länder sich in der Höhe der Sozialhilfe zu weit nach unten bewegen.
Wolfgang Nagl führte in seiner Antwort nochmals aus, warum er Sachleistungen für einen sinnvollen Ansatz hält. Diese sind aus seiner Sicht auch dann anwendbar, wenn es um den Sonderbedarf geht. Bei der Bezahlung der Wohnkosten müsste den Ländern ein Spielraum eingeräumt werden, da die Situation am Wohnungsmarkt große regionale Unterschiede aufweise.
Eine gesetzliche Festlegung von Untergrenzen für Sozialhilfe hält Walter Pfeil für sinnvoll, da das österreichische Verfassungsrecht bisher keine expliziten sozialen Grundrechte kenne. Anreize für die Integration in den Arbeitsmarkt seien zwar grundsätzlich sinnvoll, der Gesetzentwurf setze aber mit der Fokussierung auf den Spracherwerb an der falschen Stelle an und schaffe eine Regelung, die vermutlich nicht mit EU-Recht konform ist. Insgesamt enthalte das Gesetz viele potenzielle Verschlechterungen und nur wenige konkrete Verbesserungen, stellte er fest.
Michael Schilchegger verteidigte die Festlegung von Höchstgrenzen für Geldbezüge. Da Sachleistungen nicht gedeckelt seien, hätten die Länder hier die Möglichkeiten, auch höhere Leistungen zu bieten. Das Gesetz habe einen guten Mittelweg zwischen den Vorgaben des Bundes auf der einen und den notwendigen Gestaltungsspielräumen für die Länder auf der anderen Seite gefunden. Schilchegger sieht klare Verbesserungen für Menschen mit Behinderung und bei der Unterstützung von Wohnbedarf. Sprachkurse als Sachleistungen anzubieten, hält er für sachlich gerechtfertigt. Aus seiner Sicht steht diese Regelung auch klar in der Tradition der österreichischen Gesetzgebung.
Auch Wolfgang Steiner bekräftigte seine positive Sicht der gesetzlichen Neuregelung der Mindestsicherung. Aus seiner Sicht besteht kein Problem darin, dass die Festlegung einer Leistungsobergrenze durch den Bund erfolgt. Die Festlegung einer Untergrenze sei Sache der Ausführungsgesetzgebung der Länder. Der Zeitplan für die Umsetzung sei durchaus ambitioniert, aber durchaus im Rahmen des Möglichen, befand er. Falls noch Klarstellungen notwendig werden, so würden diese selbstverständlich erfolgen.
Im Anschluss an das Hearing setzte der Ausschuss die Beratungen ohne die ExpertInnen fort.