Meine Rede am 28. Jänner 2021 bei der Präsentation des Global Education Monitoring Report. Die Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) organisiert seit einigen Jahren gemeinsam mit der Österreichischen UNESCO Kommission (ÖUK) diese Präsentation.
Herzliche Grüße an Sie alle! Es freut mich, bei dieser so wichtigen Veranstaltung dabei sein zu dürfen. Mein Name ist Magister Katharina Müllebner, ich bin für BIZEPS, Zentrum für Selbstbestimmtes Leben tätig. Heute geht es um Inklusion in der Bildung, ein unverzichtbares Thema auch für uns als Selbst- und Interessensvertretung.
In Österreich sind inklusive Schulen, obwohl von der UN-Behindertenrechtskonvention gefordert, immer noch kein Regelfall. Immer noch wird das System der Sonderschule aufrechterhalten. Neue Sonderschulen werden errichtet, anstatt Inklusion in der Bildung endlich umzusetzen. Immer wieder gibt die Regierung Lippenbekenntnisse zur Inklusiven Bildung ab. Nach wie vor fehlt es aber an einer Gesamtstrategie zur Umsetzung von inklusiver Bildung in Österreich.
Inklusive Bildung bleibt eine Baustelle
Inklusive Bildung bleibt also eine Baustelle, wenn es um die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen geht. Das zeigt auch der Schattenbericht der Monitoringorgane von Bund und Ländern.
Es ist traurig aus unserer Sicht als Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, dass inklusive Bildung immer noch nach so vielen Jahrzehnten eine Baustelle ist. Was wir brauchen, sind nicht vereinzelte Lippenbekenntnisse in Regierungs- und Parteiprogrammen, sondern endlich der Wille und auch das praktische Handeln in Richtung Inklusion in der Bildung.
Inklusion in den Schulen bedeutet weit mehr als dass Kinder mit Behinderungen und Kinder ohne Behinderungen in einer Klasse sind. Inklusion ist etwas, das alle Schülerinnen und Schüler betrifft und auch allen Schülerinnen und Schülern nutzt. Denn eine Vorstellung von Bildung, die sich am Individuum, seinen Bedürfnissen und seinen Fähigkeiten orientiert, nützt allen.
Auch sind die Schule und der Kindergarten die ersten Orte, wo man mit vielen verschiedenen Persönlichkeiten und Charakteren zusammentrifft. Hier werden wichtige Weichen für die Zukunft gestellt, nämlich wenn es um den Abbau von Vorurteilen geht.
Immer noch gibt es viele Vorurteile gegen Menschen, die vermeintlich anders sind, Menschen mit Behinderungen, Menschen aus anderen Herkunftsländern oder Menschen mit anderen Werthaltungen.
Begegnet man in der Schule und im Kindergarten vielen verschiedenen Menschen und lernt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, so ist das auch ein Weg, um spätere Vorurteile zu bekämpfen, die oft sehr wirkmächtig werden können, wenn es um den Ein- oder Ausschluss einer gesellschaftlichen Gruppierung geht.
Wenn ich es gewohnt bin, täglich Menschen mit Behinderungen zu sehen, dann erlebe ich sie nicht mehr als das Andere, sondern lerne früh, dass Verschiedenartigkeit und Diversität einfach ein Teil der Gesellschaft sind.
Inklusion in der Bildung ist weit mehr als ein bloßes Konzept
Inklusion in der Bildung ist auch weit mehr als ein bloßes Konzept. Es ist auch – und das muss man leider immer wieder betonen – ein Menschenrecht.
Mir hat in der Durchsicht der Unterlagen zu dieser Veranstaltung ein Satz besonders gut gefallen: „Die Diskussion über die Vorteile inklusiver Bildung gleicht der Diskussion über die Vorteile der Menschenrechte“ und – und damit stimme ich vollkommen überein -: „Inklusion ist die Voraussetzung für nachhaltige Gesellschaften“. Ich möchte den Gedanken noch ein bisschen weiter ausführen: Inklusion in Schule und Kindergarten ist die Voraussetzung für ein Selbstbestimmtes Leben in der Mitte der Gesellschaft.
Denn Ausschluss schon im Kindergarten und in der Schule, bedeutet auch in ganz vielen Fällen weiter in Sondersysteme zu kommen, wie zum Beispiel eine Werkstatt anstatt auf den ersten Arbeitsmarkt. Es gibt Menschen, die sich aus Sondersystemen herauskämpfen können, aber das müssten sie nicht, wenn Inklusion endlich in ganz Österreich umgesetzt würde – nicht nur in einzelnen Modellregionen, wo man immer wieder sieht, dass es funktioniert.
Es müsste wirklich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen werden, ein Schulsystem zu schaffen, in dem jede Schülerin und jeder Schüler ihren Platz hat und in dem jede Schülerin und jeder Schüler darauf vorbereitet wird, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen.
Also lange Rede, kurzer Sinn
Wenn es um die Herausforderungen im Bezug auf die inklusive Bildung in Österreich geht, muss es ganz klar heißen – redet nicht nur, sondern schaut endlich, dass ihr es umsetzt und bezieht bei der Umsetzung von Inklusion möglichst alle Beteiligten mit ein – Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Interessensvertreter und schaut euch Schulen an, in denen Inklusion schon gelebt wird.
Wir wissen, dass es in vielen anderen Ländern noch schlechter ist, was den Zugang zu Bildung betrifft. Aber das darf keine Ausrede sein. Wir müssen uns dringend verändern und nicht mehr am alten System der Aussonderung festhalten. Denn Inklusion ist das einzig zukunftsfähige Modell, wenn wir eine aufgeklärte und chancengleiche Gesellschaft wollen, in der wirklich jeder und jede ihren Platz in der Mitte hat.
Was der Bericht darüber hinaus noch gezeigt hat
Der vorliegende Bericht hat mir auch eines gezeigt und zwar, wie wichtig statistische Daten sein können. Denn, um das Gelingen von Inklusion überhaupt feststellen zu können, braucht es statistische Daten, vergleichbare und belegbare Zahlen, zum Beispiel darüber, wie viele Menschen mit Behinderungen es in einem Land überhaupt gibt, oder darüber, wie viele Menschen Zugang zu Bildung haben. Es braucht Indikatoren, die das Gelingen von Inklusion messbar machen. Selbst in Ländern wie Österreich ist es schwierig, statistische Daten oder Indikatoren aufzustellen.
Was man noch aus dem Bericht erkennen kann, ist – und das zeigt sich vor allem, wenn man in andere Länder schaut – dass Inklusion die gesamte Gesellschaft betrifft, nicht nur das System Schule. In Ländern, wo in manchen Regionen nicht einmal die Grundbedürfnisse der Menschen abgedeckt sind, wie zum Beispiel Nahrung oder angemessene medizinische Versorgung, ist auch das Risiko höher, von Bildung ausgeschlossen zu sein.
Dort, wo es zum Beispiel Kinderarbeit gibt, wo es gar nicht möglich ist, dass man Kinder noch als förderbedürftige und entwicklungsbedürftige Menschen sieht, weil es gang und gäbe ist, dass die Kinder die Aufgaben von Erwachsenen übernehmen müssen, ist Inklusion ebenfalls mehr als nur ein Prozess der schulischen Bildung. Auch Traditionen und Werthaltungen können dabei eine Rolle spielen, wie starre Geschlechterrollen.
All das zeigt: Inklusion ist eigentlich ein gesamtgesellschaftlicher Umwälzungsprozess. Ein Prozess der nicht nur materielle und finanzielle Ressourcen erfordert, sondern auch das Überdenken von Werthaltungen. Denn, nur wenn ich glaube, dass eine Gruppe gleichwertig und gleichberechtigt ist, kann ich mich auch für Inklusion aussprechen. Aber hier beißt sich die Katze auch in den Schwanz. Um zu begreifen, dass alle Menschen gleichberechtigt sind, muss ich schon sehr früh im Alltag mit ihnen zu tun haben. Und auch diesbezüglich heißt die einzige Möglichkeit: Inklusion.
Siehe: Vienna Online, Studium.at, ÖBR
Zum Bericht
Informationen zum Weltbildungsbericht, sowie Lang- und Kurzfassung in Englisch finden Sie hier: https://en.unesco.org/gem-report/report/2020/inclusion
Die deutschsprachige Kurzfassung finden Sie hier: https://www.unesco.at/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Publikations-Dokumente/2020_Weltbildungsbericht_Kurzfassung.pdf