Sozialhilfe: Es wird mehr – mehr an Hürden und Unübersichtlichkeit

Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG) hat ein Bündel an Verschlechterungen gebracht. Ausgrenzung und Reduktion wurden zum Leitmotiv.

Baufälliges Portal eines Hauses
Norbert Krammer

Von Verteidiger:innen der türkis-blauen „Errungenschaft“ wird immer auf Verbesserungen verwiesen, die mit dem Bundesgesetz zumindest angestrebt wurden.

Positive Ansätze im Grundsatzgesetz gab es tatsächlich, beispielsweise die Erhöhung des Schonvermögens.

Aber wie spare ich mir ein Schonvermögen an, wenn die Richtsätze reduziert wurden, die Zuschläge teilweise unerreichbar hoch hängen und der Bonus, beispielsweise für Alleinerzieher:innen angesichts der reduzierten Grundbeträge und der ausgeweiteten Anrechnungsbeträge verpufft.

Da entsteht kein einheitliches, beruhigendes Bild eines Hilfesystems, auf das Menschen in materiellen Notlagen vertrauen könnten.

Richtsätze hinken weiter hinterher

Die Sozialhilfegesetze – also alle neuen Landesgesetze, wenn auch unter verschiedenen Namen sowie das Grundsatzgesetz auf Bundesebene als Vorgabe für die Länder – orientieren sich bei den Richtsätzen am ASVG-Ausgleichszulagenrichtsatz, wie dies bereits mit der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Österreich eingeführt wurde.

Dieser Basis-Richtsatz der sogenannten Mindestpension reicht schon lange nicht mehr aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Die steigende Zahl von „Aufstocker:innen“ – Menschen, die wegen ihrer zu niedrigen Pensionsleistung ergänzend Sozialhilfe / Sozialunterstützung / Mindestsicherung benötigen – führt dies deutlich vor Augen.

Wenn die Sozialhilfe Armut bekämpfen soll, wie einige Landesgesetze noch immer in der Zielbestimmung erfreulicherweise ausweisen, dann muss zumindest eine Unterstützung in Höhe der Armutsgefährdungsrate von EU-SILC (europäische Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen) als Mindestmaß festgelegt werden.

Dies wäre gleichbedeutend mit einer Erhöhung von zumindest dreihundert Euro für einen Einpersonenhaushalt, bei Mehrpersonenhaushalten entsprechend mehr.

Referenzbudget sollte als Maßstab neu eingeführt werden

Der Dachverband der Schuldenberatungsstellen veröffentlicht seit Jahren die sogenannten Referenzbudgets, die jenen Wert festlegen, der nötig ist, um die Mindestausgaben für das tägliche Leben abzudecken. Während die Armutsgefährdungsschwelle nur auf das Einkommen Bezug nimmt – unter 60 Prozent des Medians verfügbaren Einkommens (inkl. Sozialleistungen) gelten Personen als armutsgefährdet – wird beim Referenzbudget der Bedarf ermittelt und gewichtet.

Das Referenzbudget für einen Einpersonenhaushalt betrug 2022 bereits € 1.487 und lag damit um etwas über € 100 über der Armutsgefährdungsschwelle und deutlich über der derzeitigen Mindestpension.

Das System des Referenzbudgets wäre ein sehr guter neuer Basiswert für ein längst überfälliges neues  Mindestsicherungssystem, das die undurchschaubare Sozialhilfe ablösen muss. Damit könnte auch ein einheitlicher Schritt von der Armutsverwaltung zur Armutsvermeidung in Österreich vollzogen werden.

Logisch wäre eine gleichzeitige Anhebung der Ausgleichszulage im Pensionssystem und beim Arbeitslosengeld bzw. der Notstandsbeihilfe, damit der Sozialstaat wieder seine Zielsetzungen erfüllen kann.

Systemumbau statt Einmalzahlungen

Die krisenhaften Auswirkungen der Pandemie und des Ukrainekrieges haben sehr deutlich gezeigt, dass die bestehenden Richtsätze der verschiedenen Sozialsysteme nicht mehr ausreichen. Daher gab es auch Einmalzahlungen bei Pensionen, Sozialhilfeleistungen, Familienbeihilfen, Arbeitslosengeld etc.

Die Teuerungsabgeltungen sind ein deutliches Zeichen, dass die Höhe der Leistungen überdacht werden muss. In der politischen Debatte wird zu Recht darauf hingewiesen, dass Einmalzahlungen nicht nachhaltig sind und eben nur einmal helfen, während die Not und Armut als Dauerzustand bleiben.

Lebensmittel und Miete bezahlen – das geht sich nicht mehr aus

Der Richtsatz in der Sozialhilfe setzt sich aus Teilbeträgen „Unterstützung für den Lebensbedarf“ und „Beitrag zur Abdeckung des Wohnbedarfs“ zusammen. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz definiert das Verhältnis zwischen diesen beiden Teilbeträgen neu. Nun werden nicht mehr 75 % für den Lebensbedarf vorgesehen, sondern nur noch 60 %, wogegen der Wohnbedarf erhöht wurde.

Doch nun sind auch die Energiekosten und die Ausgaben für den Hausrat vom Beitrag zur Abdeckung des Wohnbedarfs zu bestreiten. Die Auswirkung ist vor allem bei der Deckelung der Wohnkosten immer wieder zu spüren. Auch bei Kinderrichtsätzen ist nun ein Wohnkostenanteil zu berechnen und der Lebensbedarf für Kinder zu kürzen.

Überschreitungen sind in Einzelfällen möglich und in Verordnungen geregelt, sollten aber nur als Sachleistungen ― also keine Geldleistung, sondern direkte Übernahme von Kosten ― gewährt werden. Für armutsgefährdete Menschen, die eine Sozialhilfe-Unterstützung benötigen, ist dieses verwaltungstechnische Konstrukt schwer bis gar nicht nachvollziehbar.

In Miethochpreisburgen, wie beispielsweise in der Stadt Salzburg, findet der Richtsatz für den höchstzulässigen Wohnaufwand gemäß Landesverordnung Anwendung. Dieser ermöglicht Mietkosten über dem 40%igen Anteil des Sozialhilferichtsatzes, wird aber – weil sozial absichernd ist die Hilfe offensichtlich nur am Papier – doch wieder zu niedrig bemessen.

Der Richtsatz beträgt für einen Einpersonenhaushalt in der Stadt Salzburg monatlich 660 Euro, wobei Energiekosten und auch Aufwendungen für Hausrat, zumindest dem Anspruch nach, inkludiert sind. Es genügt ein Blick auf die Mietangebote in den Tageszeitungen und Onlineforen, damit klar wird, dass Wohnungen um diesen Preis am Markt nicht vorhanden sind.

Es bleibt nur der informelle Markt, Mundpropaganda und der individuelle Vermittlungsmarkt, der oft Zuzahlungen aus dem Lebensbedarf oder aus dem Sparstrumpf erfordert. Durch die strikten Regeln der Verwaltung wird das Umgehen der Bestimmungen geradezu gefördert.

Gewährt und gleich wieder einkassiert: die Wohnbeihilfe

Für Menschen mit geringem Einkommen soll die Wohnbeihilfe, ein direkter Zuschuss aus Mitteln der Wohnbauförderung, den Wohnaufwand reduzieren.

Egal ob nun als Sozialhilfe, als Sozialunterstützung oder als Mindestsicherung bezeichnet, wird spätestens seit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz der türkis-blauen Bundesregierung die Wohnbeihilfe, also Wohnbauförderungsmittel, als Einkommen bei den Antragssteller:innen gewertet und reduziert damit die Unterstützungsleistung.

Eigentlich unglaublich, dass die Länder über die Wohnbauförderungsmittel des Bundes, die sie bereits vor Jahren zur bedarfsgerechten Verwendung erhalten haben, ihre Sozialhilfeausgaben reduzieren können.

Wohnbeihilfe angerechnet, Beispiele aus Oberösterreich

Die 45jährige Frau Antonia Bauer (Name verändert) besuchte die Sonderschule und arbeitet nun bereits jahrelang in einer Tageswerkstätte, sie lebt alleine in einer kleinen Wohnung. Dadurch hatte sie 2022 Anspruch auf den Sozialhilfe-Richtsatz für Alleinunterstützte (€ 977,94) plus Behindertenzuschlag (€ 176,03) und bezog ein „Einkommen“ aus fähigkeitsorientierter Beschäftigung in einer Tageswerkstätte in Höhe von € 119,25, 12mal jährlich.

Als weiteres Einkommen wird im Sozialhilfebescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried die Wohnbeihilfe in Höhe von € 142,89 angegeben, die Wohnkosten betragen knapp € 380. Nach all der Hin- und Her-Rechnerei verbleiben Antonia Bauer etwas über € 400 im Monat zum Leben. Aus dem Regelschulsystem ausgegrenzt, in der Tageswerkstätte nicht kollektivvertragskonform entlohnt und bei der Wohnbeihilfe nur für die Reduktion der Sozialhilfekosten benutzt – so muss sich Frau Bauer dann wohl fühlen.

Ein weiteres Beispiel: Der 23jährige Manuel Schuster (Name geändert) hat streng genommen kein Einkommen, sondern erhält neben der Sozialhilfe nur von seinem Vater einen Anerkennungsbeitrag von € 50 als Unterhalt und für die Ein-Zimmer-Wohnung Wohnbeihilfe von € 133,20, damit die Miete in Höhe von € 265 beglichen werden kann.

Die Beispiele lassen sich endlos fortsetzen, da es ja kein individueller Missstand oder ein Vollzugsproblem darstellt, sondern ein von der Politik gewollter und – wie die bisherigen Rechtsmittel leider zeigen – nicht einfach rechtlich bekämpfbares Sozialpolitikverständnis darstellt.

Behindertenbonus gibt’s nicht immer

Neben den Restriktionen und Beschränkungen – beispielsweise geringere Richtsätze, Höchstbeträge statt Mindestsicherung, Ausschluss von Personengruppen, Deckelungen – brachte das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz auch Verbesserungen, beispielsweise für alleinerziehende Antragsteller:innen, befristete Arbeitsfreibeträge und einen Zuschlag für Menschen mit Beeinträchtigungen, den sogenannten Behindertenbonus in Höhe von 18 % des ASVG-Ausgleichzulagenrichtsatzes.

Dieser Bonus ist laut SH-GG jenen Menschen als weitere Unterstützung zum Lebensunterhalt zu gewähren, die zum Kreis der Personen mit Behinderungen gemäß § 40 Abs 1 und 2 BBG, also gemäß Bundes-Behinderten-Gesetz, zählen.

Diese Bestimmung regelt die Ausstellung eines Behindertenpasses, der – vereinfacht ―bei Erwerbsunfähigkeit, Berufsunfähigkeitspensionsbezug, Bezug von Pflegegeld oder der erhöhten Familienbeihilfe oder aber auch „begünstigt behinderten Menschen“ zusteht.

Daraus wurde in den meisten Sozialhilfe-Ausführungsgesetzen ein bloßer Verweis auf die Gesetzesstelle und die Forderung, den Behindertenpass vorzulegen. Und beim Vollzug dieser Bestimmung setzen die Sozialämter auf die möglichst einfache Umsetzung, lassen sich den Behindertenpass vorlegen, gewähren bei Erfolg den Bonus und versagen ihn, wenn der Pass nicht präsentiert werden kann. Die detaillierten Bestimmungen bleiben unberücksichtigt.

Erste Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof haben diesbezüglich leider nur eine Bestätigung der formalen Auslegung gebracht, da der Gesetzgeber des SH-GG auch an dieser Stelle nicht sehr genau gearbeitet hat und beiden Interpretationen die Tür öffnet. Das Nachsehen haben nun jene Menschen, die keinen Behindertenpass vorlegen können, aber die anderen Bedingungen – z.B. erhöhte Familienbeihilfe – erfüllen könnten.

Den Behindertenpass zu beantragen ist für manche Menschen mit einer psychischen Erkrankung und geminderter Entscheidungsfähigkeit aus subjektiven Beweggründen nicht möglich, beispielsweise weil sich die Person nicht als behindert einstufen lassen will, da sie doch eine Erkrankung hat. Oder ein Foto fehlt und aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht gebracht werden kann.

Ein anderes Problem wird in Oberösterreich immer wieder sichtbar. Dort werden alle Leistungen des Chancengleichheitengesetz (ChG) mit dem Behindertenbonus gegenverrechnet, angeblich um Doppelförderungen zu vermeiden. Jedenfalls gibt’s dann keinen Behindertenbonus.

Anrechnung aller Einkünfte

Bevor Sozialhilfe gewährt wird, müssen alle Einkünfte berücksichtigt werden. Dabei gibt es auch Ausnahmen. So wird das Pflegegeld nicht als Einkommen gerechnet, da es zweckgebunden für die Pflege gedacht ist. Es gibt aber auch viel Ermessensspielraum für die Sozialhilfebehörde, die bei der Anrechnung mitunter übers Ziel schießt.

Eine besonders exzessive Anrechnung hat eine Bezirksverwaltungsbehörde geliefert: Eine junge Frau mit einer psychischen Erkrankung und geminderter Erwerbsfähigkeit hat aufgrund der knappen Finanzmittel für den notwendigen Umzug in eine neue Wohnung um Unterstützung im Rahmen der Christkindl-Aktion der Oberösterreichischen Nachrichten angesucht.

Das Weihnachtsgeschenk von 1000 Euro kam noch rechtzeitig und die Übersiedlung klappte dann auch gut. Aufgrund des laufenden Sozialhilfebezugs musste die junge Frau die Kontoauszüge der letzten drei Monate beim Sozialamt vorlegen. Dabei entdeckte die Referentin die Spende, die offengelegt und problemlos erklärt wurde.

Zur Verwunderung aller fand sich die Spende als Abzugsposten im nächsten Bescheid, da sie ja ein Einkommen darstellt und der Antragstellerin zugeflossen sei. Damit wurde die Sozialhilfe gekürzt und die Spende ging indirekt ins Landesbudget. Gegen diesen Bescheid wurde ein Rechtsmittel eingebracht, damit die Spenden der Zeitungsleser:innen nicht die Sozialhilfeleistungen kürzen können.

Notwendige Totalreform erfordert mutige Neuordnung

Vorschläge für notwendige Verbesserungen bzw. für die Neukonzeption eines Zweiten Sozialen Netzes liegen vor. Der Handlungsdruck liegt weiterhin beim Sozialministerium und beim Parlament. Kleine Anpassungen, Einmalzahlungen oder eine weitere halbherzige SH-GG-Novelle reichen nicht aus.

Es muss endlich der große Schritt zur Reform gewagt werden.

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3 Kommentare

  • In Wien bringt der behindertenzuschuss auch nichts, wenn jemand eine Werkstatt besucht. Mir werden pro Monat 150 € abgezogen anstatt ein Gehalt zu bekommen.

  • Sehr gut erklärt!

  • Danke für diese gute Analyse!